Höhenkirchen-Siegertsbrunn:Zusammenhalt

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Das Aufstellen des Maibaums ist Dorfereignis. Die Siegertsbrunner Burschen hieven die Fichte in die Senkrechte. Dann brüllen sie "Mia san mia"

Von Christoph Hollender, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Um Punkt 5 Uhr früh hallt ein Knall durch die Straßen von Siegertsbrunn. Es ist noch dunkel. Dann scheppert es auch in Höhenkirchen so laut, dass viele aus dem Schlaf gerissen werden. Ein Böllerschuss nach dem anderen geht los, 20 insgesamt. Sie kündigen einen besonderen Tag in der Gemeinde an: den Tag des Maibaumaufstellens. Die Burschen des Siegertsbrunner Burschenvereins Einigkeit sind da schon auf den Beinen. Es gilt noch einiges vorzubereiten. 35 Meter lang, einen Stammdurchmesser von 60 Zentimetern und einige Tonnen schwer ist die weiß-blau bemalte Fichte, die in einigen Stunden nur mit Muskelkraft aufgestellt werden wird.

Vom schlechten Wetter haben sich die Besucher des Maibaum-Aufstellens in Sauerlach nicht abhalten lassen. (Foto: Claus Schunk)

Aber vorher muss der Baum zum Stellplatz gezogen werden - quer durch die Gemeinde. Hans Loidl, 68, ist Gemeinderat aus Siegertsbrunn und war beim allerersten Maibaumaufstellen dabei, das war 1970. "Im Vergleich zu heute hat sich wenig geändert", erzählt er. Damals wie heute wird die schwere Fichte mit der Hand in die Senkrechte gehievt. Auch der Stellplatz vor dem Pfarrhaus ist noch derselbe wie vor 45 Jahren. "Wir haben damals das Fundament und die Träger eingebaut", sagt Loidl. Bis heute wird darauf der Maibaum aufgesetzt, der von Stahlträgern im unteren Bereich festgehalten wird.

In Faistenhaar schwitzten die Burschen beim Aufstellen. (Foto: Claus Schunk)

7 Uhr: Es wird langsam hell in Siegertsbrunn und der Himmel lässt nichts Gutes ahnen. Von der Sonne fehlt jede Spur, leider. Die Blasmusikkapelle der Gemeinde spielt auf, durch die Straßen tönt bayerische Musik. Spätestens jetzt sind die letzten wach. "So ein Weckruf gehört dazu", sagt Bürgermeisterin Ursula Mayer. Es beginnt zu regnen.

Von Regen hätten die Burschen der ersten Stunde 1970 nur träumen können. Hans Loidl war Gründungsmitglied des Burschenvereins Einigkeit und erinnert sich noch genau, wie das erste Maibaumaufstellen damals verlief. Es hat nämlich geschneit. "Wir mussten den Schnee vom Baum abkehren", erzählt er und lacht. Dagegen sei das Wetter heute gar "schön". Den Baum, damals war er 34 Meter lang, hätten die kräftigen Jungs in gut zwei Stunden aufgestellt. "Wir waren 20 Burschen im Verein", sagt Loidl. 23 Jahre war er alt. Natürlich hätten 20 Burschen nicht gereicht, deshalb hätten viele Männer aus der Gemeinde mitgeholfen. Zusammenhalt eben. Heute sei das noch genauso, ist Ursula Mayer überzeugt. Dass die Sache gut ankomme beweise schließlich der Zulauf des Burschenvereins. Und dass die jungen Leute auch einmal feiern, das gehöre dazu. Das Brauchtum am ersten Mai jedenfalls lebe weiter. Von Auswüchsen oder Partyexzessen im Vorfeld könne die Bürgermeisterin in Siegertsbrunn nichts berichten. Kürzlich gab es rege Debatten, da in manchen Gemeinden um München die Wachstätten der Maibäume als Partyzonen genutzt wurden.

In Siegertsbrunn war Manneskraft schon beim Antransport gefragt. (Foto: Claus Schunk)

Die schwere Fichte bahnt sich indes den Weg zum Stellplatz. Dieser Einzug des Baumes, auch ein schweißtreibender Akt, sei etwas ganz Besonders, sagt Ursula Mayer. "Ein tolles Bild", und noch besser bei weiß-blauen Himmel. Es regnet aber.

9 Uhr zeigt die Uhr. Der Baum liegt auf der Straße vor dem Pfarrheim. In der Gemeindekirche St. Peter findet der traditionelle Maigottesdienst statt. Eine Menge Arbeit stecke hinter dem heutigen Tag, sagt Hans Loidl: Baum fällen, Baum entrinden, zuschneiden, bemalen und natürlich das Bauen der Werkzeuge. Die Tradition sieht nämlich ganz bestimmte Hilfsmittel vor, sogenannte Scherstangen, auf bayerisch Scharstangen. Das sind unterschiedliche lange Stangenpaare, die an der Spitze mit dicken Gurten verbunden sind. Mit denen wird der Baum Stück für Stück in die Senkrechte gestemmt.

Es ist 10 Uhr. Mehr als 50 Burschen und Altburschen hieven den Koloss nach oben. Koordiniert wird das vom Vorsitzenden des Burschenvereins, dem 24-jährigen Andreas Pöttinger. Durch ein Megafon gibt er die Anweisungen. "Eins, zwei, drei!" Und schon bewegt sich die Fichte in den grauen Himmel. Es sei schwieriger bei dem Wetter, weil alles recht rutschig werden kann. Sehenswert, so sind sich die Zuschauer am Straßenrand einig, ist das Ganze allemal. Das sagt auch Jürgen Matt, 55. In seiner Heimat dem Schwarzwald werde das Aufstellen mit einem Kran gemacht. "Da dauert es nicht lange." Das hier sei beeindruckender. Für den 13-jährigen Tobias ist es nicht das erste Mal. Er kennt die Tradition und findet es super. Wenn er älter ist, will er vielleicht auch in einen Burschenverein eintreten und dann selbst mal beim Aufstellen helfen.

Dann sind es nur noch wenige Zentimeter. Geschafft. "Mia san mia, mia san mia . . . !" brüllen die patschnassen Burschen und freuen sich wie kleine Kinder, weil sie die tonnenschwere Fichte bezwungen haben. Ihre Lederhosen tropfen. Es ist 12.30 Uhr und die Maibaumspitze verliert sich in den Regenwolken.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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