Höhenkirchen-Siegertsbrunn:Wir sind der Landtag

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Schüler aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn spielen Abgeordnete

Von Jana Treffler, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

"So funktioniert Demokratie, oder wie?", ruft ein Schüler, als er zur Ruhe ermahnt wird. Die Rüge kommt von der Ausschussvorsitzenden, einer anderen Schülerin des Gymnasiums Höhenkirchen-Siegertsbrunn, dessen zehnte Klassen für einen Tag in die Rollen von Landtagsabgeordneten und kritischen Pressevertretern schlüpfen und ein Gesetz auf den Weg bringen. Dieses Planspiel wird vom Bayerischen Landtag gemeinsam mit dem Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) der Ludwig-Maximilians-Universität angeboten und von Landtagsabgeordneten unterstützt, die persönlich vorbeikommen und sich den Fragen der Schüler stellen. Einmal im Jahr wird eine Schule pro Wahlkreis ausgewählt, diesmal war die von Sozialkundelehrerin Sylvia Schraml initiierte Bewerbung erfolgreich.

Kurz nach 8 Uhr morgens sitzen etwa 50 mehr oder weniger ausgeschlafene Jugendliche in einem Mehrzweckraum und blicken auf eine Leinwand und ein Rednerpult mit bayerischer Flagge. Davor steht Leo Meyer-Giesow vom Centrum für angewandte Politikforschung und erklärt den Schülern was ihnen blüht: Als Abgeordnete werden sie über einen Gesetzesentwurf zum Verbraucherschutz entscheiden. Nach einer Einführung in das Gesetzgebungsverfahren werden die Zehntklässler per Los in Fraktionen eingeteilt und bekommen eine fiktive Biografie und die Position ihrer Partei in die Hand gedrückt.

Dann geht es auch schon in die erste Fraktionssitzung. Nach anfänglicher Unruhe, der üblichen Portion Unlust und gezierter Zurückhaltung bei der Verteilung der Ämter kommen die Jungpolitiker in Fahrt. Vor- und Nachteile der zu beschließenden Regeln werden plötzlich an den Tischen hitzig diskutiert, Ausschüsse beraten sich und es gibt erste Bestechungsversuche der Ausschussvorsitzenden, denen ungeniert ein Eis nach Schulschluss versprochen wird, sollte der eigene Antrag bewilligt werden.

Politik wie im echten Leben? Vielleicht nicht zu hundert Prozent, aber doch um einiges eindrücklicher als abstrakter Sozialkundeunterricht. In den Diskussionen um den Gesetzestext stoßen die Schüler schnell auf die Schwierigkeiten, Begriffe einzugrenzen und eindeutige Formulierungen zu finden. Demokratische Grundlagen wie der Gleichbehandlungsgrundsatz werden ganz nebenbei erklärt und die Funktionsweise parlamentarischer Arbeit kann konkret erfahren werden. Dem 15-jährigen Linus fällt besonders auf, wie schwer es die Opposition manchmal hat. "Die CSU war einfach immer stärker", moniert er.

Insgesamt sind die Rückmeldungen der Schüler an dem Tag sehr positiv. Viel interessanter als ein langweiliges Arbeitsblatt sei diese Art zu lernen, sagt die 17-jährige Ann-Sophie. Auch die Mitarbeiter des CAP finden, man könne den Jugendlichen ruhig einiges zutrauen. Das Interesse an Politik sei oft größer, als es den jungen Leuten unterstellt werde, sagt Heike Hoffmann, die seit zehn Jahren solche Planspiele leitet. Egal welche Schulart und welche Altersgruppe, es würde immer funktionieren: "Der Trick ist, dass sich die Schüler selbst mit reinziehen ", sagt die Journalistin.

Mit Claudia Stamm (Grüne), Nikolaus Kraus (Freie Wähler) aus Ismaning, Natascha Kohnen (SPD) aus Neubiberg und Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU) aus Unterhaching ist aus jeder Fraktion ein Abgeordneter vertreten. Die Politiker beantworten Fragen zu ihrem Berufsalltag und geben den Schülern Tipps beim Schreiben ihrer Abschlussreden vor dem Plenum. Am Ende des Sitzungstags ist ein Gesetz mit Änderungen beschlossen und die Reporter vom ad hoc gegründeten "Hö-Si-Blitzlicht" schießen letzte Fotos für ihre Echtzeit-Berichterstattung. Die Schüler haben das durchgespielt, was für Politiker Alltag und für Wähler oft ein Mysterium ist.

Schlecht informierte Bürger sind eine Gefahr für das Funktionieren einer Demokratie. Wer nicht weiß, wofür er seine Stimme abgibt, ist beeinflussbar, und wer nicht weiß, wie die Regeln zustande kommen, an die er sich halten muss, der resigniert. "Jeder muss einmal wählen gehen", sagt Hoffmann, "wann und wie sollen Jugendliche denn sonst Demokratie lernen, wenn nicht so?"

© SZ vom 20.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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