Haar:Bewährungsprobe bestanden

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"Ich gehe jeden Tag gerne ins Rathaus", sagt Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller. (Foto: Angelika Bardehle)

Im Hochhausstreit hat Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller gezeigt, dass sie die nötige Härte für das Amt mitbringt

Von Bernhard Lohr, Haar

Gabriele Müller (SPD) hat in Haar nicht nur ein Amt übernommen. Sie hat vor einem Jahr eine Ära beendet, an deren Ende der Bürgermeister und die Gemeinde zu einer Einheit verschmolzen waren. 22 Jahre lang war Helmut Dworzak Bürgermeister in Haar, und als es daran ging, Abschied von diesem zupackenden Charakter zu nehmen, brachte die Stimmungslage vielleicht niemand so treffend auf den Punkt wie der bekennende Haar-Fan Harald Lesch. Er könne sich ein Universum ohne einen Bürgermeister Dworzak nicht vorstellen, sagte der bekannte Moderator von Wissens-Sendungen. Ein Jahr später kreist die Erde immer noch um die Sonne. Seit kurzem hängt ein Schwarzweißbild von Dworzak im Rathausflur neben denen der anderen Bürgermeister. Er ist Geschichte, und Müller gewinnt an Profil.

Müller war Dworzaks Wunschnachfolgerin und vielen Haarern als die freundliche Zweite Bürgermeisterin mit dem gewinnenden Lachen bekannt. Mancher fragte sich freilich, ob sie die Härte für das Amt an der Spitze mitbringen würde. Und dann kam die Belastungsprobe. Die Gemeinde erlebte mit dem Hochhaus-Streit und der folgenden Auseinandersetzung über eine mögliche Beeinflussung des Bürgerentscheids einen Monate währenden Grabenkampf, in dem Müller auch persönlich in die Schusslinie geriet. Und sie zeigte eine für manche provozierende Standfestigkeit. In der städtebaulichen Frage habe sie aus "Überzeugung" nicht nachgeben können, sagt sie rückblickend. Das hätte an den Grundfesten der Politik der vergangenen Jahre gerührt. Auch als gegen sie und die Verwaltung im Rathaus die Vorwürfe wegen eines angeblichen Manipulationsversuchs beim Bürgerentscheid heftiger wurden, wich Müller keinen Millimeter zurück. Es sei eine "harte Auseinandersetzung" gewesen, sagt Müller und spricht von einer "Sondersituation", die das erste halbe Jahr im Rathaus geprägt habe.

Müller war Lehrerin am Sonderpädagogischen Förderzentrum in Poing. Ein manchmal harter Job, wie ihn viele Lehrer erleben, von dem Müller manchmal mittags richtig erschöpft nach Hause kam. Heute sind für sie im Rathaus Zwölf- oder 15-Stunden-Tage nicht selten, freie Wochenenden sind die Ausnahme. Und Müller hat schnell erlebt, dass Bürgermeister manchmal richtig was aushalten können müssen. Trotzdem: von Ermüdung keine Spur. Sie komme gelegentlich am Wochenende ins Rathaus, sagt Müller, einfach weil sie gerne hier sei. Die Erfahrung als Lehrerin hilft ihr. Auch Lehrer müssten sich täglich von ihren Schülern in Frage stellen lassen, sagt sie. Das sei ihr vertraut.

