Kuriose Stille:Ohne Sang und Klang

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Seit 34 Jahren fehlen dem Turm der katholischen Gemeinde St. Philippus die Kirchenglocken. Nun wächst durch vielfältige Initiativen die Hoffnung, das von allen ersehnte Geläut endlich finanzieren zu können

Von Johannes Hirschlach, Sendling-Westpark/Laim

Von außen betrachtet, will der Glockenturm der katholischen Kirchengemeinde St. Philippus wie jeder Kirchturm als Fingerzeig gen Himmel verstanden sein. "Man soll uns hier schließlich sehen können", sagt der zuständige Pfarrvikar Bernhard Bienlein. Doch im Inneren des vom Kirchengebäude getrennten sogenannten Campanile ist alles anders, als man es gemeinhin erwartet. Eine Holztür führt in den Turm an der Westendstraße, nach 92 Treppenstufen ist die Spitze erreicht.

Oben ist es stockdunkel, und dass etwas fehlt, ist trotzdem kaum zu übersehen - dürfte doch eigentlich eines voluminösen Geläutes wegen kaum Platz im Obergeschoss sein. Doch es ist zugig und leer, im Glockenturm von St. Philippus hängen bis heute keine Glocken. Stille seit 34 Jahren - obwohl der Turm über einen Glockenstuhl aus Stahlstreben und abnehmbare Holzverschalungen verfügt, um gegossenes Bronze irgendwann in die fertige Konstruktion heben zu können.

Nichts zu sehen: Sylvia Gräfenstein, Albert Limmer und Vikar Bernhard Bienlein im leeren Glockenturm. (Foto: Florian Peljak)

Das Gebäude steht im Stadtteil Sendling-Westpark, die Gemeinde jedoch gehört zum Pfarrverband Laim. Warum der Glockenturm keine Glocken hat, darüber kursieren viele Geschichten, sagt Bienlein, bestätigen kann er keine. Einer, der es dagegen wissen muss, ist Albert Limmer. Der 80-Jährige ist Kirchenpfleger und seit dem Bau des Pfarrzentrums 1982 Mitglied der Gemeinde. "Es war einfach kein Geld mehr da", erinnert er sich. Kirche, Pfarrräume und Turm kosteten seinerzeit stolze 16 Millionen D-Mark. Was im Etat fehlte, war Spielraum für die Glocken, die Orgel und die künstlerische Ausgestaltung des Gotteshauses. "Dann hat man eben dem Kirchensaal Priorität eingeräumt", erinnert sich Albert Limmer.

Das Thema Glocken sei seitdem nicht mehr angeschnitten worden. "Viele Gemeindemitglieder wissen nicht mal, dass wir keine Glocken haben", erzählt Pfarrvikar Bernhard Bienlein. Als er seinen ersten Gottesdienst in St. Philippus abhielt, habe er auf das einsetzende Läuten gewartet. So lange, bis ihn jemand aufklärte: "Ich kenne keine andere Kirche, die einen Turm ohne Glocken besitzt."

Ein Kuriosum, auf das Sylvia Gräfenstein nicht gerade stolz ist. "Wir wollen Glauben auch hörbar machen", sagt das Gemeindemitglied und rief deshalb 2014 einen Glockenausschuss ins Leben. Inzwischen hat die 43-Jährige 15 Mitstreiter um sich scharen können, das Ziel: Geld für vier Bronzeglocken sammeln, denn die Gesamtkosten liegen laut einem Angebot bei etwa 100 000 Euro. Zudem galt es von Anfang an, sich der Unterstützung der Gemeinde zu versichern. Die Pfarrei rief 2015 alle Mitglieder zur Abstimmung für oder gegen Glocken im Turm auf. "Es hat etliche gegeben, die dagegen waren", rekapituliert Bienlein die Ereignisse. Für den Ausschuss bedeutete das viele Stunden anstrengender Überzeugungsarbeit. "Wir haben lange diskutiert, aber am Ende hat das die Leute zusammengebracht", sagt Gräfenstein. Zwei Drittel der Gemeindemitglieder sprachen sich für das Unterfangen aus. Ein entscheidender Punkt sei gewesen, kein stündliches, sondern lediglich ein sakrales Geläut realisieren zu wollen. Auch beschloss der Ausschuss, für die Investition weder Kirchensteuern noch Klingelbeuteleinnahmen heranzuziehen.

Von außen kaum zu sehen, doch im Inneren des Turmes fehlen die Glocken. (Foto: Florian Peljak)

Stattdessen veranstalteten die Initiatoren Adventsbasare, Ostermärkte und Liederabende. Zusammen mit Privatspenden und Mitteln der Pfarrei sind so bereits 46 000 Euro zusammengekommen; vom Ordinariat erhält St. Philippus zudem 20 000 Euro Zuschuss. Trotzdem fehlt noch ein Drittel der Summe, und leider sei der anfänglich großzügige Spendenfluss zurückgegangen, gesteht Gräfenstein. Sie vermutet: "Diejenigen, die etwas geben wollten, haben das inzwischen getan." Um auch den Restbetrag sammeln zu können, hat der Glockenausschuss weiterhin einen Berg Arbeit vor sich - vor allem mit der Organisation weiterer Spendenveranstaltungen.

Trotz allem sind die Mitglieder bereits einen Schritt weiter und haben für das Geläut ein mögliches Konzept entworfen. Demnach soll dereinst eine 1000 Kilo schwere "Glocke des Friedens" läuten. Dazu könnten sich eine kleinere "Glocke der Vergangenheit" sowie je eine Gegenwarts- und eine Zukunftsglocke gesellen. Auch die Tonfolgen, die das gegossene Metall anstimmen soll, hat sich die Gruppe mit einer Kirchenmusikerin überlegt. "Das muss ja mit den anderen Kirchen im Umkreis zusammenpassen", sagt Gräfenstein.

Ein Wunsch, den auch Ida Stangl hegt - die 73-Jährige wird, wenn die Glocken erst hängen, in unmittelbarer Hörweite des Geläutes von St. Philippus wohnen. Für sie ist der Klang der Glocke Erinnerung und Aufruf zugleich: "Es stimmt mich traurig, wenn am Sonntag ringsherum alle Kirchen läuten, nur bei uns ist Stille." Und so hofft sie inständig, den Tag noch erleben zu können, an dem ihre Gemeinde zum ersten Mal die Glocken läuten wird.

Dann wäre der Campanile von St. Philippus das, was er schon immer hätte sein sollen: ein ganz normaler Kirchturm.

© SZ vom 05.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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