Ausstellung in Ottobrunn:Leidenschaft fürs Kolorit

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Der Maler Henning Stibbe bewegt sich in seinen intensiven Farbwelten zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. In der Galerie "Treffpunkt Kunst" sind jetzt seine Werke zu sehen

Von Franziska Gerlach, Ottobrunn

Wenn Henning Stibbe verliebt ist, dann ist da ganz viel Farbe. Das Bild mit dem schönen Namen "Frisch verliebt", das in der Ottobrunner Galerie "Treffpunkt Kunst" hängt, scheint förmlich zu explodieren vor lauter Wucht, und man denkt sich: Das muss ein sehr intensives Gefühl gewesen sein, das im vergangenen Jahr, als er die abstrakte Komposition in Öl schuf, in dem Künstler wirkte.

Ein Produkt des Zufalls sind diese kraftvollen Farbwelten freilich nicht, die Stibbe, 1969 in Wolfsburg geboren und seit 15 Jahren in München daheim, im Städtischen Atelierhaus am Domagkpark auf die Leinwand bringt. Sein Stil bewegt sich zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, mal ist er dem einen Pol näher, dann dem anderen. Und wenn Stibbe sich auch leiten lässt von seinen Gefühlen, wenn ihn persönliche Erinnerungen oder Erfahrungen zum Malen bringen, so ist das Wissen um den Effekt eines ausbalancierten Zusammenspiels der Farben doch in jedem seiner Bilder spürbar, manche von ihnen stattet er zudem mit Textbausteinen, zarten Zeichnungen oder grafischen Elementen aus. Manchmal lässt er den Pinsel auch ganz weg, malt mit den Fingern. "Im Rausch der Farben" lautet der Titel der Ausstellung, die bis zum 24. Juni im "Treffpunkt Kunst", der Galerie des Kunstvereins Ottobrunn, zu sehen sein wird.

Der Titel "Im Rausch der Farbe", den dieses Werk trägt, kommt nicht von ungefähr. Henning Stibbe taucht tief ein in die Welt der Farben. Repro: Claus Schunk (Foto: N/A)

Als Ewald Mertes im vergangenen Herbst jene Gemeinschaftsausstellung in den Domagkateliers besichtigte, an der neben Vereinsmitglied Andreas Jungk eben auch Stibbe beteiligt war, da war der Vorsitzende des Kunstvereins sogleich "restlos begeistert" von dessen farbintensiven Arbeiten - und lud Stibbe nach Ottobrunn ein. In seiner Eröffnungsrede stellte Mertes später noch Bezüge zu dem französischen Maler Paul Cézanne her, das Leitmotiv des Künstlers aber laute "Esperanza". Das sei Spanisch und bedeute Hoffnung, Sehnsucht - aber auch Lichtblick.

Und nun steht Henning Stibbe also, ein großer Mann in Jeans und T-Shirt und mit reichlich Leidenschaft fürs Kolorit, vor einem seiner Werke. Eine beinahe märchenhafte Aura umgibt das Bild, denn Stibbe hat hier offenbar einen jener Momente eingefangen, in denen der Tag noch ganz unverbraucht ist. Blau schmiegt sich an Türkis, Türkis schmiegt sich an Gelb, zarte, grüne Linien bilden ein Gegengewicht in der Vertikale, alles wirkt schlüssig. Eine Voralpenlandschaft hat er dargestellt, "My favorite landscape" heißt das Bild. Man meint, Wolken zu erkennen, oder sind das doch eher Berge, ein Gletscher vielleicht? Ein Lichtblick ist da aber auf jeden Fall. "Die Farbe steuert viele der Bilder ein Stück weit", sagt er. "Zu einem bestimmten Rotton kommt im Malprozess ein bestimmter Blauton als Akzent oder als Antwort oder überlagernde Replik, und so entsteht eine Komposition." Was der Betrachter sieht in seinen Bildern, ist ihm - wie so oft in der Kunst - natürlich selbst überlassen. Und wer da nicht weiterkommt mit der Vorstellungskraft, der ist auf den ersten Blick zumindest recht beeindruckt von Stibbes versiertem Umgang mit der Ölfarbe, die ja bekannt dafür ist, sich nach einigen Tagen nicht mehr bearbeiten zu lassen. Da ist nicht nur eine gute Intuition am Werk, das ist ganz klar, das muss auch Stibbes jahrelange Erfahrung sein, die ihn farbige Flächen so versiert in ein Spannungsverhältnis setzen lässt.

Henning Stibbe, 1969 geboren, begann in den Neunzigerjahren mit der Malerei. Das Leitmotiv seiner künstlerischen Arbeiten ist "Esperanza" - Spanisch für Hoffnung, Sehnsucht und Lichtblick. (Foto: Privat)

Seit 2003 lebt Stibbe in München, regelmäßig zeigt er seine Arbeiten, etwa 2014 bei der Kunstmesse ArtMuc. Er studierte Kunstgeschichte in Göttingen, schon damals nahm er an Ausstellungen teil, es entstehen Siebdrucke, Comic Art und Plakatentwürfe, die in der Zeitschrift "Cinema" veröffentlicht werden. Während seiner Berliner Zeit, um die Jahrtausendwende, initiiert er eine Künstlergruppe. Während eines Aufenthalts in Sydney organisiert er Kunstevents für das Goethe Institut. Doch er stand wohl nicht am Pazifik in Australien, als er 2016 das Bild "Nota azul del mar" schuf ("Die blaue Note des Meeres"). Die Art, wie das Wasser sich kräuselt, erinnert eher an das Mittelmeer. Ein Sommerhimmel wölbt sich darüber, und trotzdem geht von dem Bild etwas Bedrohliches aus. Denn das Meer, das steht eben nicht mehr nur für grenzenlosen Urlaubsspaß. So wie Stibbe es gemalt hat, erinnert das Meer unwillkürlich auch an die Tausenden von Menschen, die in wackeligen Booten die Flucht nach Mitteleuropa wagen. Ein kompakter Block Schwarz hängt am Horizont, feine Linien gehen davon ab, scheinen das Meer quasi zu zerfurchen. Hätte er die dunkle Farbe nicht richtig dosiert, wäre das Bild wohl ruiniert gewesen. Gerade beim abstrakten Malen verfalle man schnell in einen Rausch, sagt er, mute dem Bild womöglich mehr zu, als ihm gut tue. Doch Stibbe ist einer, der weiß, wann es genug ist.

Die Ausstellung "Im Rausch der Farben" in der Ottobrunner Galerie "Treffpunkt Kunst" dauert bis Samstag, 24. Juni.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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