Kriminaltechnik:Die Schmeißfliege verrät den Mörder

Lesezeit: 5 min

Nahaufnahme einer Schmeißfliege. (Foto: dpa)

Insektenforschung im Dienst der Kripo: Münchner Zoologen stellen ein neues Verfahren vor, das der Polizei beim Untersuchen von Leichen hilft.

Von Martina Scherf

Lucilia caesar ist wahrlich nicht beliebt. Setzt sie sich doch im Sommer gerne mitten auf den Wurstteller, kaum dass der Tisch gedeckt ist. Die gemeine Schmeißfliege ist aber auch sonst nicht wählerisch in ihrem Speiseplan. Sie mag Stinkmorcheln ebenso wie den Honigtau der Blattläuse oder Blütenpollen. Ihre Eier legt sie am liebsten in Mist oder faulendes Fleisch. Und das, erklärt Jérôme Morinière, 32, macht sie für die Kriminalistik interessant.

Der junge Zoologe zieht einen Steckkasten aus einem langen Regal im Kühlkeller der Zoologischen Staatssammlung in München-Obermenzing. Mindestens 50 Fliegen sind darin fein säuberlich in Reih und Glied aufgespießt. Für den Laien sehen sie fast alle gleich aus. Doch der Insektenforscher, wissenschaftlich Entomologe, erkennt sofort zehn verschiedene Arten. Von jeder von ihnen kennen die Münchner Biologen den genetischen Code - und wissen damit auch, wo die Fliege vorkommt, wovon sie sich ernährt, wo sie ihre Eier legt und wann die Larven schlüpfen.

Profiler bei der Polizei
:Im Kopf der Schwerverbrecher

Grausame Szenen beschreibt er in nüchternem Ton, aber wie ein Monsterjäger sieht er nicht aus: Alexander Horn ist Tätern bereits auf der Spur, wenn andere noch völlig im Dunkeln tappen - etwa dem Maskenmann oder den NSU-Tätern. Wie einer der bekanntesten Profiler Deutschlands ermittelt.

Von Florian Fuchs

Morinière hebt den Kasten noch einmal in die Höhe. "Das ist die komplette Teilnehmerliste einer Versammlung, die wir vor Jahren auf zwei Schweineleichen fanden", sagt der Zoologe mit sichtlicher Freude. Er liebt seinen Forschungsgegenstand, dabei ist der alles andere als appetitlich. Um Leichen geht es dabei und ihren Verwesungszustand. Denn immer, wenn die Rechtsmediziner keine genaue Aussage mehr über den Todeszeitpunkt treffen können, weil der schon länger zurück liegt, ziehen die Ermittler die Insektenforscher zu Rate. Und jetzt gibt es eine neue Methode, die noch schnellere Ergebnisse verspricht.

Wie lange die Leiche schon im Wald liegt, Stunden oder Tage, ob sie womöglich von einem anderen Ort erst dorthin geschleppt wurde - all das erzählen die Insekten, die sich auf ihr finden. "Das funktioniert aber nicht nur im Wald, sondern auch im 20. Stock eines Hochhauses", sagt Morinière und schiebt den Kasten zurück ins Regal, "Insekten gibt es überall."

Die Seetangfliege, zum Beispiel, legt ihre Eier am liebsten in tote Körper, die im Wasser liegen. Finden sich also Seetangfliegen-Maden auf oder in einer Leiche, die in einer Garage liegt, ist etwas faul: Dann ist der Fundort höchstwahrscheinlich nicht der Tatort. Calliphora vicina ist eher in der Stadt anzutreffen, während ihre Schwester, Calliphora vomitoria, sich auf dem Land wohlfühlt. Lucilia caesar, die Schmeißfliege oder genauer: Kaisergoldfliege, riecht die Leiche über viele Kilometer, und sie ist schnell da, während die Käsefliege erst anschwirrt, wenn an der Leiche die Buttersäuregärung einsetzt.

