Krimis im Fernsehen:Hier wohnen keine Monster

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Je böser die Verbrecher, desto heldenhafter die Polizisten: Ermittlerin Erin Lindsay aus Chicago P.D. in Bedrängnis. (Foto: Matt Dinerstein/NBC)

Kaum ein Fernsehabend ohne Serienmörder - Arte widmet dem Krimiboom nun eine eigene Dokureihe. Die versteigt sich mitunter in mythisches Geschwätz.

Von Joachim Käppner

Ermittler einer Sonderabteilung in der Serie Chicago PD bedrohen einen Mann, den sie für den Mörder seiner Frau und seiner Tochter halten. Psychoterror, Geschrei und Unterstellungen sollen ihn zum Geständnis drängen. Aber am Ende ist es der Verdächtige gar nicht gewesen, er ist völlig unschuldig und ahnungslos, hat seine Familie verloren und droht nun in einem Polizeikeller verprügelt zu werden. Und Hank Voight, den alle Regeln brechenden Boss der Einheit, hat man in Dutzenden Folgen nie so kleinlaut gesehen wie in jenem Moment, wo er sich bei seinem Opfer entschuldigt.

Hier nimmt sich der Kriminalfilm selber auf die Schippe. Oder besser: Die Fiktion reagiert auf die Wirklichkeit. Chicago PD (Police Department), eine Erfolgsserie des US-Senders NBC, ist nämlich mild gesagt eine altmodische, alle Gebote der Korrektheit ignorierende Polizeisaga, in der die Cops, auch wenn sie das Gesetz brechen, das sie doch schützen sollen, die Guten sind und die Kriminellen die Bösen; Grautöne gibt es selten.

Die Serie ist durchaus spannend, hat mit Jason Beghe und Sophia Bush großartige Hauptdarsteller und zeigt beinahe mythische Bilder der Stadt Chicago. Sie ist reine Unterhaltung und hat doch gerade ein Problem mit der Realität. TV-Kritiker wie Gail Pennington halten sie für eine Retro-Inszenierung, geschaffen "für Leute, die wirklich glauben, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn die Polizei weniger Rücksichten nehmen müsste". Die Verklärung von Polizeigewalt kommt bei vielen nicht mehr so gut an in einem Land, in dem es zuletzt gleich mehrere Fälle von ungerechtfertigten Todesschüssen von Beamten auf Afroamerikaner gab.

Aber was darf man überhaupt von der Fiktion verlangen? Wie nah am wahren Leben muss sie sein?

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Nicht immer künstlerisch wertvoll

Eine dreiteilige Dokumentation auf dem Kulturkanal Arte spürt dem "Krimifieber" nach und - so der Titel der Sendung - der Lust am Verbrechen, der sich das Publikum millionenfach hingibt. Gerade vom Krimi, gleich ob im Film oder im Buch, geht eine düstere Faszination aus. Jeder vierte Roman gehört bereits zum Genre. Erfolgsserien wie The Wire oder True Detective haben fast kulturellen Rang erreicht; nicht immer so künstlerisch wertvoll sind die nicht mehr zählbaren Krimiformate, die jede Woche bei ARD und ZDF über den Bildschirm gehen, Tatort, Polizeiruf, diverse Sokos und Tote an touristisch attraktiven Orten.

Autoren wie Richard Price oder der kürzlich verstorbene Henning Mankell dagegen gelten heute zu Recht als Literaten, die eine aus den Fugen geratene Welt beschreiben, gleich ob die amerikanische Großstadt oder die schwedische Provinz. Dabei ist der Bogen gewaltig: Price seziert eine auseinanderdriftende Gesellschaft, Mankells Geschichten haben mit dem wahren Leben dagegen selten mehr zu tun als die Erzählungen der Brüder Grimm.

Der Arte-Streifzug durch die Krimiwelt hat seinen Reiz. Es macht Spaß, den berühmten Autoren und Regisseuren zuzuhören und von Großmeistern wie Michael Connelly, Schöpfer der lakonischen LA-Krimireihe um Detective Harry Bosch, zu erfahren, wie sie arbeiten. Connelly war einmal Polizeireporter und hat als junger Mann sogar einmal eine Wohnung angemietet, nur weil in einer Verfilmung Raymond Chandlers legendärer Held Philip Marlowe dort wohnte. Connelly ist ganz dicht dran. Er überträgt Chandlers Stil der schwarzen Serie, der hardboiled novels, der Geschichten vom einsamen Helden in einer harten Welt, in die Gegenwart. Das macht seinen Welterfolg aus.

In Russland ist der Krimi viel näher an der Wirklichkeit

Spannend an der Doku-Reihe ist auch, dass Geschichten vom Verbrechen in anderen Ländern und Kulturen eine ganz andere Bedeutung haben als im Westen. Was dort oft nur behauptet wird - der Kriminalfilm, der Thriller zeige die dunkle Seite der Gesellschaft -, ist beispielsweise in Russland viel näher an der Wirklichkeit.

