Höhenkirchen-Siegertsbrunn:Die vier Weisen

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Die einen engagieren sich im Sport, andere im Vereinsleben. In der Gemeinde gibt es daneben noch das Quartett vom Arbeitskreis Ortsentwicklung und Mobilität. Deren Mitglieder tüfteln an nicht weniger als an der Zukunft ihrer Gemeinde - beharrlich und mit viel Geduld

Von Sabine Oberpriller, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Einmal im Jahr erhalten in Höhenkirchen-Siegertsbrunn die Arbeitskreise der Agenda 21 Gelegenheit, vor dem Gemeinderat ihre Tätigkeit vorzustellen. Dann geht es im Rathaussaal um Tanzkurse, Kaffeekränzchen, Fotografie. Bis Markus Pfuhler vom Arbeitskreis Mobilität und Ortsentwicklung vortritt, einen Stick in den Laptop schiebt und klickt. Hinter ihm erscheint eine Straßenkarte auf der Wand. "Ich weiß", sagt er. "Das macht jetzt keinen Spaß. Unser Arbeitskreis kostet am meisten Geld." Dann legt er los, fährt mit dem Laserpointer Straßenverläufe nach, manchmal auch mit den Händen, erklärt, warum es an dieser Kreuzung hakt, und wie der Hauptangelpunkt des Ortes an der Friedenseiche praktischer gestaltet werden kann. Gewisse Empörung schwingt in seiner Stimme mit, weil so vieles sich so lange nicht ändert, und Nachdruck, als dulde er keinen Widerspruch. "Das ist hausgemacht", sagt er oft. Die Gemeinderäte schauen ihm zu.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich in das Gemeinschaftsleben eines Ortes einzubringen. Die meisten engagieren sich lieber in Sportvereinen, sozialen Einrichtungen. Vielleicht weil Ergebnisse, Erfolge dort schnell zu sehen sind. Markus Pfuhler, Klaus Träger, Rudolf Spingler und Roland Langner dagegen tüfteln. An der künftigen Gestaltung der Gemeinde Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Dafür brauchen sie den längsten Atem von allen.

Ein Schnellhefter enthält alle Pläne, die aktuell diskutiert werden. Markus Pfuhler schiebt ihn auf den Tisch im Alten Wirt, wo sich das Männerquartett jeden zweiten Mittwoch im Monat zur Beratung trifft. Es gibt neue Pläne zur Kreuzung an der Friedenseiche, wo sich Münchner, Rosenheimer und Bahnhofstraße begegnen. Pfuhler hat viel herum telefoniert und das mal skizziert. Er deutet, er erklärt, die anderen drei nicken. "Wir müssen bedenken, wo die alle herkommen", sagt Pfuhler. "Die meisten fahren nicht von außen durch. Das ist hausgemacht." Wieder sein Lieblingssatz. Nicken. Der Ort ist schnell gewachsen. Vom Dorf zur Großsiedlung mit etwas mehr als 10 000 Einwohnern, die ihres Verkehrs nicht mehr Herr wird. Wer im Arbeitskreis Mobilität und Ortsentwicklung mitmacht, der setzt sich automatisch mit zulässigen Straßenbreiten, Voraussetzungen für Radwege, Privatgrundrecht und Behörden auseinander.

Klaus Träger, 74, ehemaliger Maschinenbautechniker und Flugzeugtechniker ist seit der Gründung 2003 mit dabei.

Rudolf Spingler, 58, Jurist und Volkswirt, hat sich schon in Erfurt politisch engagiert. In Höhenkirchen-Siegertsbrunn steht er der CSU-Fraktion vor - und hat im Arbeitskreis Gestaltungsraum gefunden.

Roland Langner, 58, IT-Spezialist, ist das neueste Mitglied. Einer, der mitdenkt, der zuarbeitet. Anders als die anderen, hat er keine Vorerfahrung in Jura oder Planung, das schreckt ihn nicht: "Vieles lässt sich mit Menschenverstand erschließen."

Markus Pfuhler, 38, Ingenieur und Nachbar von Spingler, wurde vor fünf Jahren von diesem gedrängt, mitzumachen. Mittlerweile ist er das Sprachrohr, auch im Kontakt zu Behörden. "Mittlerweile kennen die mich. Das geht super. Ich skizziere denen schnell, was ich mir denke", sagt er. "Dann kriege ich auch schon ein Feedback." Bis zu dem Punkt, an dem er keine Auskunft bekommt. Weil der Arbeitskreis keine Behörde ist. Deswegen kann es passieren, dass der seit langem geplante Gemeinderatsbeschluss zur kommunalen Verkehrsüberwachung doch wieder verschoben werden muss. Weil Pfuhler, so gern man ihn mag, einfach keine behördeninternen Informationen bekommt.

Was die vier tun, macht im Grunde schon kleinen Jungs Spaß: Straßen bauen, Ampeln planen, Häuser anordnen. Natürlich hilft bei dem Engagement im Arbeitskreis räumliches Vorstellungsvermögen und Geduld, die Regelwerke und Pläne nun mal erfordern.

Aber wenn es ans Eingemachte geht, schreiten die Vier auch schon mal ganz praktisch zur Tat: Zum Beispiel wenn es darum geht, wie die regionalen Radwege, deren Beschilderung bis vor Kurzem vor den Toren des Ortes endete und irgendwo auf der anderen Seite erst wieder einsetzte, sinnvoll durch den Ort geleitet werden können. Dann setzen sie sich mit ihren Kindern und Enkeln an einen Tisch, lassen sich zeigen, wie sie zur Schule und von da zum Sport fahren, und schwingen sich anschließend auf ihre Räder, um selbst die Strecken abzufahren. Denn wenn schon, dann wollen sie ein richtiges Radwegenetz in der Gemeinde etablieren.

Bürgerversammlung, Mehrzweckhalle. Im Gegensatz zu anderen Gemeinden kann sich Höhenkirchen-Siegertsbrunn nicht über mangelndes Interesse beklagen. Auch die Stände, mit denen sich Vereine, Firmen und Arbeitskreise präsentieren, sind gut besucht. Aber um die Auslagen von Pfuhler und seinen Leuten herrscht Gedränge. Die Entwicklung und Gestaltung des Ortes interessieren viele, die Verbesserung der S-Bahn-Verbindung, eine Renovierung der Spielplätze, besonders aber der Verkehr. Am Tisch im Alten Wirt hocken sie dann wieder zu viert. "Manchmal kommt einer, um an einem konkreten Problem mitzuarbeiten", sagt Spingler. "Danach geht er wieder."

Für viele ist der Stoff zu trocken, die Entwicklung zu langsam, weil Behörden mitplanen, weil es um langfristige Investitionen der Gemeinde geht, um sogenannte Großprojekte, die manchmal Jahre hinausgeschoben werden, weil oft auch noch andere Finanzierer mit drin hängen, der Kreis, der Bund. "Wir bohren hier dicke Bretter", sagt Spingler. Klaus Träger hat sich schon, bevor es den Arbeitskreis gab, als Politiker und Gemeinderat für Bauvorhaben interessiert und sich in die Ortsentwicklung eingebracht. Die Liste an Projekten, die er begleitet, ist lang. Die der fertiggestellten nicht so sehr. "Das ist eine Lebensaufgabe", sagt er. Und: "Wie Günter Grass schon gesagt hat: Der Fortschritt ist eine Schnecke."

Es sei die Ungeduld, die ihn treibe, sagt Träger. "Ich will nicht ad ultimo warten, sondern gemeinsam diskutieren, für das beste Ergebnis."

"Ich kann meine Ideen einbringen", sagt Pfuhler. "Jeder will mitreden. Aber machen, machen, machen - das tun wir."

"Mit Rechtsdingen kenne ich mich aus. Ich übe mich in Geduld", sagt Träger.

"Wenn ich mich über einen Zustand ärgere, dann warte ich nicht auf andere", sagt Langner. "Also bin ich hier."

Sie verstehen sich als Trichter, der die Sorgen und Wünsche der Bürger auffängt und in den Gemeinderat einbringt. Anhand von Onlinebefragungen und Unterschriftenlisten zeichnen sie Stimmungsbilder der Bevölkerung. Sie haben sich auf das Level einer Expertenkommission emporgearbeitet, die dem Gemeinderat in fast jeder städtebaulichen Sache Auskunft geben kann. An diesem Abend ist die Gemeinderätin Priska Weber (SPD) zu Besuch. "Sie sind die erste", sagt Pfuhler lächelnd. Träger sagt: "Ich habe sie dauernd eingeladen." Weber will sich über den bisherigen Verlauf der S-Bahn-Diskussion informieren. Dann kommt das Gespräch auf den Gehweg beim Straßenausbau "Am Markt". In der Planung ist keiner vorgesehen und noch in der Sitzung waren einige Gemeinderatsmitglieder der Meinung, er könne im Nachhinein umgesetzt werden. "Dann heißt es wieder, es ist zu spät", sagt Weber genervt. Die Männer stimmen zu - und wussten nichts. "Wir hätten da schon etwas beizutragen gehabt", sagt Pfuhler. "Ihr kommt immer zu spät zu uns."

"Wir sollten es positiv ausdrücken", sagt Träger. "Nicht: Es geht nicht vorwärts. Sondern: Es geht in kleinen Schritten."

Aber wenn dann einmal was geschafft ist, dann ist es etwas Bleibendes, etwas, das man jahrelang anschaut, das womöglich täglich nutzt, weil es eine ganz praktische Lösung ist. Oder es ist, wie im Falle der Radwege, auch eine Genugtuung, die erste Gemeinde im Landkreis zu sein, die die Pläne umgesetzt hat. Die Schilder für das Radwegenetz haben sie selbst montiert. Das war etwas Handfestes. Eine Vollendung

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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