Haar:Der Tobi vom Dino

Lesezeit: 5 min

Der Jugendtreff in Haar wird 35 Jahre alt, sein 62-jähriger Leiter Tobias Gläser ist von Anfang an dabei. Er und seine Mitarbeiterinnen sind für die jungen Leute eine Mischung aus Eltern und Freunden

Von Bernhard Lohr, Haar

Tobi Gläser ist erst gar nicht zu finden. Er steckt irgendwo mittendrin unter den Seinen. Ein Mädchen sitzt vorne am Tisch, hat eine Bravo-Zeitschrift vor sich liegen. Andere hängen an Tische gelehnt herum. Es herrscht lässige Betriebsamkeit im geräumigen Büro des Jugendzentrums Dino. "Grüß Gott, die Fahrscheine bitte", scherzt einer, als er zur Tür hereinkommt. "Alter", ruft ein anderer ihm entgegen. Munter geht es zu, in dem Raum, in dem der im Job ergraute Chef alle um sich schart. Tobi Gläser leitet den Jugendtreff seit 35 Jahren. Sein Büro ist wie immer offen für alle. Auch an diesem Abend. Es sei die "Anlaufstelle", sagt er, als er zur Begrüßung an die Tür tritt.

So hat es sich im Dino seit Jahren eingespielt. Wer in den Treff kommt, der schaut erst einmal ins Büro, um Hallo zu sagen. Und wer schon einmal dort ist, der setzt sich in der Regel gleich hin. Die Leute suchten nicht nur Treff-Atmosphäre mit Kicker oder Billardtisch. Dort im Büro spielt sich "das normale Leben" ab, sagt Tobi Gläser. Die jungen Leute sitzen einfach "gerne in Bürostühlen", erklärt er. Die kippeln schön, das finden die offenbar gemütlich.

Billard-Spielen im Jugendtreff. (Foto: Claus Schunk)

Der Jugendtreff Dino am Wieselweg am Rand der Haarer Hochhaus-Siedlung Jagdfeld ist ein Ort der Geborgenheit und der Freiheit. Er ist eine Institution. Genau wie sein Leiter. Als er eröffnet wurde, war Tobi Gläser schon der Herr im Haus und hatte sich darum zu kümmern, dass es eine gelungene Party gibt. Damals drehten sich noch LPs auf Plattentellern und es liefen Rock-Balladen wie "Urgent" von Foreigner. Gläser erinnert sich noch an diesen einen Song.

"Urgent, urgent, urgent, just wait and see. How urgent our love can be. It's urgent." So schallte es am 1. Februar 1982 bei der ersten Dino-Party im Keller durchs Haus.

Und natürlich brannten gleich die Lautsprecher-Boxen durch, weil jemand zu laut aufgedreht hatte. Zum Glück waren auch Leute vom anderen Treff in Haar da, vom Route 66, die auf die Schnelle robuste Boxen anschleppten und das Fest retteten. "Ich habe von nichts eine Ahnung gehabt", blickt Gläser zurück, "ich habe nicht gleich gecheckt, dass wir eine Disco-Anlage brauchen." Er hatte gedacht, mit einer einfachen Stereo-Anlage wie im Wohnzimmer für die Eröffnungsparty wäre es getan. Ein Irrtum, über den Gläser heute lacht. Er lacht überhaupt viel und wirkt entspannt, als er später an der Bar im Treffcafé sitzt. Doch die Antennen hat der Dino-Chef immer ausgefahren. Ihm entgeht nichts.

Die Atmosphäre im Jugendtreff Dino war schon immer recht locker. Einer der beliebtesten Orte für die Jugendlichen ist das Büro der Sozialarbeiter. Hier noch mit dem Ex-Chef Tobi Gläser in der Mitte. (Foto: Claus Schunk)

Es ist einiges los im und am Treff. Vor der Tür steht eine Clique beisammen, und Gläser sagt unvermittelt - unklar ist, woher er das jetzt weiß -, einer der Jugendlichen habe zu viel Alkohol getrunken. Dass dann ein BRK-Wagen vorfährt, beunruhigt Gläser äußerlich nicht. Auch die Jugendlichen draußen sind entspannt und scherzen. Einer sitzt im BRK-Wagen drin, einige steigen ein. Alles sei okay, sagt einer, man fahre nur zum Einkaufen. Was wirklich los ist, erschließt sich nicht. Drinnen erzählt Tobi Gläser schließlich weiter vom sozialen Auftrag des Treffs. "Wir erleben hier wirklich das pralle Leben", sagt er.

International ging es immer schon zu. Heute sind 18 Nationen im Haus. Doch es ändert sich auch was. Früher war das Dino das Jugendhaus des Ernst-Mach-Gymnasiums, das immer noch seine Oberstufenpartys dort abhält. Eine Zeit lang sei Gewalt ein Problem gewesen, erzählt Gläser, später seien es Drogen gewesen. Mittlerweile suchten viele Jugendliche, bei denen sich die Eltern getrennt hätten, jemanden zum Reden. Im Grunde gehe es seit Jahrzehnten immer um das selbe: Liebe, Freundschaft, Schule, Eltern. Auch Eltern fänden Rat, die deshalb kommen, weil das Dino ein geschützter Raum ist, und das Jugendamt außen vor ist. "Wir begleiten die Leute nicht nur drei Monate", sagt Maria Ferner, die schon seit acht Jahren als Sozialpädagogin in Gläsers Team arbeitet. Wie freundschaftlich und auch professionell die Stimmung im Dino ist, zeigt die Geschichte von Adriana Hoffmann, 18, die schon als Kind am Abenteuerspielplatz tobte, dann jahrelang im Dino Stammgast war und nach dem Abitur Freiwilliges Soziales Jahr bei Tobi Gläser und Maria Ferner macht. "Ich bin jetzt voll dabei", sagt sie. Seit den Anfängen 1982 hat Tobi Gläser einige Generationen durchs Dino geschleust. Heute kämen die Kinder und Enkel der früheren Besucher, sagt er.

