Grasbrunn:Tante Emma gibt auf

Lesezeit: 2 min

Ein Stück Geschichte ist dieser ehemalige "Tante Emma Laden". Auch in Grasbrunn gibt Charlotte Seitner ihr Lebensmittelgeschäft jetzt auf. (Foto: Bauersachs)

Nach 57 Jahren schließt Charlotte Seitner ihren Lebensmittelladen in Neukeferloh. Der Weg zum Einkaufen wird für viele am Ort länger.

Von Christoph Hollender, Grasbrunn

Das Obst duftet noch. Zwischen den hellen Holzregalen funkeln ein paar rote und gelbe Äpfel, in einer Ecke leuchten Orangen und Zitronen. Frische sei ihr immer am Herzen gelegen, sagt Charlotte Seitner. Fast täglich sei sie oder eine ihrer Mitarbeiterinnen nach München zum Großmarkt gefahren. Seit dieser Woche aber fährt niemand mehr. Das Gemüse in dem kleinen Laden wird von Tag zu Tag weniger, die ungefüllten orangefarbenen Plastikkisten immer mehr. Auch die Regale leeren sich. Denn am Samstag wird Charlotte Seitner ihr Lebensmittelgeschäft in der Gartenstraße in Neukeferloh zum letzten Mal öffnen. Bis mittags um zwölf. Dann ist Schluss. Nach 57 Jahren.

Dass sie ihren Laden zusperrt, sei kein Zwang. Irgendwie sei eben die Zeit reif, erzählt sie, zwinkert mit den Augen und wirkt dabei wehmütig. Leicht sei das keinesfalls, schließlich sei sie in dem Laden, den ihre Eltern 1959 aufmachten, groß geworden. Das Geschäft sei ihr Leben. "Man wächst hinein, die Arbeit war selbstverständlich. Ich kenne es nicht anders", sagt die Inhaberin. Dann winkt sie mit ihrer Hand durch die Luft, als wolle sie sagen: egal. "Man muss nicht alles erzählen." Nur so viel: "Es ist Zeit für mich, aufzuhören."

Dass sie verdient hat, in Rente zu gehen, finden auch die Kunden. Ein trauriges Gefühl aber bleibt. Schließlich war das Geschäft mehr als ein Lebensmittelladen. Es war Treffpunkt für Jung und Alt, ein Ort zum Ratschen, aktueller als jede Zeitung.

Die Körbe und Regale werden leer: Am Samstag schließt der kleine Tante-Emma-Laden in der Neukeferloher Gartenstraße. (Foto: Claus Schunk)

Charlotte Seitner geht um die Kasse herum, die im vorderen Teil des Ladens nahe dem Eingang Mitte steht und geöffnet ist. Ein paar Münzen spitzen heraus. Obwohl es eng und vollgestellt ist, strahlt der Raum Ruhe aus. Als wäre die Zeit stehen geblieben, zwischen den Holzregalen, den Zeitschriften, dem Waschmittel und den Dosen Ravioli in Tomatensoße. Über die orangebraunen Bodenfliesen sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Kunden geschlendert, ohne Stress oder Hektik, wie es in den Discountern und Supermärkten heute oft der Fall ist.

"Wir haben Kunden, die kaufen seit 1959 bei uns ein", erinnert sich Charlotte Seitner. Für die dürfte es besonders bedauerlich sein, dass der Laden jetzt schließt. Wo sie in Zukunft einkaufen, wissen sie nicht. Der nächste Supermarkt ist jenseits der B 304, für alte und gehbehinderte Menschen unerreichbar. Aber auch Familien mit kleinen Kindern schätzten die Möglichkeit, in der Nähe, zu Fuß einkaufen zu können. Irgendwie hoffen sie alle, dass der Laden doch bleibt. Mit einer anderen Chefin vielleicht?

Charlotte Seitner winkt wieder ab. Dieses Jahr wird der zweite Abschnitt der Gartenstraße saniert. Dann ist das Geschäft kaum oder nur schwer erreichbar. Das war schon voriges Jahr so, als der erste Teil der Straße gesperrt war. "Die Kunden blieben immer öfter aus", sagt Seitner. Auch die Lieferanten hatten es schwer. Das habe sie nachdenklich gemacht.

Als ihre Eltern das Geschäft im eigenen Haus eröffneten, waren viele Grasbrunner froh. Vor allem Kartoffeln seien in großen Mengen verkauft worden, zentnerweise, erinnert sich Seitner. Aber auch offene Milch kam gut an. Vieles sei damals noch offen angeboten worden, ohne Plastikverpackung. Den Zucker habe man aus Säcken geschaufelt, genau wie das Mehl. 1966 wurde der Laden erweitert - auf 134 Quadratmeter. So "groß" ist er noch immer. Es gab frisches Brot, Molkereiprodukte und nach und nach Feinkost. "Was die Menschen eben wollten", sagt die Chefin.

Es lief gut, eine stabile Stammkundschaft hielt den Laden am Laufen. Auch als größere Supermärkte wie Tengelmann im Technopark aufmachten, sei die Kundschaft treu geblieben. Der Laden war eben ein Teil Grasbrunns und Neukeferlohs. Am Samstag tippt Charlotte Seitner das letzte Mal Preise in der Kasse ein. Dann ist ihr Laden ein Stück Ortsgeschichte.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Umweltschutz
:In diesem Supermarkt gibt es keine Verpackungen

Alle Produkte des neuen Münchner Ladens sind bio, viele stammen aus der Region. Was nicht dabei ist: Fleisch.

Von Andreas Schubert

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: