Folge 11:Die Natur schlägt zurück

Lesezeit: 3 min

Die Geschichte der Bergergrube erzählt vom Kiesabbau, tiefen Wunden und einem wundersamen Wandel

Von Christina Hertel, Ismaning

Klaus Thoma drückt ein paar Äste zur Seite, geht mit seinen Lederschuhen einen Schritt nach vorne. Aber dann sind da nur noch mehr Äste, noch mehr Blätter, Brennnesseln, Büsche, Gestrüpp. "Ich komme nicht weiter", sagt er. Klaus Thoma, 75 Jahre alt, Arzt, Experte für Pflanzen, Vorsitzender der Bürgergemeinschaft für Landschaftspflege in Ismaning, ein Mann in beiger Hose und weißblau gestreiftem Hemd, will die Bergergrube zeigen. Das ist ein Naturdenkmal, das sich gerade noch so im Landkreis München befindet - nördlich des Ismaninger Ortsteil Fischhäuser und südlich von Freising. Die Natur hat sich im Laufe der Jahre die Grube zurückerobert, sodass man sie nur noch an wenigen Stellen anschauen kann. Eine befindet sich ein paar Meter weiter. Man sieht dort einen Abhang, alle möglichen Bäume: Eiche, Esche, Birke, Weide. Und Sträucher, Himbeere und Brombeere. Von dort aus geht es so steil hinunter, dass Klaus Thoma von einem Abstieg abrät - schließlich müsste man dann auch wieder hinauf. Also bleibt der Blick von oben und die Frage: Das soll es gewesen sein? Tatsächlich lassen sich anhand der Bergergrube - auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht - viele Geschichten erzählen und noch mehr Fragen stellen. Zum Beispiel, welche Art von Natur schützenswert ist. Und ob man, wenn man etwas schützen möchte, anderes zerstören müsste.

Klaus Thoma verfolgt den Wandel der Grube nördlich von Ismaning seit Langem. (Foto: Robert Haas)

Die Bergergrube ist fünf Hektar, also etwa sieben Fußballfelder, groß und 15 Meter tief. Einem Landwirt namens Peter Berger gehörte dieses Areal einst. Er wollte, so erzählt es Thoma und so bestätigt es Bergers Sohn Josef, Mitte der Sechziger einen Stall bauen, brauchte dafür Kies und baute ihn auf seinem eigenen Grundstück selbst ab. Weil er so gute Qualität hatte, begann er später, ihn zu verkaufen. Das Landratsamt erlaubte ihm, bis zum Grundwasser, also etwa 15 Meter tief, zu graben. Nach etwa zehn Jahren hätte Berger die Grube wieder zuschütten sollen, doch es kam anders.

In der Grube nördlich von Ismaning ist heute ein Dickicht. (Foto: Robert Haas)

Umweltschützer entdeckten in der Kiesgrube seltene Tier- und Pflanzenarten: den Mauersegler zum Beispiel, welcher der Schwalbe ähnelt. Den Großen Schillerfalter, ein Schmetterling, der so heißt, weil seine Flügel blau schimmern. Blindschleichen und Enzian. Sie alle fanden in der Grube ein Zuhause. Und so wurde die Kiesgrube, die einst Maschinen erschaffen hatten, Anfang der Achtziger zum Naturdenkmal. "Sie glauben gar nicht,", sagt Thoma, "wie viel Schaden Sie in der Natur anrichten müssen, damit daraus ein Biotop wird." Er lacht ein bisschen. Doch das ist nur der erste Teil seiner Geschichte.

In der Grube leben Vögel wie der Schwarzmilan. (Foto: Patrick Pleul)

Die Bergergrube wurde in den folgenden Jahren sich selbst überlassen. Peter Berger verkaufte das Grundstück 1990 an die Bundesbahn. Und die verwendete das Areal als Ausgleichsfläche für den Bau der S-Bahn. Menschen verirrten sich nur selten in die Bergergrube. "Es wurde eine Schranke gebaut, weil man verhindern wollte, dass dort irgendwelche Crossroad-Rennen veranstaltet werden." Die Folge: Die Grube verwilderte. Und manche seltenen Arten, die sich auf dem Kies in der Sonne sonnten und die aus der Grube erst ein Denkmal machten, verschwanden wieder. Hätte also lieber jemand Bäume und Sträucher, die dort mit der Zeit wuchsen, fällen sollen, um die Kiesgrube in ihrem ursprünglichen Zustand zu erhalten? Thoma ist sich nicht sicher. "Es kommt darauf an, was man haben will. Wenn man will, dass Blindschleiche und Mauersegler hier bleiben, kann man das nicht so lassen."

Michael Wagner, der im Landratsamt für den Naturschutz zuständig ist, sieht das anders. "Natur", sagt er, "ist nichts Statisches." Natürlich könne es sein, dass manche Arten, die vor 20 Jahren in der Bergergrube lebten, heute nicht mehr dort sind. Dafür haben andere Tiere in der Grube ein Zuhause gefunden - zum Beispiel verschiedene Vögel: Kuckuck, Hohltaube, Schwarzmilan und Waldschnepfe. 5000 Euro, sagt Wagner, nehme das Landratsamt jedes Jahr in die Hand, um die Bergergrube zu pflegen, um Hölzer zurückzuschneiden und Gras zu mähen. Aber, um die Kiesgrube in ihrem ursprünglichen Zustand zu erhalten, sei ein noch viel größerer, nicht vertretbarer Aufwand nötig.

Aus Wagners Sicht hat die Bergergrube dennoch eine hohe Bedeutung. In der Grubensohle ist das Grundwasser nah an der Oberfläche. Deshalb gibt es dort besondere Gräser, wie das Sauer- oder das Pfeifengras. "Früher war das für das Erdinger Moos üblich. Heute ist das kaum mehr irgendwo so, weil für landwirtschaftliche Nutzung das Grundwasser abgesenkt wurde", erzählt Wagner. "Es ist doch auch aus wissenschaftlicher Sicht interessant, wie sich die Natur verändert." Und er versichert: Es sei nie beabsichtigt gewesen, die Bergergrube zu konservieren.

In der Wochenendausgabe geht es um die Linde von Taglaching.

© SZ vom 18.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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