Die halbjährige Bewährungszeit mit dem Hochhausstreit zeigte nicht nur, dass Müller etwas durchstehen kann. Sie offenbarte auch, woraus Müller ihre Kraft schöpft. Sie stellte sich stets demonstrativ schützend vor die Rathausverwaltung und sagte, mitten in der heißen Phase: "Glauben Sie mir, ich gehe jeden Tag gerne ins Rathaus." Und jetzt, nochmal ein halbes Jahr später, setzt sie sogar noch eins drauf und bekennt, strahlend, in ihrem Amtszimmer sitzend: "Ich bin total glücklich hier." Müller hat sich voll und ganz dem Amt verschrieben und das Wohlergehen ihrer Haarer zu ihrem Anliegen gemacht. Sie spricht von "meinen Schulen", wenn es um die künftige Schulentwicklung geht. Sie zeigt sich persönlich betroffen, wenn sie darüber berichtet, wie eine Haarer Familie mit vier Kindern und wenig Geld in der Tasche kämpft, die Mietwohnung halten zu können. Und sie lässt sich trotz vieler Termine vor allem eins nicht nehmen: den Besuch bei den vielen Jubilaren zu runden Geburtstagen. 772 solcher Jubiläen gab es, seit Müller Bürgermeisterin ist. 700 Jubilaren hat Müller die Hand geschüttelt, hat mit den Leuten über ihre kleinen und manchmal auch großen Sorgen geredet. Meist schiebt sie solche Termine in der Mittagspause rein. "Das sind Kontakte, die ich sehr schätze", sagt sie. Es ist da wie früher schon, als sie als Zweite Bürgermeisterin in Vertretung von Helmut Dworzak solche Termine wahrnahm.

Die heute 55-Jährige übernahm ein geordnetes Haus von ihrem Amtsvorgänger. Ihr blieb sogar noch das Vergnügen, das vom Vorgänger in die Wege geleitete neue Poststadel-Bildungszentrum in der Ortsmitte zu eröffnen. Und doch: Müller erlebte noch in den letzten Monaten unter Dworzak, wie schnell sich die Verhältnisse ändern. Der Streit um den Bau von Hochhäusern zeichnete sich schon ab, die Einbrüche bei der Gewerbesteuer engten die Bewegungsfreiheit schon ein. Dazu kam dann noch die Genehmigung einer Realschule in Haar durch den Freistaat. Mittlerweile kämpft Müller an vielen Fronten. Bürgerbeteiligung ist ein großes Thema. Die Frage, wie zahlungskräftige Unternehmen nach Haar geholt werden können, wird drängender. Und die Schullandschaft steht vor einer kompletten Neuordnung.

So versteht in der Gemeinde derzeit jeder sofort, was Müller meint, wenn sie sagt: "Jetzt ist die Zeit, in der Haar Weichen stellen muss." Vor dem Hintergrund dieser durchaus komplizierten Gemengelage setzte der Gemeinderat kürzlich ein bemerkenswertes Zeichen. Mit Ausnahme von einer Stimme wurde in parteiübergreifender Einigkeit ein 13-seitiges Papier mit Leitlinien verabschiedet, das auf allen Handlungsfeldern die Richtung vorgibt, in der es in den nächsten sechs Jahren weitergehen soll. Sie sei stolz auf dieses Signal der Einigkeit, jetzt ein Jahr nach ihrem Amtsantritt im Rathaus, sagt Müller. Kein Parteienstreit, nein: "An der Stelle ist der Gemeinderat wieder das Kollegialorgan, das er sein soll."

Den Rücken hat Müller nach den schwierigen Anfangsmonaten also wieder frei, um das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Dass sie zupackend Lösungen finden kann, zeigte sich in der Reaktion auf die Kita-Krise, als Eltern die Gemeinde anprangerten, weil Erzieherinnen fehlten und Betreuungszeiten in Frage standen. Erst kürzlich ging Müller mit einem ausgefeilten Bürgerbeteiligungsprojekt am umstrittenen Hochhaus-Areal in die Offensive. Dabei muss sie die über Jahre unter Dworzak gewachsenen Spielregeln in der Gemeinde weiterentwickeln. Die stärker gewordene CSU fordert mehr Gehör ein, auch Grüne und Freie Wähler reden mit. Von mehr Bürgerbeteiligung sprechen in Haar alle. Die richtige Balance sei für sie wichtig, sagt Müller, das heißt: einen Standpunkt zu haben, und zugleich für Argumente offen zu sein. Letzteres hat Müller gerade zuletzt vermehrt bewiesen. Eine Ausweitung des Kiesabbaus: mit ihr nicht zu machen. Gewerbebetriebe, die Lärm und Schmutz bringen, aber wenig Gewerbesteuer: auch nicht. Die Argumente seien entscheidend, sagt sie. Ihre Richtschnur sei, in Haar die Lebensqualität zu erhalten und zu erweitern. Ihre Handschrift, sagt sie, werde bald zu erkennen sein.

© SZ vom 22.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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