Grünwald:Erinnerungen an die Ewigkeit

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20 mal elf Meter großes Rechteck, umrahmt von dunkler Erde: Bei Ausgrabungen in Grünwald wird ein spätkeltisches Urnenfeld entdeckt. Archäologen untersuchen den Fund, ehe er unter dem Haus der Begegnung verschwindet

Von Claudia Wessel, Grünwald

"Wir stehen hier auf dem Kies aus der Eiszeit", sagt Stefan Biermeier. "Die war vor rund 12 000 Jahren zu Ende." Es ist ein beeindruckender Moment - jedenfalls für einen Neuling auf einer Ausgrabungsfläche. Grabungsleiter Biermeier und Grabungstechniker Adolf Dransfeld dagegen halten sich nicht damit auf, Gedenkminuten an die Ewigkeit einzulegen. Zu oft hatten sie schon Kontakt mit Erdschichten, die Zeugen einer weit entfernten Zeit sind. Und mit dem, was diese Schichten zutage fördern.

Auch bei unserem Besuch auf der vorläufig letzten Grünwalder Ausgrabungsstelle an der Ecke Oberhachinger- und Tobrukstraße gegenüber vom Gymnasium, wo das Haus der Begegnung entstehen wird, gibt es daher einfach nur Fakten. Man hat an dieser Stelle einen Grabgarten freigelegt. Dem Baggerfahrer - "ein sehr erfahrener Mann", sagt Biermeier - ist es gelungen, die Humusschicht mit der nicht gerade feinfühligen Baggerschaufel genau bis zum Eiszeitkies wegzuräumen. Darunter kam dann die Entdeckung zum Vorschein: Ein 20 mal elf Meter großes Rechteck, eingerahmt von dunkler Erde.

Angelegt worden ist es etwa um 100 vor Christus, in spätkeltischer Zeit, sagt Biermeier. In Abständen sind inzwischen viereckige Löcher in die dunklen Ränder des Rechtecks geschaufelt worden, so dass man das Profil der Erdschichten sieht: Man erkennt, dass einstmals dieser rechteckige Graben ausgebuddelt worden ist. Biermeier erklärt, dass man seinerzeit wohl die ausgegrabene Erde in der Mitte angehäuft und darin Urnen bestattet hat. Der Graben stand damals offen, verfüllte sich aber im Laufe der Jahrtausende wieder. Der Fund wird nun von den Archäologen der Firma SingulArch, die im Auftrag der Gemeinde Grünwald tätig ist, genau dokumentiert und für die Nachwelt festgehalten. Bevor dann alles unter dem Haus der Begegnung verschwindet.

Auch kleinste Knochenreste werden dokumentiert. Einst wird hier das Haus der Begegnung stehen - über einer spät- keltischen Urnengrabstelle. (Foto: Catherina Hess)

Auf diesem letzten unberührten gemeindeeigenen Stück Bauland in Grünwald scheint der archäologische Befund allmählich auszudünnen, erklärt Biermeier. Deutlich dichter war er in den ersten Abschnitten, bei der Errichtung der Parkgarage, dem Bau des Kindergartens an den Römerhügeln und dem Gymnasium. Große Löcher voller zerschlagener Keramik und Resten von Tierknochen deuteten auf Überreste ritueller Feiern hin. Unter dem Gymnasium kam ein mit Stein eingefasstes, 4000 Jahre altes Grab zutage, das inzwischen im Gymnasium nachgebaut unter Glas steht. Und die Grundrisse zahlreicher alter Bauten, die damals auf Pfählen standen, deren Löcher man noch findet. Neben dem Sportplatz des Gymnasiums ist der Grundriss eines Apsidenbaus markiert. Wundervolles Material für den Geschichtsunterricht, wie Schulleiterin Birgit Korda sich freut.

Dass es das Grab im Gymnasium, die dazugehörige Ausstellung sowie die Restaurierung von Fundstücken aus Grünwald und deren wissenschaftliche Untersuchung überhaupt gibt, ist zum großen Teil dem Engagement des CSU-Gemeinderats Wolfgang Kuny zu verdanken - der übrigens gerade für sein vielfältiges Engagement die Bundesverdienstmedaille erhalten hat. Da er sich seit jeher für Geschichte interessiert, hat er schon bei den ersten Funden 2009 auf dem Gelände der Parkgarage Recherchen auf eigene Faust angestellt, was die Kosten einer Aufarbeitung betrifft. "Ich bin da erst mal reingegangen und hab gefragt", erinnert er sich und meint das Bayerische Amt für Denkmalpflege, das ihm dann auch den Kontakt zum Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Ludwig-Maximilians-Universität unter Leitung von Professorin Carola Metzner-Nebelsick vermittelte.

Kuny ließ von den Fachleuten einen detaillierten Projektplan erstellen, die Kosten beliefen sich für den ersten Teil auf etwa 90 000 Euro. Mit dem professionellen Plan überzeugte er den Gemeinderat, das Geld zur Verfügung zu stellen. Inzwischen hat Grünwald etwa 400 000 Euro für die Verwertung der Grabungsfunde ausgegeben und mindestens 30 000 Euro werden noch dazu kommen. Verwendet wurde das Geld für die Restauration der Funde sowie für bisher vier wissenschaftliche Mitarbeiter von Professorin Metzner-Nebelsick. "Innerhalb der Forschung bemühen wir uns auch immer um externe Geldgeber", erklärt sie. Grünwald ist in ihren Augen eine der "wunderbaren Ausnahmen" bei den Gemeinden, denn sie konnte durch deren Budget schon eine Master-Arbeit und Teile von Doktorarbeiten finanzieren. Derzeit arbeitet eine weitere Mitarbeiterin daran, die restaurierten Funde aus Grünwald zu einer permanenten Ausstellung zusammenzustellen. Sie soll im Herbst im Gymnasium eröffnet werden.

Stefan Biermeier, der Leiter der Ausgrabungen (rechts), und sein Mitarbeiter Nils Determayer dokumentieren an der Ausgrabungsstelle alles. (Foto: Catherina Hess)

Da die Weiterverwertung von archäologischen Funden für Gemeinden keine Pflicht , sondern freiwillig und natürlich eine Geldfrage ist, wird das Thema oft vernachlässigt. "Außer Grünwald gibt es nur noch zwei Städte in Oberbayern, die wissenschaftliche Auswertung archäologischer Ergebnisse auf eigene Rechnung machen", sagt Jochen Haberstroh, stellvertretender Abteilungsleiter im Bayerischen Amt für Denkmalpflege. Ein Grund dafür, dass zahlreiche Funde oft ziemlich lange auf eine Weiterverarbeitung warten. So bewahrt das Amt für Denkmalpflege in seinem Zwischendepot im ehemaligen Hauptzollamt in München auf einer Fläche von rund 850 Quadratmetern Tausende von Kisten und Kartons voller archäologischer Funde aus ganz Bayern auf.

Professorin Metzner-Nebelsick sieht darin wertvolles Material für die Forschung: "Irgendwann wird sich jemand damit befassen, das geht ja nicht verloren." Doch für die meisten der Funde, die sich in Bayern im Besitz derjenigen befinden, auf deren Grund sie gefunden wurden, müssen ziemlich lange darauf warten, dass jemand sie wieder entdeckt oder restauriert.

Die Grünwalder Kisten auf etwa sieben Quadratmetern in etwa 130 "Verpackungseinheiten" hatten wirklich großes Glück und nahmen in diesem Wartesaal sofort eine bevorzugte Stellung ein. Sie wurden - kaum aus der Erde geborgen - schon geehrt und gewürdigt. Weil die Gemeinde selbst das Geld dafür bereit stellt. Und es sich eben auch leisten kann. Dieses schnelle Interesse freut alle Beteiligten, nicht zuletzt auch die Ausgraber von SingulArch. "Grünwald ist eines der wenigen Beispiele dafür, dass unsere Funde zeitnah verarbeitet werden", sagt Biermeier. Da macht natürlich auch die ganze Arbeit gleich viel mehr Spaß.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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