Laim:Gut aufgehoben "beim Christian"

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Viele ältere Laimer steuern täglich die "Emma Zone" an, einen Gemischtwarenladen mit Mittagstisch und Poststelle. Denn der Chef hat für alle ein nettes Wort, kocht "wia a Hausfrau" und hilft sogar, wenn daheim etwas zu richten ist

Von Andrea Schlaier, Laim

"Schauen'S", sagt Annelies Elsner und stellt mit sorgfältig manikürten, schmalen Fingern die lachsfarbene Keramiktasse auf dem Unterteller ab. "Des is mein persönliches Tee-Sortiment in dem Kasterl, der Christian füllt es immer für mich auf, weil ich ja jeden Tag zwei Tassen trink'." Die Dame im perlenbestickten Wollpullover ist gerade 88 Jahre alt geworden und deutet auf eine weiß gestrichene Holzbox mit Sichtglasscheibe, die neben ihr auf dem breiten Fenstersims vor dem Schaufenster steht. "Da hab' ich immer Nachschub an meinem Stammplatz". Der befindet sich gleich links vom Eingang an einem kleinen Tischchen mit Maggi-Zucker-Pfeffer-Salz-Arrangement direkt vor der Frischetheke mit warmen Speisen und Frischwurst-Auslage. Die elegante Seniorin lächelt fein unter dem braunen Pagenkopf und schiebt ihr Kinn deutend nach vorne, hinüber zu Christian Holstein, der gerade mit Schweißperlen auf der Stirn frisch gebratene Fleischpflanzerl aus der Küche trägt und von der Pfanne in die vorgewärmte Glasanrichte gleiten lässt. Der 40-Jährige hat am Laimer Pronnerplatz 10 für sich und vor allem viele Nachbarn eine sehr individuelle Interpretation aus Gemischtwarenladen und Kommunikationsplatz geschaffen. Als "Emma Zone" hat der Unternehmer die Melange bezeichnenderweise ins Handelsregister eintragen lassen.

Wer in der von hohen Genossenschaftsblöcken umzingelten flachen Pavillonzeile zum ersten Mal die paar Stufen hinauf zu dieser "Emma Zone" nimmt, ist irritiert: Was ist das hier? Links die Frischtheke mit zwei Café-Tischchen, über einen Durchgang landet man im Mittelteil mit Lottoannahme, Poststelle, Zigaretten-Nische und Süßkram; dieser Schlauch setzt sich in Form eines "Ls" fort in langen Getränkereihen, die scharf in den hinteren Ladenteil abbiegen, wo auf kargen Regalbrettern klassisches Tante-Emma-Sortiment offeriert wird: Milch, Frischgemüse, Zeitschriften, alles da. Hinter der eigenwilligen Melange steht ein ur-marktwirtschaftliches Prinzip: Angeboten wird, was die Kunden nachfragen.

Manchmal braucht es nur einen kleinen Schubser, damit die Kunden und Gäste in der "Emma Zone" miteinander ins Gespräch kommen. (Foto: Florian Peljak)

"Als ich 2003 hier angefangen hab'", erzählt Christian Holstein, "bin ich nur in den kleinen damaligen Schreibwarenladen eingezogen." Der sei irgendwann nicht mehr gelaufen. "Irrsinnigerweise", sagt der gelernte Sozialversicherungsfachangestellte, der einige Zeit auch beim Film als "Cutter und so was" gearbeitet hat, "hab' ich dann eine Wursttheke zwischen die Schreibwaren gestellt. "Die Leute haben mir zuerst den Vogel gezeigt. Aber es lief." Dann machte nebenan "der Schlecker" dicht, Holstein erweiterte um Haushaltswaren. Als nächstes schloss der Getränkemarkt gegenüber seine Tür. Also wurde die Emma Zone um Bier und Limo erweitert; wofür Holstein die angrenzende Ladenfläche dazu mietete. "Die Postdienststelle kam irgendwann auch dazu, und gerade bauen wir einen Elektro-Zigaretten-Shop mit ein." Der Chef setzt sein erstaunlich junges Lausbuben-Lachen auf. Ach ja, und auch wenn er's nicht gelernt hat: Jeden Mittag bietet er selbst gebrutzeltes Mittagsessen an, montags immer Schinkennudeln für 3,50 Euro. Und "wenn's Pichelsteiner gibt, ist immer Senioren-Alarm".