Für die Forschung haben sie gerade irgendwo in München zwei tote Schweine ausgelegt

"Manche kommen erst, wenn die frühen Fresser wieder weg sind, sie hätten sonst gar keine Chance. Und wieder andere fressen die Eier oder Larven, die die ersten Besucher in den Kadaver gelegt haben", sagt Morinière. Mindestens 80 verschiedene Arten kümmern sich in der Natur ums "Aufräumen" einer Leiche.

Forensische Entomologie heißt dieses Fachgebiet der Insektenbestimmung im Dienste der Kriminalistik. Vor kurzem haben sich Spezialisten aus ganz Europa in Budapest getroffen, und dabei haben die Münchner Zoologen mit ihrem neuen Verfahren für Furore gesorgt. Denn bisher mussten Forensiker, wenn sie Eier fanden, diese erst ausbrüten, oder die Maden mit Hackfleisch füttern und warten, bis sie geschlüpft sind, um die Art zu bestimmen.

Jérôme Morinière und sein Team sind dafür zuständig, die Gendaten von allen in Bayern vorkommenden Fliegen, Käfern und Schmetterlingen zu sammeln. (Foto: Lukas Barth)

Jetzt erproben die Münchner Zoologen ein molekularbiologisches Verfahren, das viel schnellere und sicherere Ergebnisse bringt. Für einen ersten Test hatte ihnen die Rechtsmedizin Insektenproben von 30 menschlichen Leichen zur Verfügung gestellt - und der Erfolg war durchschlagend: Innerhalb eines Tages fanden sie die Gen-Codes von 30 verschiedenen Insektenarten.

Zurück im Labor, öffnet Morinière eine Probenflasche, darin schwimmt eine braune Brühe mit vielen schwarzen Punkten. Die Flasche kam gerade von einem Feldversuch zurück. "Das sind ungefähr 500 Arten und 10 000 Individuen", sagt der Forscher. Früher mussten Studenten die Tierchen alle von Hand sortieren. Jetzt wird erst der Alkohol verdampft, dann wird der ganze Inhalt pulverisiert und anhand einer Sequenz eines ganz bestimmten Gens lässt sich dann mit Hightech-Geräten jede Art unter 20 Millionen anderer Sequenzen identifizieren.

Von dieser neuen Methode, dem "Next Generation Sequencing", erhoffen sich die Kriminaler schnellere Ermittlungserfolge. "Es gibt nur wenige Spezialisten weltweit, die diese Methode beherrschen", sagt Frank Reckel. Er arbeitet als Zoologe im Landeskriminalamt und tauscht sich eng mit Morinière aus. Bis zu fünf Mordfälle im Jahr seien es, sagt der Beamte, bei denen die Hilfe der Entomologen von der Staatssammlung in Anspruch genommen wird. Vielleicht werden es in Zukunft mehr. "Mit der neuen Methode muss man nicht mehr 14 Tage warten, bis die Fliege geschlüpft ist", sagt er, "das kann entscheidend sein für die Ermittlungen." Der Rest ist dann Sache des Staatsanwalts.

Erst einmal wird der Schweine-Versuch mit der neuen Methode wiederholt. Zwei tote Sauen haben die Zoologen an einem geheimen Ort in München ausgelegt. Ein Tier trägt Kleider, das andere bleibt nackt. So liegen sie über Monate im Gebüsch und verwesen ganz langsam. "Manche Insekten mögen es dunkel und kriechen in die Kleidung, andere nicht", sagt Morinière. Auch das gibt wichtige Aufschlüsse: War der Tote zugedeckt? Wie lange?

Fahndung
:Wenn ein Eichenblatt oder Glasscherben den Täter verraten

Mithilfe verblüffender Techniken geht das LKA biologischen Spuren nach. Die DNA-Analyse spielt bei Ermittlungen eine immer wichtigere Rolle.

Von Susi Wimmer

"Mal sehen, wer diesmal alles kommt", sagt der Insektenforscher. Er freut sich schon, den Krabblern bei ihrem Leichenschmaus zuzusehen. "Wenn es so warm ist wie jetzt, dann sind die Kadaver schon nach einer Woche bevölkert."

