Haar:Im Zweifel mutig

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Quo vadis SPD? Ewald Schurer, Peter Paul Gantzer, Bela Bach und der Haarer Ortsvereinsvorsitzende Peter König diskutieren im Bürgersaal. (Foto: Claus Schunk)

Die SPD im Umfragetief: Kreisvorsitzende Bela Bach diskutiert in Haar mit dem Landtagsabgeordneten Gantzer und Bezirkschef Schurer. Während die Jungpolitikerin mit linkem Profil die Klientel zurückgewinnen will, fordern die Routiniers besseres Marketing und Geschlossenheit

Von Lars Brunckhorst, Haar

Eines kann man der SPD jedenfalls nicht absprechen: Die Partei hat Mut. Zumindest im Landkreis München. Während die ganze Welt in diesen Tagen nach dem Brexit die Frage bewegt, wohin Europa steuert, haben die SPD München-Land und der SPD-Ortsverein Haar diese Woche zu einer Veranstaltung eingeladen, um der Frage nachzugehen: Quo vadis SPD? Das war sogar doppelt mutig, weil zeitgleich zu der Diskussionsrunde im Haarer Bürgersaal in Paris die Entscheidung fiel, wer Deutschlands Gegner im Viertelfinale der Fußball-EM an diesem Samstag sein wird. "Peter und Ewald haben volle Terminkalender", begründete Bela Bach, die SPD-Kreisvorsitzende, die nicht ganz glückliche Terminwahl für die Runde mit ihren Parteifreunden, dem Landtagsabgeordneten Peter Paul Gantzer und dem SPD-Bezirksvorsitzenden Ewald Schurer.

Dass sich in den konferenzmäßig bestuhlten Saal an diesem noch dazu schönen Sommerabend immerhin rund 60 Genossen und Sympathisanten einfanden, darf angesichts der Rahmenumstände daher als Erfolg gewertet werden und als Bestätigung für den Mut der Partei.

Mut war überhaupt das Schlüsselwort des Abends. Schon das Motto "Mehr Sozialdemokratie wagen" - eine bewusste Anspielung auf Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen" - implizierte ja förmlich, was die Partei in diesen Zeiten, da sie Meinungsumfrage bundesweit an der 20-Prozent-Grenze sehen, am meisten braucht. Aber auch die Fragestellung von Haars SPD-Ortsvorsitzendem Peter König, der die Diskussion leitete, zeugte von einer gehörigen Portion Mut: Gibt die SPD die falschen Antworten auf die aktuellen Probleme? Oder werden diese nicht verstanden? Oder wird der Partei nicht geglaubt und ihrem Spitzenpersonal nicht vertraut?

Nicht nur außerhalb der Partei antworten darauf viele mit einem mehrfachen Ja. Auch die drei Diskutanten auf dem Podium waren sich einig: Die Sozialdemokratie hat derzeit ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Obwohl man sich in der großen Koalition in Berlin auf vielen Gebieten durchgesetzt hat - Stichworte: Mindestlohn, Leiharbeit, Mietpreisbremse - sackt die Partei in der Wählergunst immer mehr ab. Für Ewald Schurer liegt das Dilemma der SPD daher in einem "Kommunikationsproblem". Wenn die Sozialdemokratie nach der "neoliberalen Phase" unter Rot-Grün mit ihrer Agenda 2010 jetzt wieder sozialdemokratischer werde, im Bund und in vielen Landesregierungen "handwerklich faire Leistungen" erbringen, die Menschen aber dennoch nicht mit ihrer "guten Botschaft" erreiche, dann liege dies am schlechten Marketing.

So leicht wie der oberbayerische Parteivorsitzende und Ebersberger Bundestagsabgeordnete wollten es sich seine beiden Parteifreunde nicht mit der Erklärung des SPD-Tiefs machen. Für den alten Haudegen Gantzer, immerhin seit fast 40 Jahren für die SPD im Landtag, sind an dem Dilemma der Partei die traditionellen Grabenkämpfe der Parteiflügel schuld. Gantzer holte bis zum Nato-Doppelbeschluss unter Helmut Schmidt und dem Sturz des Münchner OB Georg Kronawitter durch die Parteilinke in den Siebzigerjahren aus, um zu belegen, was seiner Meinung nach das "Ur-Übel" der Partei ist: Die SPD werde von der Öffentlichkeit stets als "gespaltene Partei" wahrgenommen, weil sich ihre Mitglieder nie geschlossen zu Mehrheitsentscheidungen bekennen. Der 77-Jährige, der mit diesem Tenor gerade einen Weckruf an Parteichef Sigmar Gabriel geschrieben hat, sparte auch diesen nicht von seiner Kritik aus: Gabriel beuge sich gerade wieder nach links.

Das freilich sieht die SPD-Kreisvorsitzende Bela Bach keineswegs als Nachteil. Die Agenda 2010 sei ein "Vertrauensbruch" gegenüber der SPD-Klientel gewesen. Um deren Vertrauen zurückzugewinnen, müsse die Partei wieder linke Politik machen. Bach, die zunächst fast eine Dreiviertelstunde den weitschweifigen Ausführungen ihrer beiden wortgewaltigen Altvorderen hatte zuhören müssen, ehe sie von Moderator Peter König einbezogen wurde, widersprach Gantzer und Schurer auch in anderen Punkten energisch. Diskussionen gehörten zur Meinungsfreiheit in einer Partei und Politik sei keine Ware, die man vermarkten müsse, sagte Bach, die bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr zum zweiten Mal um das Direktmandat im Landkreis München kämpfen wird.

Mit ihrer Position erfuhr die junge Hoffnungsträgerin der Landkreis-SPD auch Unterstützung aus dem Publikum. Nein zum Freihandelsabkommen TTIP, ja zur Vermögenssteuer und einer höheren Erbschaftssteuer sowie Offenheit für Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl - das waren einige der Forderungen, die von den Zuhörern laut wurden. Was höhere Steuern für Vermögende und Erben betrifft, da mochten auch Gantzer und Schurer mitziehen. Für eine nächste Bundesregierung aus SPD, Grünen und Linken sehen die beiden dagegen inhaltlich wenig Spielraum. "Die Linke hat Positionen zu Israel und Nato, da kannst du keine gemeinsame Außenpolitik machen", gab etwa Schurer zu bedenken und warnte vor einem seiner Meinung nach viel wahrscheinlicheren Fall nach der Bundestagswahl 2017: Schwarz-Grün.

Für Gantzer wäre das nicht unbedingt das Schlimmste. Aber er ist in Bayern ja auch jahrzehntelang Opposition gewohnt und wird sich wohl 2018 aus der Politik zurückziehen. Wohin eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner führe, zeige nicht nur die große Koalition in Berlin, sagte der Abgeordnete aus Haar. So stehe die SPD in Baden-Württemberg nach fünf Jahren Grün-Rot nur noch bei zwölf Prozent. "Es ist immer noch Luft nach unten", so Gantzer zu den aktuellen Umfragewerten.

Schurer dagegen, der nächstes Jahr gerne noch für eine fünfte und letzte Legislaturperiode in den Bundestag gewählt werden möchte und das lieber auf die Regierungsseite als auf die harten Oppositionsbänke, widersprach dem "lieben, geschätzten Peter Paul": Auch wenn die SPD 2013 in die Opposition gegangen wäre statt in eine Regierung mit CDU und CSU, hätte sie heute mit den gleichen Problemen und niedrigen Umfragewerten zu kämpfen. Und Moderator Peter König stellte die suggestive Frage: "Was haben wir gewonnen, wenn wir heute Abend zwar unser Ziel zu 100 Prozent finden, aber nach der Wahl keinen Partner?", fasste der SPD-Ortsvorsitzende das Dilemma zwischen Idealismus und Pragmatismus zusammen.

Am Ende der zweieinhalbstündigen Diskussion war damit klar: In der Zustandsbeschreibung und Ursachenforschung sind sich die Sozialdemokraten weitestgehend einig. Die Frage "Wohin SPD?" bleibt dagegen genauso unbeantwortet wie die Frage nach der Zukunft Großbritanniens und Europas und nach dem Abschneiden der Deutschen bei der EM. Immerhin konnten aber wohl alle Teilnehmer - auf dem Podium wie im Publikum - eine Erkenntnis unterschreiben, die Ewald Schurer so formulierte: "Die sozialdemokratischen Parteien in Europa müssen wieder Antworten auf die Krisen finden und einen Führungsanspruch auf die Gestaltung der Gesellschaft entwickeln." Und dazu brauche es vor allem eines, so Schurer: Mut. Und sei es der Mut der Verzweiflung.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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