Kunst:Gspinnert und wunderbar

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Dank der Malerwitwe und engagierter Privatleute kam der "Blaue Reiter" Franz Marc zu einem Museum und Kochel so zu einer Attraktion.

Von Sabine Reithmaier, Kochel am See

Genau genommen verdankt Kochel sein Museum Maria Marc. In ihrem Testament verfügte sie, die verbliebenen Gemälde ihres Mannes müssten 30 Jahre nach ihrem Tod, also 1985, einem "namhaften" Museum zur Verfügung gestellt werden. Namhaft war in Kochel aber damals höchstens das "trimini". Zum Glück interpretierten Maria Marcs Nachlassverwalter, der Münchner Galerist Otto Stangl, und der Kunsthistoriker Klaus Lankheit, den Begriff aber sehr locker. Die Auflage sei erfüllt, wenn in Kochel eine bleibende Gedenkstätte für Franz Marc errichtet werde, entschieden sie und machten sich Anfang der Achtzigerjahre daran, das Dorf von ihrer Deutung des letzten Willens der Malerwitwe zu überzeugen.

Keine einfache Sache. Kunstmuseen waren noch nicht so üblich wie heute. Weder existierten das Schlossmuseum in Murnau noch das Buchheim-Museum in Bernried, von Campendonk und Penzberg ganz zu schweigen. Den meisten Kochlern war der "gspinnerte" Maler, der sechs Monate in Ried gewohnt hatte und jetzt auf dem Friedhof lag, ziemlich wurscht, wenn sie ihn denn überhaupt kannten. Eine Gedenktafel am Wohnhaus Marcs sei doch ausreichend, fand der Gemeinderat. Viel zu dürftig, erwiderten Stangl und Lankheit und lehnten die ersten Standortvorschläge wegen mangelnder Würde ab: Zwei Zimmer im Obergeschoss des Rathauses missfielen ihnen, auch mit der alten Feuerwehrwache konnten sie nichts anfangen. Erst eine leer stehende Industriellenvilla inmitten eines Parks begeisterte sie. Für sie war der Fall klar, aber für ihre wenigen Unterstützer im Gemeinderat begann eine mühselige demokratische Basisarbeit. Zwei Jahre warben Franz Glasl und Franz Geiger, bald auch Bürgermeister Siegfried Zauner hingebungsvoll für das Museum, überzeugten nach und nach das gesamte Gremium vom Nutzen eines Museums.

Eine ehemalige Sommervilla war das erste Domizil des Kochler Franz-Marc-Museums. Inzwischen ist die Kunst in einen Neubau gezogen, in der Villa residieren Verwaltung und Café. (Foto: Manfred Neubauer)

Dass es Zauner gelang, Lenz Kriss-Rettenbeck, den damals gerade noch amtierenden Generaldirektor des Nationalmuseums, beim Skifahren am Herzogstand zu stoppen, kann nur als weiterer glücklicher Zufall gewertet werden. Der versierte Museumsmacher begeisterte sich sofort für das Projekt, half mit, eine sich selbst tragende Stiftung zu gründen, die die finanzielle Lebensfähigkeit des Museums sicherte. Ein Umstand, der nicht nur die Erben Marcs, sondern auch das Kunstministerium vom Museum überzeugte.

Der Umbau der Villa kostete eine knappe halbe Million Mark, schuf Platz für mehr als 100 Gemälde, Holzschnitte und Postkarten, deren Wert seinerzeit zwischen fünf und sechs Millionen Mark beziffert wurde. Der damalige Kämmerer und spätere Bürgermeister, Werner Englert, trainierte derweilen im Rathaus die Kunstkenntnis der Kochler. Kurzerhand stellte er Marcs abstrakte Kompositionen, die als Drucke im Bürgermeisterzimmer standen, auf den Kopf, immer in der Hoffnung, irgendjemand würde reagieren.

Werner Englert, erst Kämmerer, später Bürgermeister Kochels, testete anfangs mit auf den Kopf gestellten Drucken das Franz-Marc-Wissen der Einheimischen. (Foto: wor)

Sein Scherz, der 1985 weitgehend unbemerkt blieb, würde jetzt vermutlich nicht mehr funktionieren, wenn auch die Kochler bis heute nicht in Scharen in ihr Museum strömen. Immerhin nahmen sie zufrieden zur Kenntnis, das sich das kleine, biografisch angelegte Haus nach seiner Eröffnung 1986 schnell zur Attraktion mauserte. Von einer Museumserweiterung träumte damals allerdings nur Otto Stangl, der mit seiner Sammlung die Weiterentwicklung der modernen Kunst in der Nachfolge des Blauen Reiters zeigen wollte. Als er und seine Frau Etta dann aber 1990 binnen zweier Monate starben, ohne ein Testament zu hinterlassen, schien nicht nur jeder Erweiterungstraum vom Tisch zu sein, sondern sogar der Bestand des Museums gefährdet. Stangls Leihgaben waren vertraglich nur für zehn Jahre gesichert.

Doch wieder geschah ein Wunder. Fünf Jahre nach dem Tod des Galeristenpaars überführten die Erben deren Sammlung in eine Stiftung. 2005 begannen sie, den Bau eines adäquaten, privat finanzierten Domizils energisch voranzutreiben - das heutige Museum entstand.

Natürlich redet in Kochel längst niemand mehr von Marc als "gspinnertem" Künstler. Schließlich kommen ihm zuliebe alljährlich um die 60 000 Besucher nach Kochel. In ein längst namhaftes Museum.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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