Würde man dem schlanken jungen Mann mit dem dunklen Bart und den feingliedrigen Händen außerhalb des Instituts begegnen, würde man ihn eher für einen Mathematiker oder Pianisten halten, denn für jemand, der Maden aus einem Kadaver pult. "Ich bin tatsächlich nicht so stark, was den Verwesungsgeruch angeht", gibt er zu und lächelt. Aber er hat in seinem jungen Berufsleben schon einige Bewährungsproben bestanden.

In Remscheid ist er aufgewachsen, und obwohl er heute von seinem Beruf so begeistert ist, kam er nicht auf direktem Wege zur Wissenschaft. "Aber ich habe schon als Kind jeden Stein umgedreht, um zu sehen, was da drunter krabbelt", sagt er. Biologie war sein Lieblingsfach. Er wurde dann Biologisch-Technischer Assistent und landete in der Universitäts-Augenklinik in München. Unter anderem präparierte er dort Augen von Toten für Hornhaut-Spenden und für die Forschung an der Augenkrankheit Glaukom. "Das war schon eine echte Überwindung, aber man gewöhnt sich dran", sagt er.

Er wollte dann immer mehr wissen, so beschloss er, doch noch Biologie zu studieren. Schon die Masterarbeit führte ihn an die Zoologische Staatssammlung, er schloss mit Bestnote ab. Jetzt promoviert er über den Stammbaum der Schwimmkäfer und koordiniert zugleich die Projekte der Staatssammlung für den bundesweiten Genpool "German Barcode of Life", in dem die Wissenschaftler die genetischen Codes aller in Deutschland vorkommenden Tierarten erfassen. Parallel läuft das gleiche Projekt für Bayern. Seit vier Jahren ist Morinière nun dabei. Schon jetzt können die Zoologen 90 Prozent der Tiere, die sich in Bayerns Wald und Flur finden, bestimmen. Morinière und seine Kollegen sind zuständig für Käfer, Wespen und Schmetterlinge.

Ab und zu ein Fliegenbeinchen in Gelee

"Es ist der schönste Arbeitsplatz, den ich mir vorstellen kann", sagt er, und auch wenn er als Koordinator nicht mehr so viel Zeit hat, selbst im Labor zu stehen, lässt er es sich nicht nehmen, ab und zu ein Fliegenbeinchen in Gelee zu legen. Im Hightech-Gerät wird dann die DNA extrahiert. Man braucht eine ruhige Hand, wenn man Chemikalien, Enzyme und Puffer ins Reagenzglas gibt, und natürlich Geduld. Aber "es macht unendlich viel Spaß", sagt der junge Familienvater und vergleicht die Laborarbeit mit der Küche: "Wenn man gerne kocht, gelingt einem das hier auch."

Inzwischen wurde aufgrund der hohen Nachfrage am Institut ein kleines Unternehmen für das molekularbiologische Sequenzieren gegründet. Denn es lassen sich noch andere Anwendungsmöglichkeiten denken. Landwirte könnten zum Beispiel Insekteneier oder -larven einschicken und hätten innerhalb von wenigen Tagen eine Antwort auf die Frage, ob es sich bei dem Befall ihrer Tomatenpflanzen um einen Schädling wie die Miniermotte oder einen Nützling wie den Marienkäfer handelt, der die Blattläuse wegfrisst. "Da genügt es, ein einziges Ei zu haben", sagt Morinière.

Auch der Zoll könnte profitieren, etwa indem man die toten Insekten auf der Windschutzscheibe eines Lastwagens analysiert. "Wenn da eine Fliege klebt, die nur in einer ganz bestimmten Gegend in der Toskana vorkommt, der Fahrer aber behauptet, er war gar nicht im Ausland, ist er schnell der Lüge überführt." Jérôme Morinière sieht eine große Zukunft für diese Forschung - und für Lucilia caesar. Denn die Goldfliege ist fast immer dabei.

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Krimis im Fernsehen
:Hier wohnen keine Monster

Kaum ein Fernsehabend ohne Serienmörder - Arte widmet dem Krimiboom nun eine eigene Dokureihe. Die versteigt sich mitunter in mythisches Geschwätz.

Von Joachim Käppner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: