Garching:Wächter der digitalen Revolution

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Manfred Broy ist Präsident des Zentrums Digitalisierung Bayern. Es soll Netzwerke schaffen und Forschung und Wirtschaft miteinander verbinden. (Foto: Catherina Hess)

Neue technische Möglichkeiten verändern die Gesellschaft rasant. Das Zentrum für Digitalisierung Bayern mit Sitz in Garching soll helfen, Chancen zu nutzen und Risiken in den Griff zu bekommen. Beteiligt sind Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen aus dem ganzen Freistaat.

Von Gudrun Passarge, Garching

Die Revolution ist längst im Gange. Roboter liefern das bestellte Essen an die Tür, Autos fahren zum Teil selbst, Fitness-Armbänder optimieren das Training oder klären über Schlafzyklen auf. Daten überall und zu fast jedem Zweck einsetzbar. "Mit fast affenartiger Geschwindigkeit ist das Thema Digitalisierung für jeden Einzelnen bedeutsam geworden", sagt Manfred Broy. Der Informatikprofessor an der TU München ist Präsident des neu geschaffenen Zentrums Digitalisierung Bayern (ZDB). Es soll die Aktivitäten auf diesem Gebiet bündeln und das Thema in den Bereichen Forschung und Wirtschaft wie auch in der Gesellschaft voranbringen.

Digitalisierung ist für viele ein abstrakter Begriff, der sich nicht so leicht fassen lässt. Nebulös irgendwie, wie die Wolke, in der die Daten gespeichert werden. Was nicht überrascht: Der Informatiker Broy kann sich noch an Zeiten erinnern, da war sein Studienfach "ein Nischenthema, eine Labordisziplin", von der die meisten Gesprächspartner überzeugt waren, dass es nichts mit ihnen und ihrem Leben zu tun habe. Das hat sich allerdings grundlegend geändert.

Selbst Informatiker werden in Erstaunen versetzt

"Die Welt ist in einem Maße digital geworden, das selbst Informatiker in Erstaunen versetzt hat", sagt Broy, der auch von der größten Veränderung in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts spricht. Nun ist es am ZDB, das Thema in der Öffentlichkeit aufzubereiten, zu erklären, was es bedeutet, damit der Einzelne nicht das Gefühl habe, es komme ein Sturm, der über ihn hinwegfege. "Die Menschen sollen wissen, wie es funktioniert und was es bedeutet", sagt Broy. Für den Einzelnen genauso wie für die bayerische Wirtschaft.

Die Menschen haben die neuen Techniken meist schon in ihren Alltag integriert. Bestellungen übers Internet, der Navi im Auto, alles Dinge, die kaum jemand noch missen möchte. Auch für die Wirtschaft ergeben sich daraus ganz neue Ansätze und manche, die den Zug der Zeit nicht rechtzeitig erkannt haben, geraten in Schwierigkeiten. Broy nennt als Beispiel die großen Versandhandel, die bis auf wenige verschwunden seien. Auch in anderen Branchen, wie etwa den Medien, stünden "irrwitzige Veränderungen" an. Ende offen: "Keiner weiß genau, wie das ausschauen wird." Genau das herauszufinden, sei aber der Auftrag des Zentrums: "Umso mehr wir das verstehen, wie wir das selber nutzen können, umso mehr können wir den Prozess gestalten."

Großes Potenzial in der digitalen Medizin

Das Zentrum, das vom bayerischen Wirtschaftsministerium unterstützt wird, arbeitet seit vergangenem Jahr von Garching aus. Dort hat es einen Flügel im ersten Stock des Gründerzentrums "Gate" auf dem Gelände des TU-Campus bezogen. Etwa 20 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Um das Thema in den Griff zu bekommen, sind Themenplattformen geschaffen worden. Zum Beispiel zur digitalen Medizin. Broy sieht hier großes Potenzial für die Zukunft. Die systematische Auswertung zahlreicher Daten könnte den Weg für neue Therapien oder auch für eine ganz zielgerichtete Behandlung einzelner Patienten ebnen.

Dass man solche Daten auch für andere Zwecke nutzen könnte, dass etwa Krankenkassen oder Arbeitgeber ein Interesse daran haben könnten, das ist auch Broy bewusst. "Man wird sehen, wie man in diesem Spannungsfeld entscheidet. An welcher Stelle erlaube ich die Nutzung der Daten und an welcher Stelle erlaube ich sie nicht?" Ein schwieriges Thema mit vielen Facetten. So erinnert Broy etwa daran, dass man schon jetzt aufgrund der Begriffe, die in Suchmaschinen eingegeben werden auf mögliche Krankheiten schließen könne. Auch da bleibt die Frage, wie das genutzt wird. Genau aus diesen Gründen ist auch die "Sicherheit" eine der Plattformen. "Ein schwieriges Thema, das wir im Moment sicherlich nicht ganz in der Hand haben." Andere Plattformen sind "Vernetzte Mobilität" und "Digitale Produktion".

Das Zentrum trägt nicht umsonst den Namen Bayern im Namen. Es arbeitet übergreifend und hat eine Konzeption für 20 Professuren ausgearbeitet, die über den ganzen Freistaat verteilt werden. Zehn gehen an Universitäten, zehn an Hochschulen, maximal zwei pro Einrichtung. Darunter ist beispielsweise auch eine Rechtsprofessur, die sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzen soll, wie die Daten zu verwenden und zu schützen sind. Broy stellt zur Diskussion, ob nicht beispielsweise Missbrauch von Gesundheitsdaten unter Strafe gestellt werden sollte, damit Versicherungen nicht auf die Idee kommen, die Informationen über Erkrankungen in ihre Bewertungen der Versicherten einfließen zu lassen.

Die Systeme sollen dem Menschen dienen, ohne seine Würde zu verletzen

Die Entwicklung schreitet schnell voran, jeden Tag hört man von neuen Errungenschaften, wie dem Soundshirt, das es Konzertbesuchern ermöglicht, die Fugen Bachs durch Vibrationen am Körper hautnah mitzuerleben, eine Erfindung, die ursprünglich für Gehörlose konzipiert war. Es wird noch mehr Veränderungen geben, Lebensmittel ordernde Kühlschränke, Waschmaschinen, die man über das Smartphone einschaltet - all das ist keine Zukunftsmusik mehr. "Es ist eine große Herausforderung, die Systeme so zu gestalten, dass sie den Menschen optimal zu Diensten sind", sagt Broy. Und fügt hinzu: "Und ihm in seiner Menschenwürde am wenigsten schaden." Diese menschenzentrierte Herangehensweise sei im Moment in der Forschung noch zu wenig reflektiert.

Viel Arbeit also für das Zentrum Digitalisierung Bayern, das vernetzen und Initiativen auf den Weg bringen will. Auch in den Schulen. "Wir arbeiten eng mit dem Kultusministerium zusammen", erklärt der Präsident und stellt die Frage, wie sich der Geografie-Unterricht in Zeiten von Google-Maps verändert hat, ob Schüler Tablets in der Schule einsetzen sollten und ob auch E-Books Einzug halten. Die Antworten sind noch offen. Fest steht für Broy nur: "Die Schule muss sich deutlich verändern." Nicht nur sie.

© SZ vom 02.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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