"Der Christian kocht a so, dass ich des vertrage, und ich vertrag' nicht jedes Fett." Annelies Elsner isst hier jeden Mittag. "Ich bin allein und seit ich letztes Jahr nach 71 Jahren als Raumausstatterin mit dem Arbeiten aufgehört hab', mog i nimmer kochen." Jeden Freitag treffe sie sich hier zum Stammtisch mit einer pensionierten Studienrektorin, die vorher nach nebenan zum Friseur gehe. Holstein hat die beiden gewissermaßen zusammengeführt. "Manchmal braucht's ein bisschen Nachhilfe, dass die Leute miteinander ins Gespräch kommen", erzählt er später. Auch wenn bei ihr daheim was "zum Richten" anstünde, sagt die 88-Jährige in schönstem Münchnerisch, komme er vorbei. Wie vor ein paar Tagen, als sie für ihren Fernseher so ein Gerät für 150 Euro habe kaufen müssen. "Du", ruft sie über die Theke, des funktioniert fei nicht, da kommt bloß ein Programm."

Jutta Huber, 70, hat sich inzwischen zu Annelies Elsner gesellt. 2007 habe sie das "Laderl" für sich entdeckt, wo man "nett einkaufen kann und jemand ein nettes Wort für einen hat". Mittags koche sie allerdings gern selber, "obwohl Christian gut kocht, g'schmacklich wia a Hausfrau!" Aber er organisiere ihr, was sie gern möge. "Ich bin zum Beispiel ein Hagebutten-Fan und für mich gibt's hier Hagebutten-Marmelade." Inzwischen drängen Männer im Blaumann ins Geschäft, ordern Schnitzel oder Leberkas-Semmeln, in einer halben Stunde werden die in Schlips und Anzug von den Büroklötzen gegenüber hier anstehen für ein warmes Essen und einen ungestörten Plausch unter Kollegen. Eine junge Frau hievt das riesige Paket, das sie gerade bei Holsteins Mitarbeiterin Nicole Verhouven in Empfang genommen hat, auf den Gepäckträger ihres Holland-Rades und macht sich damit auf den Heimweg.

Vor dem Eingang sitzt Christine Meder, 70, im Rollstuhl, Bärli, ihren sehr kleinen Hund auf dem Schoß. Bei ihr steht Josefine Machart, ebenfalls 70 Jahre alt, beide treffen sich hier jeden Tag um drei viertel acht "ob's regnet oder schneit" auf einen Kaffee und eine Zigarette. "Ich komm' mit dem Rollstuhl schlecht in den Laden, das macht aber nix, weil die mich sehen oder ich an die Scheibe klopfe und sie mir den Kaffee rausbringen", sagt Meder. "Wenn ich mal schlecht beieinander bin, kann ich anrufen und dann bringen sie's mir heim. Das ist so toll!" Den Bring-Service loben sie hier alle. Oft trägt die Waren und Getränke Holsteins Mitarbeiter Horst Jülke aus, der auch schon 68 Jahre zählt. "Ich bin hier der Mann für die groben Sachen", lacht der große Mensch im karierten Hemd und wuchtet ein paar Getränkekisten hin und her.

Anfangs war es ein Schreibwarenladen, dann kamen Wurst, Zigaretten, Süßkram und noch allerlei mehr dazu. Angeboten wird, was die Kunden nachfragen. (Foto: Florian Peljak)

Für sie, sagen die beiden Freiluft-Kaffeetrinkerinnen, sei die Emma Zone ein Glücksfall. Josefine Machart ist schwer sehbehindert. "Ich kann vor dem Regal stehen und seh's nicht, aber hier krieg ich sofort Hilfe." Alles kaufe sie "beim Christian". "Der Horst" legt noch mal einen kurzen Stopp bei den Damen vor der Tür ein: "Das Besondere an diesem Laden ist der Chef!"

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© SZ vom 18.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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