So sagt der Autor Andrej Rubanow, was den Mordgeschichten in seiner Heimat zugrunde liegt: "Wir haben die Nazis besiegt. Aber dennoch konnte niemand ein normales Leben führen." Das sowjetische Leben zwischen den Extremen spiegelt sich in seinen Büchern wider, Rubanow hat es selbst durchlitten. Drei Jahre saß er ein in der "Matrosenruhe", einem zyklopischen alten Gefängnis in Moskau: "Ich habe keine positiven Erinnerungen daran, keine einzige." Der Knast, das war Alkohol, Schlägereien, Kampf ums Überleben.

Als "Sozialstudium des Elends" gilt der moderne Krimi auch in Argentinien. Harte, aber gerechte Cops wie in Chicago PD sind dort im Krimi selten, aus gutem Grund, wie ein Autor erläutert: In der langen Zeit der rechtsradikalen Militärdiktatur kollaborierte die Polizei mit dem Regime, ließ Leute verschwinden, folterte Gefangene, trat das Recht und die Menschen mit Füßen. Das ist nicht der Boden, auf dem Heldenstories gedeihen.

Wer sich für Thriller interessiert, wird drei unterhaltsame Abende verbringen. Die Dokumentation freilich widersteht nicht jederzeit der Versuchung, dem Kitsch und der aufgesetzten Philosophie des Genres zu erliegen.

Was fasziniert die Leute an Mord und Totschlag? "Seine Schöpfer halten ihrem Publikum einen unbestechlichen Spiegel vor." Was ist der Kriminalroman? "Eine mörderische Reise ins schwarze Herz der Welt." Im friedlichsten Dorf "leben gnadenlose Monster, getarnt durch Masken der Harmlosigkeit", heißt es im Film über die Plots. Spätestens hier hätte mehr Tiefgang nicht geschadet. Leider erwähnt die Doku nicht, dass etliche Handlungen an den Haaren herbeizogener Unsinn sind; dass auf jeden gelungenen neuen Einfall Nachahmer so rasch zur Stelle sind wie die Aasgeier, trägt ganz erheblich zur laufenden Verblödung des Genres bei.

Hundertschaften kleiner Klone des Kannibalen Hannibal Lecter

Monster also. Sehr beliebt sind zum Beispiel Serienmörder. Anstelle der Frage, was einen Menschen zum Mörder werden lässt, tritt im Krimi gern ein Phänomen, das keiner Erklärung mehr bedarf: das absolute Böse, eben der Serienkiller. Je schreckensreicher und genialer das Böse ist, desto spannender der Plot und desto heldenhafter wiederum der Ermittler, der den aussichtslos erscheinenden Kampf gegen Mächte der Finsternis aufnimmt. Deswegen wimmelt es schon im Vorabendprogramm von hochintelligenten, ihr tödliches Verwirrspiel treibenden Serienmördern, Hundertschaften kleiner Klone des Kannibalen Hannibal Lecter aus dem Filmklassiker Das Schweigen der Lämmer.

In Wahrheit gibt es diesen Tätertypus kaum bis gar nicht. Harald Dern, Leiter der Profiler beim Bundeskriminalamt, muss Gesprächspartnern oft erklären: "Einen Hannibal Lecter hatten wir noch nie." Nach Bluttaten von Serientätern würde er manchmal gern ein Schild vor deren Haus aufstellen: "No monsters here". Das ist es nämlich, was die Leute glauben, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Dauerberieselung mit Serienkillerfilmen - dass das Böse erkennbar ist, von außen hereinbricht, nicht aus der Mitte der vertrauten Gemeinschaft selbst stammen kann und darf.

Gewiss, der Krimi ist Erfindung, Unterhaltung, dagegen ist nichts zu sagen, und man kann ihn nicht allein mit der Elle der Wirklichkeit messen. Aber seine Autoren selbst tun das, wenn sie sich als Philosophen des Alltags oder Kenner der menschlichen Abgründe inszenieren. "Jeder Mensch ist wie der Mond. Er hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt", das trägt eine deutsche Krimiautorin in der Arte-Doku mit heiligem Ernst vor.

Jeder dilettierende Narr gibt sein Unvermögen als Gesellschaftskritik aus

Derart mythisches Geschwätz ist auch das Hauptproblem sehr vieler Krimis. Das Sujet strotzt zudem vor roher Gewalt, es mutet dem Publikum immer mehr zu. "Indem sie ihren Ausdruck illustrieren, greifen die Autoren ihre jeweiligen Gesellschaften kompromisslos an", heißt es dazu im Film, damit ist das Thema erledigt. Jeder dilettierende Narr freilich, der einen Krimi-Plot mit Hackebeil und Folterszenen zusammenstöpselt, weil ihm sonst nichts einfällt, gibt sein Unvermögen als Gesellschaftskritik aus.

So gesehen, bleibt Die Lust am Verbrechen gelegentlich hinter dem eigenen Anspruch zurück, sie tut das jedoch immerhin auf unterhaltsame Weise. Und auch nach drei Abenden bleibt ein Mysterium des Krimifiebers ungelöst: warum so viele Leute so empfänglich sind für so viel Realitätsflucht.

Die Lust am Verbrechen , Arte, an den drei kommenden Sonntagen, um 22.35 Uhr, 22.20 Uhr, 22.50 Uhr.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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