Ayings letzter Schmied hört auf:Die Glut lodert noch

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Hans Landerer, Ayings letzter Schmied, gibt auf. (Foto: Claus Schunk)

Die Esse ist erloschen, die Werkstatt geräumt - Hans Landerer, der letzte Schmied von Aying, hängt mit 71 Jahren den Hammer an den Nagel. Doch seine Leidenschaft für das alte Handwerk lebt fort.

Von Michael Morosow, Aying

Im gallischen Dorf von Asterix und Obelix steht der Sänger Troubadix immer wieder kurz davor, von Automatix, dem Schmied, nachhaltig zum Schweigen gebracht zu werden. In dieser Hinsicht hat der in Aying lebende Barde Wolfgang Fierek wenig zu befürchten. Dorfschmied Hans Landerer hat seine Zangen und Hämmer für immer an den sprichwörtlichen Nagel gehängt, und gegen bayerisches Liedgut wie "Resi, i hol di mit'm Traktor ab" hat er ohnehin nichts einzuwenden. Mit Blaumann und roter Mütze steht er in seiner leer geräumten Werkstatt. Zur Erleichterung seines Besuchers verzichtet er auf den Schraubstock-Händedruck zur Begrüßung.

Nicht mehr viel erinnert an die Gluthitze der Esse und das Stakkato des Schmiedehammers. Vier Tage lang hat Hans Landerer mit zwei Helfern die Werkstatt ausgeräumt. Als Letzter wird Jesus die alte Schmiede verlassen. "Des is mein Schutzengel", sagt das Ayinger Original und zeigt auf eine kleine, handgroße Christusfigur aus Eisenguss, die er auf ein Tischchen abgelegt hat. Der Landerer Hans ist ein gläubiger Mensch, geht sonntags in die Kirche und sitzt zudem in der Vorstandschaft des Katholischen Männervereins Tuntenhausen. "Gott sei dank hat mich der Herrgott so stabil gemacht", sagt er.

"Was der Schmied verträgt, zerreißt den Schneider."

Wie viel Irxnschmalz dem Mann in die Wiege gelegt wurde, davon zeugt alleine die Geschichte mit dem Amboss. Als der Schmied noch angestellter Werkmeister in einer Münchner Firma war und diese ihren Betrieb einstellte, bot der Chef zum Spaß jedem seiner Mitarbeiter den 298 Kilogramm schweren Amboss als Geschenk an. Einzige Voraussetzung: Er muss ihn lupfen können. "Dann hab i ihn halt g'lupft", sagt Landerer. Der Amboss wurde zur Grundlage seiner eigenen Schmiede, die er am 1. Januar 1988 in Betrieb nahm.

Wie oft er wohl mit den bis zu zehn Kilogramm schweren Schmiedehämmern mit purer Muskelkraft auf glühendes Eisen geschlagen hat, nicht selten fünf Stunden am Stück, wie der Schmied erzählt? Mehrere Millionen Male sicher, denn der Einsatz eines dampfgetriebenen Fallhammers war ihm nicht möglich. "Unter der Werkstatt ist ein Gewölbe, das wäre sonst eingebrochen", erklärt der Schmied. Einigen seiner Angestellten wäre ein Dampfhammer sicher lieber gewesen, die machten aber vielleicht in der Wahl der Getränke den entscheidenden Fehler. Um vor der 1200 Grad heißen Esse nicht auszutrocknen, genehmigte sich der Meister "fünf, sechs Hoibe" und blieb bis zum Feierabend bei Kräften, "und der Geselle war nach eineinhalb Wasser hi". Dazu muss man freilich wissen, dass die Redewendung, "was der Schmied verträgt, zerreißt den Schneider", auf Hans Landerer trefflich passt.

