Haar:Hochseilakt der Streicher

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Bea Sallaberger entfaltet bei Vivaldis c-Moll-Cellokonzert nicht nur einen fulminante Ton, sondern interagiert auch souverän mit dem Orchester. (Foto: Angelika Bardehle)

Das Ensemble Haar überzeugt bei seinem Herbstkonzert mit Werken von Vivaldi, Dvořák und Suk

Von Ulrich Möller-Arnsberg, Haar

"Kann sich die Dame noch einmal an ihre Position stellen?", krächzt eine Stimme aus der Sprechanlage im Bürgersaal. Während der Probe im Halbdunkel des Raums geht es um den Spot des Scheinwerfers auf die Solistin im Es-Dur Violinkonzert von Antonio Vivaldi. Es hat den Beinamen "Tempesta di Mare" (Sturm auf dem Meer). Während sich die Geigerin Heidi Schmid zwei Stunden vor ihrem Auftritt mit dem Ensemble Haar in den Feinheiten dieses hochvirtuosen "Gewitterkonzertes" abstimmt, sitzen manche der späteren Konzertbesucher nebenan noch bei Altweiber-Sommerwetter im Biergarten. Angesichts dieses perfekten Wiesn-Wetters könnte man denken, ob das mal gut geht mit dem Konzertbeginn so früh am Sonntagabend um 19 Uhr. Aber das Ensemble Haar hat einen Namen und seine treuen Fans. Auf die können sich Ensemble-Leiter Winfried Grabe und seine Musikerkollegen verlassen. Der Saal wird voll.

Grabe selbst macht den Anfang als Solist in einem Programm, das zwischen barocken Konzerten von Vivaldi und romantischen Stücken der tschechischen Komponisten Antonin Dvořák und Josef Suk wechselt. Mit großer Eleganz und Noblesse spielt Grabe das G-Dur-Konzert aus Vivaldis 1716 veröffentlichter Sammlung "La stravaganza". Und am Zusammenspiel der Orchesterkollegen wird die Wirkung spürbar, die der gemeinsame Ausflug ins Südtiroler Ahrntal hinterlassen hat. Jedes Jahr Ende August zieht sich das Ensemble für eine Woche in Haars norditalienische Partnergemeinde zur Klausur zurück. Dabei wird dann unter anderem das Programm fürs Herbstkonzert erarbeitet.

Die Idee, Antonio Vivaldi und die romantischen tschechischen Komponisten Dvořák und Suk gegenüberzustellen, entspricht dem Basisgedanken des Ensembles Haar. Seit seiner Gründung im Jahr 1978 lag ein Schwerpunkt dieses Kammerorchesters aus Laien und Profis auf Musik für Streicher, also Barockmusik ohne Bläser oder Serenadenliteratur für Streichorchester, die eben bis in die Romantik reicht. Die erste Hälfte des Herbstkonzertes wechselte zwischen Vivaldis Virtuosität und Dvořáks romantischen Stücken. Wirkungsvoll hat Grabe diese kleinen melodie-seligen Werke - die original für Kammerbesetzung geschrieben sind - zu Orchesterarrangements verarbeitet. Die wunderbare Schlichtheit Dvořáks bleibt erhalten, wird aber durch instrumentale Farben wie etwa Pizzicato im Bass bereichert. Ein Höhepunkt des Abends war danach Vivaldis c-Moll-Cellokonzert mit Bea Magdalena Saalaberger als Solistin. Die 21-Jährige, die vom Stimmführerpult des Haarer Ensembles an den Solistenplatz wechselte, legte mit fulminantem Ton los. Aber sie versteht es dabei, nicht nur selber souverän im Vordergrund zu stehen, sondern für ihr Alter ungewöhnlich abgeklärt mit dem Orchester in Verbindung zu bleiben. Das fiel ihrer Kollegin Heidi Schmid vom ersten Geigenpult gegenüber nicht ganz so leicht im "Gewitterkonzert". Aber mit dem hat sich die Schülerin von Julia Fischer auch einen besonders schweren Brocken herausgesucht.

Nach der Pause stand dann das Ensemble Haar bei Josef Suks Streicherserenade allein im Mittelpunkt. Hier zeigte sich, dass Winfried Grabe und seine Musiker bis an die Grenzen des ihnen Machbaren gehen. Denn vor allem die Mittelsätze mit ihren filigranen Details und hoher Lage und ihrer Durchsichtigkeit in der Satzanlage gleichen einem Hochseilakt für Streicher. Trübungen der Intonation waren nicht immer vermeidbar, aber es gab Momente in luftiger Höhe, in denen die Streicher quasi kongenial beieinander waren.

Zum Ende des Abends ließ sich das Ensemble Haar von den begeisterten Zuhörern feiern. Der Ausflug ins Südtiroler Ahrntal zur Erarbeitung des Programms hat sich nicht nur hörbar bezahlt gemacht. Auch, was den Austausch mit den Partnergemeinden angeht. Wie Winfried Grabe vor Beginn des Konzertes in seiner Ansage verkündete, ist im kommenden Jahr daran gedacht, Musiker von dort zum Herbstkonzert nach Bayern in den Münchner Osten mitzubringen. Das könnte durchaus spannend werden. Bis dahin ist freilich noch etwas Zeit. Als nächster musikalischer Höhepunkt steht zum Jahresende das stets gut besuchte Silvesterkonzert des Orchesters Haar an. Es findet am Silvesterabend von 20 Uhr an in der Haarer Jesus-Kirche statt und bietet festliche Musik zum Jahreswechsel.

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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