Aschheim:Gemeinsam aus dem Wellental

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Seit 1995 sind Rosina Duft und ihre Kontaktgruppe eine Anlaufstelle für an Multipler Sklerose Erkrankte. (Foto: Claus Schunk)

Seit Rosina Duft vor 22 Jahren die MS-Gruppe in Aschheim ins Leben rief, schafft sie Bewusstsein für die Krankheit. Jetzt erhielt sie die Bezirksmedaille

Von Irmengard Gnau, Aschheim

Rosina Duft strahlt Stärke aus. Ihre Augen blicken warm und aufmerksam, das elegante weiße Haar ist akkurat gekämmt. Man kann sich gut vorstellen, dass es ihr leicht fällt, Kontakte zu pflegen, dass sie Menschen für sich einnehmen kann. Nur ihre Hände verraten die Aschheimerin. Die Schachtel mit der Medaille, die ihr der Bezirk Oberbayern kürzlich verliehen hat, will sich nicht recht von ihren Fingern öffnen lassen. Duft ist an Multipler Sklerose erkrankt. Seit Jahrzehnten lebt sie mit der Krankheit, die besonders tückisch ist, weil sie sich so unterschiedlich äußert. Wohl keiner der etwa 20 000 Betroffenen in Bayern hat die exakt selben Symptome dieser chronischen Erkrankung des Nervensystems. Die Beschwerden können von leichten Störungen bis zu schweren Lähmungen, Spastiken, Koordinations, Seh- oder Sprachstörungen reichen. "Die Krankheit mit den 1000 Gesichtern" wird Multiple Sklerose, kurz MS, deswegen häufig genannt. Legt man diese Einordnung zugrunde, ist Rosina Duft wohl das Gesicht, das im Landkreis das Bild von MS geprägt hat - als selbstbewusste Betroffene, die im Leben steht und sich und anderen Gehör für ihre Anliegen verschafft.

1995 gründete Duft mit anderen Betroffenen die erste MS-Kontakt- und Selbsthilfegruppe im Landkreis, in Aschheim, wo die gebürtige Ungarndeutsche seit 1950 mit ihrer Familie lebt. "Immer nach dem Motto: Zusammen sind wir stark", sagt sie und lächelt. Dabei war es anfangs schwer, Bewusstsein für die Krankheit zu schaffen. Als Duft im Alter von 19 Jahren erstmals Symptome zeigt, ist über MS noch kaum etwas bekannt. Duft arbeitet als Friseurin in München, als ihr immer häufiger grau vor Augen wird, ihr die Schere aus der Hand fällt. Der behandelnde Arzt vermutet eine Nervenkrankheit, doch es dauert einige Jahre und verschiedene Therapieversuche, bis die Diagnose feststeht. "Es hat gedauert, bis ich akzeptiert habe: Ich habe MS", sagt Duft. Sie erlebt mehrere Schübe der Krankheit, die sie bis in den Rollstuhl zwingt. Doch sie will sich nicht unterkriegen lassen; sie findet Ärzte, die ihr weiterhelfen. Bei jedem Schub kommt sie zur Behandlung nach Kempfenhausen, in eine Fachklinik am Starnberger See. Sie trainiert mit Physiotherapeuten und entdeckt therapeutisches Reiten, Hippotherapie, für sich. Die Familie unterstützt sie sehr, gibt ihr Kraft. "Ohne meinen Mann und meinen Sohn hätte ich das nicht geschafft", sagt Duft. Dann hätte es auch die Kontaktgruppe nicht gegeben. Dank der Unterstützung aber baut sie Selbstbewusstsein auf, sammelt immer mehr Wissen über die Krankheit. "Ich wollte mich und andere informieren", sagt sie.

Das wird ihre Mission. Mit den ersten Mitbetroffenen beginnt Duft, in Aschheim einen regelmäßigen Austausch aufzubauen. Aber zunächst ist es nicht einfach, Gehör zu finden. Die Gruppe brauchte einen Raum, um sich zu treffen, Spendengelder für Unternehmungen oder Therapien; viele Leistungen übernehmen die Krankenkassen nicht oder nur zum Teil. Dufts Durchsetzungsvermögen und ihrem guten Draht zu Aschheimer Entscheidern ist es zu verdanken, dass die Kontaktgruppe schließlich beim Neubau des Betreuten Wohnens mit dabei ist. Seit 2000 haben die Mitglieder dort einen eigenen Gruppenraum, wo sie sich alle 14 Tage treffen. Sie veranstalten medizinische Fortbildungen, eine Logopädin besucht die Gruppe regelmäßig, außerdem hat Duft ein Hippotherapieangebot aufgebaut auf dem nahen Reiterhof Birkenhof.

Selbst Vorbild sein für andere Betroffene, das ist Dufts Ziel. Auch wenn das bedeutet, manchmal hart zu sich selbst zu sein. Welcher Einsatz der ganzen Familie hinter diesem Vorsatz steht, lässt sich nur erahnen. "Wenn mich jemand fragt, warum geht es dir so gut, muss ich doch eine Antwort haben", sagt sie mit einem Lächeln. Die Gruppe ist inzwischen auf etwa 20 feste Mitglieder angewachsen, die aus dem ganzen östlichen Landkreis kommen, einige auch aus München. Für den bayerischen Landesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft ist sie eine Vorzeigegruppe. Dufts Arbeit wird gewürdigt, im November hat sie aus den Händen des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff in Berlin die Goldene Nadel für ihr langjähriges Engagement erhalten. Als Duft die Bezirksmedaille erhält, schicken alle Landkreiskommunen, aus denen Gruppenmitglieder kommen, ihre Bürgermeister. Das macht Duft sichtlich stolz.

Vielleicht noch wichtiger als die Anerkennung von öffentlichen Stellen aber ist, dass das Bewusstsein der Menschen für MS auch im Alltag gewachsen ist. "Es ist auf jeden Fall ein Fortschritt erkennbar", sagt sie. Doch es bleibt viel Überzeugungsarbeit zu leisten - auch für Dufts Nachfolger in der Gruppe. Langsam wird sie versuchen, die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen. Ein Gesicht der MS-Gruppe wird Duft bleiben.

Die MS-Kontaktgruppe trifft sich am Donnerstag, 11. Januar, von 10.30 Uhr an im Betreuten Wohnen, Watzmannstraße 20 in Aschheim. Kontakt über Rosina Duft (Telefon 089/903 29 37) .

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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