Wie wehmütig ihn der Abschied von Schmiedehammer und Amboss macht, versteckt der 71-Jährige unter seinem blauen Arbeitsanzug. Von seinem ersten Lehrjahr bei FS Kustermann vor 57 Jahren bis zum Auszug aus seiner Werkstatt war er Schmied mit Leib und Seele. "Schee war's, meine Arbeit war mein Hobby", sagt der Vater zweier Kinder und zeigt seinem Besucher ein altes Eisenkreuz, das er an die Wand gelehnt hat und noch entsprechend beschriften will, quasi als Verserlschmied. Den Text hat er schon auf einem Blatt Papier notiert: "Lieber Gott, ich möchte mir eine Minute Zeit nehmen und Dich mal nicht um was bitten, sondern Dir einfach mal Danke sagen für das, was ich hab." Das Kreuz wird er demnächst neben seiner alten Werkstatt montieren.

Vorbereitung für das Maibaum-Aufstellen in Aying 2014: Dorfschmied Hans Landerer zieht die glühenden Reifen auf, mit Wasser gekühlt ziehen sie sich fest zusammen. (Foto: Claus Schunk)

Je länger man Hans Landerer zuhört, desto sicherer kann man sich sein: Die Esse mag erkaltet sein, aber die Glut in ihm brennt weiter. "Was ich aus dem kleinen Raum alles rausgeholt habe, ist sensationell", sagt der alte Schmied fast ungläubig und schaut auf die leere Stelle an der rauchgeschwängerten Wand, wo vor wenigen Tagen noch die Esse stand.

Der alte Bräu hat den Dorfschmied zum Zuge kommen lassen

Der Ayinger hat von allen seinen größeren Schmiedearbeiten Fotos geschossen, die Bilder füllen drei Alben. Aufnahmen von etlichen Außentreppen, von Hunderten schmiedeeisernen Gartentüren und Balkonen, meist mit filigranen Stilelementen des Leichtbarocks. Aber auch Bilder von größeren Aufträgen, etwa der olympischen Schwimmhalle in München, deren Träger er geschmiedet hat, vor allem aber von der 1999 gebauten Ayinger Brauerei.

Noch heute rechnet es Hans Landerer dem alten Bräu, Franz Inselkammer senior, hoch an, dass er ihn, den Dorfschmied, zum Zuge hat kommen lassen und keine Großfirma mit allen Schlosserarbeiten beauftragt hat. Inselkammer war es auch, der Landerer vor 29 Jahren den Übergang in die Selbständigkeit ermöglicht hat, als er ihm das kleine Gebäude mitten im Ortskern zum Werkstattausbau überließ. Beide sitzen auch heute noch regelmäßig am Stammtisch im Bräustüberl zusammen und holen sich ihre Krüge aus dem Regal, das Landerer einst geschmiedet hat.

Landerer ist am 21. Januar 1946 in Eßbaum (Gemeinde Samerberg) zur Welt gekommen. "Oberhalb einer Schmiede", wie er betont, als müsste er den letzten Zweifel darüber ausräumen, dass sein beruflicher Werdegang Vorsehung war. Sechs Wochen später wurde der kleine Hans Ayinger und ist heute aus der Gemeinde nicht mehr wegzudenken. Bereits als 16-Jähriger durfte der kräftige Bursche als Halblinker in der ersten Mannschaft der Sportfreunde Aying spielen, wo sein Cousin Tore wie am Fließband schoss und er die Vorlagen dazu lieferte. Erst nach einer Meniskusverletzung beendete er seine Laufbahn - als 50-Jähriger.

Seine Ruhmestaten auf dem Fußballfeld mögen inzwischen verblasst sein, aber eine seiner Leistungen für den Klub wird wohl ewig glänzen: Das im Vereinsheim hängende Wappen der SF Aying, gefertigt aus Bronze, Stahl und Damaststahl, ist unter seinem Schmiedehammer entstanden. Es war sein Meisterstück.

Jetzt also soll er Schmied im Ruhestand sein. Doch der Landerer Hans hat zwar seine Werkstatt ausgeräumt, aber Amboss, Schmiedehammer und ein paar Zangen mit nach Hause genommen. Zur Erinnerung, wie er sagt. Wer's glaubt wird selig. Der Barde Wolfgang Fierek sollte jedenfalls weiterhin vorsichtig sein bei der Wahl seiner Lieder.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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