Dino-Chef Tobi Gläser ist mit seinem Job zwar ergraut, doch er macht ihm immer noch Spaß. (Foto: Claus Schunk)

Dabei war der 62-Jährige Routinier eigentlich 1982 schon kein Neuling mehr. Er hatte früher in Erding selbst als Jugendlicher in einem selbstverwalteten Jugendzentrum kennen gelernt, wie solch ein Haus funktioniert. Mittlerweile hat sich die Jugendarbeit professionalisiert. Studierte Sozialpädagogen kümmern sich. Es gibt Angebote für die Jugendlichen, wobei alles auf Freiwilligkeit basiert. Gläser erklärt das Prinzip der "offenen Jugendarbeit", das ist ihm wichtig. Offenheit, Freiwilligkeit und Teilhabe seien die Grundpfeiler der Arbeit im Dino. Niemand müsse irgendetwas tun. Klare Regeln gibt es allerdings. Und wer die vergessen hat, kann an Gläsers Bürotür nachlesen - unter der Rubrik "Mindestregeln für den zivilisierten Umgang im Dino".

Das Gebäude am Rand der Gemeinde hatte in den Siebzigerjahren der Bauträger, der im Jagdfeld die Hochhaussiedlung hinstellte, der Gemeinde überlassen. Im Erdgeschoss zog ein Hort ein, im Untergeschoss kamen die Jugendlichen dann in den Abendstunden im Treff zusammen. Nach zehn Jahren zog dann der Hort in einen Neubau, und der Jugendtreff konnte sich oben im Erdgeschoss entfalten. Es bietet Platz. Im Café sitzen an dem Abend ein paar Jungs auf dem Billardtisch, ein paar Mädels fläzen auf dem Sofa und schauen in ihre Smartphones. Ein Kicker steht da, daneben ein großer Bildschirm für die Play-Station. Fifa-17 ist dort das beliebteste Spiel. Hinter der Bar ist eine kleine Küche. Im Sommer spielt sich das Leben auf der Terrasse ab, es wird gegrillt. Ein paar Meter weiter steht die neue Skaterbahn, daneben ist das Volleyballfeld und das Basketballfeld. Adriana Hoffmann führt mit leuchtenden Augen durchs Haus. "Wir sind ein kleiner Kreis", sagt sie. Sie schätzt die Intimität im Dino. Es sei ein kleines Haus, sagt sie, aber es biete alles. Im Keller gibt es Bandübungsräume, und es ist Platz für Partys, zu denen das Gymnasium schon mal 200 Leute aktiviert. Ja, ja, sagt Gläser, es sei ein schönes Haus. Aber auch in die Jahre gekommen. "Das Haus wird durch die Farbe noch zusammengehalten."

Deshalb wird jetzt auch im Rathaus offen über einen Neubau für das Dino gesprochen. Als nächstes wird wegen des akuten Bedarfs an Betreuungsplätzen neben dem Treff am Wieselweg eine Krippe in Containerbauweise errichtet. Wenn die Kleinkinder dort rausgehen, weil im Jugendstilpark das geplante Kinderhaus errichtet ist, könnten die Jugendlichen aus dem Dino dort übergangsweise rein. Was, wann genau passiert, ist noch offen. Für Tobi Gläser, der 1982 die Einzugsparty im Dino gab, könnte es knapp werden, das Abschiedsfest noch selbst zu veranstalten. Er würde sich wünschen, dass er die Pläne für das neue Dino noch in der Hand halten könne; das ist sein Ziel.

Direkt am Eingang läuft jeder an einem giftgrünen Dinosaurier aus Pappmaché vorbei, den das Dino zum 30-Jährigen vom KJR-Treff in Unterhaching geschenkt bekam. Auf einer Couch daneben sitzt Blendon Xhinova, 20, und tippt auf sein Smartphone. Blendon trifft im Dino Freunde. Ein Kumpel kommt zur Tür herein, beide begrüßen sich mit Handschlag. Er ist Stammgast und war schon bei Ferienfahrten dabei, für die das Dino bekannt ist. "Das war top, das war richtig cool", sagt er, "in Pula." Während Blendon so erzählt, legt Tobi Gläser seinen Arm um ein Mädel. "Wir sind eine Mischung aus Freund und Eltern", sagt er. Zwischendurch wird seine Miene ernster. Angeblich ist der Betrunkene jetzt wieder aufgetaucht. Sobald klar ist, dass sich jemand um ihn kümmert, sagt der Senior im Haus nur: "Auch das gehört dazu."

© SZ vom 20.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: