Bücher für die Jungen:Zwischen den Welten

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Das Jugendliteratur-Festival in Pullach widmet sich Grenzgängern und Reisenden

Von Udo Watter, Pullach

Das Lagerfeuer prasselt, die Brennnessel-Suppe mit Würstchen wärmt das Bäuchlein, und der Mond taucht die Sommernacht in ein sanftes Licht. Charlotte, die Protagonistin in Kirsten Fuchs' "Mädchenmeute" fühlt sich wohl an diesem Abend unter freien Himmel im Ferien-Survival-Camp: "Vorne war mir heiß, innen glücklich." Es ist freilich ein kurzer und relativer Moment der Geborgenheit. "Es war der letzte Abend meines bis dahin normalen Lebens. So ganz normal war dieser Abend auch nicht. Er war genau dazwischen. Wie eine Schwelle zwischen zwei Zimmern. Vom Kinderzimmer ins Jugendzimmer, oder von der Diele nach draußen." In der Tat flüchten Charlotte und die anderen Mädchen kurz darauf ohne ihre Gruppenleiterin und fahren ins Erzgebirge, wo eine von ihnen einen alten Stollen kennt - es wird ein aufregender, bahnbrechender Sommer der Freiheit.

Reisen durch Zeit und Raum, neue Welten entdecken, Schwellen überschreiten - nicht nur die Jugend, aber sie besonders, ist eine Zeit in Bewegung. (Foto: Reuters)

Kirsten Fuchs, die den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 für "Mädchenmeute" gewonnen hat, ist eine der prominentesten Protagonistinnen beim 4. Internationalen Jugendliteratur-Festival in Pullach vom 27. bis 31. März. Das steht heuer im Zeichen des programmatischen Titels "Weltenwanderer", es geht also im weiteren Sinne um: Schwellen überschreiten, Schneisen in die Normalität schlagen, Grenzregionen betreten, neue Räume der Wirklichkeit entdecken - so wie es Charlotte und ihre wilden Mitstreiterinnen in "Mädchenmeute" machen. Kirsten Fuchs wird am Mittwoch, 29. März, in der Charlotte-Dessecker-Bücherei im Bürgerhaus lesen. Einen Tag später wird mit Julya Rabinovich eine weitere preisgekrönte Autorin ihr aktuelles Buch präsentieren: Die 1970 in Leningrad/St. Petersburg geborene Österreicherin hat für "Dazwischen: Ich" den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2017 erhalten. Es ist eine bewegende Geschichte aus der Perspektive eines jungen Flüchtlingsmädchens: Die Heldin Madina ist mit ihrer Familie vor Krieg, Hunger und Bombenhagel geflohen und lebt jetzt in einer Flüchtlingsunterkunft irgendwo in Europa. Dort geht sie zur Schule, verknallt sich in einen Jungen und verbringt jeden Tag mit ihrer besten Freundin Laura. Rabinovich war selber sieben Jahre alt, als sie mit ihren Eltern aus St. Petersburg floh: "Entwurzelt und umgetopft", wie sie das beschrieb. Flucht ist also eine Erfahrung, welche die Autorin schon mehrfach in ihrem Werk verarbeitet hat, so zum Beispiel in dem für den Bachmann-Preis (Auszug) nominierten Roman "Die Erdfresserin".

Organisiert hat das Internationale Jugendliteratur-Festival die Pullacher Bücherei-Leiterin Eveline Petraschka. Für sie ist es wichtig, "die Jugendlichen mit der Möglichkeit zu locken, die Autoren ihrer Lieblingsbücher live zu erleben". Die mehrtägige Veranstaltung, die sich explizit der "14 Jahre plus x-Generation" widmet, findet heuer in der vierten Auflage statt. Nach "Tacheles hören" 2014, "NachtSeiten" 2015, die beide für den Deutschen Lesepreis der Stiftung Lesen nominiert wurden und "Crossover" 2016 - wo unter anderem Bov Bjerg seinen Mega-Erfolgsroman "Auerhaus" vorstellte - ist das Motto in diesem Jahr "Weltenwanderer".

Ein weites, spannendes Feld: Damit kann man analoge, digitale, räumliche oder zeitliche Bewegungen und Veränderungen assoziieren, abenteuerliche Roadtrips, Fluchtgeschichten oder eben Reisen durch Zeit und Raum: "Jugendliteratur setzt ihre Heldinnen und Helden radikal anderen, fremden Welten aus - und lässt sie dadurch selbst zu anderen werden", erklärt Petraschka. In Pullach treten mehrere namhafte Vertreter von Jugendliteratur-Genres auf: So etwa Andreas Eschbach, der international erfolgreiche Autor von Fantasy- und Science-Fiction-Literatur, der "Aquamarin" und als Preview "Submarin" präsentiert sowie die US-amerikanische Newcomerin S. J. Kincaid. Hinzu kommen die Expertinnen für Zeitreisen Lilly Crow und Alina Falk oder die "Thriller-Queen" Alice Gabathuler aus der Schweiz. Jochen Schmidt stellt seinen Roman "Schneckenmühle" vor.

Im Rahmen des Festivals gibt es zudem wieder einen Kurzgeschichtenwettbewerb. Das Thema heuer "Into the Wild - Durch die Wildnis". Das können Abenteuer in der Ferne oder vor der eigenen Haustür sein, in den Ferien oder im Alltag. Verloren gehen auf Kanutour in den Weiten Kanadas oder in einer wilden Disconacht. Mitmachen dürfen 14- bis 19-jährige Jungautoren. Einsendeschluss ist am Montag, 27. März. Das Finale des Kurzgeschichtenwettbewerbs mit Vorlesen ist am Freitag, 31. März in der Bücherei. Die stets umtriebige Eveline Petraschka ist dieser Tage in Leipzig auf der Buchmesse, um Neues zu entdecken. Die Germanistin und promovierte Historikerin pflegt eine große Leidenschaft für die Literatur und schätzt nicht zuletzt die jungen Leser, die aus ihrer Sicht viel mehr drauf haben als es ältere Kulturpessimisten mitunter wahrhaben wollen: "Jugendliche sind so neugierig und so aufgeweckt." Wanderer zwischen den Welten des Kinderzimmers und dem vermeintlichen Ernst des Lebens.

Die Eröffnungsveranstaltung ("Fantasy-Reisen") ist am Montag, 27. März, mit den Autoren S.J. Kincaid und Andreas Eschbach, Beginn 18 Uhr. Das Festival dauert bis zum 31. März. Programm unter www.weltenwanderer.pullach.de. Alle Veranstaltungen sind in der Bücherei im Bürgerhaus. Eintritt je Lesung ist fünf Euro (Tel. 089/74 44 00 11).

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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