Grünwald:Bis der Funke überspringt

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Großer Auftritt der kleinen Sängerinnen beim Ferienprogramm im Grünwalder August-Everding-Saal. (Foto: Claus Schunk)

Der perfekte Auftritt will gelernt sein. In Grünwald bringt Sängerin Claudia Sommer im Ferienprogramm Kinder auf die Bühne

Von Claudia Wessel, Grünwald

Es sind die Kleinigkeiten, an denen ein guter Aufritt scheitern kann. Die Künstlerin kommt auf die Bühne gesprungen, anstatt gemessenen Schrittes zu gehen. Ihre Hände zappeln vor dem Körper herum, anstatt entspannt herunterzuhängen. Die Finger spielen mit dem Mikrofonkabel, so dass ein unangenehmes Geräusch ertönt. Die Sängerin schaut verdruckst unter sich anstatt ins Publikum, sie spielt mit dem Saum ihres Glitzerkleides, anstatt souverän dreinzuschauen.

Fast könnte man meinen, all diese kleinen Fallstricke seien schwieriger zu bewältigen, als einfach gut zu singen. Die fünf Teilnehmerinnen der "Gesangsshow" im Grünwalder Ferienprogramm lernen von Seminarleiterin und Sängerin Claudia Sommer jedenfalls all das. Zumindest hören sie es immer wieder. Das alles dann aber auf einen Schlag zu beherzigen und umzusetzen ist natürlich nach fünf Tagen nicht so einfach.

Doch darauf kommt es auch letztlich bei dem Workshop nicht an, sondern eher darauf, mutig zu experimentieren und dabei viel zu lernen. Zum Beispiel zu erfahren, dass Singen auch ein wenig mit Schauspielerei zu tun hat, jedenfalls wenn man es auf der Bühne tut. Man sollte also dabei aus sich heraus gehen, etwas von sich zeigen. Um dies zu üben, gibt es beim Workshop den Gefühlskreis. Die Teilnehmerinnen Johanna, Anisah, Pauline, Chiara, alle zehn Jahre alt, und Maya, acht Jahre alt, stehen mit Claudia Sommer im Kreis. Sie suchen sich ein Gefühl aus, etwa Trauer, Fröhlichkeit, Schüchternheit, und dann versucht jede von ihnen, dieses Gefühl ohne Worte auszudrücken, einfach mit Mimik und Körpersprache. Dabei soll es sich von einer Person zur nächsten steigern, von "ein bisschen traurig" bis zu "sehr traurig".

Wer bei dieser ungewohnten Übung, die durchaus auch ein bisschen peinlich sein kann, mitgemacht hat, hat schon einen großen Schritt zu mehr Lockerheit auf der Bühne getan. Aber es ist halt erst mal nur ein Schritt. Stehen die kleinen Damen dann auf der Bühne, alle in schönen Glitzerkleidchen, dann siegt bei der einen oder anderen doch noch das ungewohnte Gefühl, vom Publikum angeschaut zu werden, weshalb ein Finger sich um den Glitzerrocksaum wickelt; oder es überwältigt sie die Angst, den Text zu vergessen, weshalb der Blick starr auf dem Zettel haftet, obwohl eigentlich alle längst die Texte der vier Lieder auswenig können. Dazu kommt die unbeantwortete Frage, was man mit den beiden Armen macht, wenn man sie nicht benutzt, weshalb sie sich auf alle möglichen Weisen umeinanderwickeln.

Aber dafür ist ja eben Claudia Sommer da. Die erfahrene Sängerin und Dozentin kennt alles, was beim Singen auf der Bühne passieren und Schwierigkeiten bereiten kann, aus eigener Erfahrung. "Singen ist etwas sehr Intimes", weiß sie. "Es macht verletzlich, sich zu zeigen." Es ist aber andererseits auch eine große Freude, genau das zu tun - sein Inneres nach außen zu kehren, überwältigende Gefühle in die Stimme und in die Lieder zu legen und damit die Zuhörer in den Bann zu ziehen.

Es gibt schon einige Momente am vierten Tag des Workshops, an dem noch viele Kleinigkeiten schief gehen, in denen man als Zuhörer in den Bann gezogen wird. Etwa wenn Anisah auf die Bühne kommt, sich ans Klavier setzt und "Für Elise" spielt, mit einer souveränen Selbstverständlichkeit. Wenn Pauline endlich ihre Arme vergessen hat und mit großen Augen quasi im Mikrofon versinkt. Wenn Chiara in ihrem Spitzenkleidchen an der richtigen Stelle die Arme nach hinten wirft und Maya ihren Rocksaum loslässt, weil sie ins Singen vertieft ist.

Oder wenn Johanna und Anisah einander gegenüberstehen, sich anschauen, jede mit einem Mikro in der Hand, und den Refrain des Liedes "Lieblingsmensch" von Namika singen: "Hallo Lieblingsmensch, ein Riesenkompliment, dass du mich so gut kennst, bei dir kann ich ich sein, verträumt und verrückt sein." Dann springt bei dem Vortrag der Funke über. Und der Zuschauer ist sich in dem Moment sicher: Noch ein paarmal üben, dann klappen bei den Gesangsschülern auch die Kleinigkeiten.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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