Zu den schönen Erfindungen des griechischen Theaters gehört der "Deus ex machina": Wenn die Akteure auf der Bühne die Handlungsfäden so verknotet haben, dass sie diese nicht mehr entwirren können, schwebt ein Wesen von außen ein und klärt wundersam alle Konflikte. Bei den Griechen war das gerne Zeus, in der komplexen Konzertsaaldebatte muss ein sehr irdischer Dirigent die Rolle übernehmen.
So schwebte denn Mariss Jansons am Dienstagabend als "Deus ex machina" in die gefühlt 73. Konzertsaaldiskussion seit 2001 ein, als sich - diesmal in der Nachtkantine - Experten inklusive Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU) wieder über Vor- und Nachteile der beiden Konkurrenz-Standorte Paketposthalle und Werksviertel ausließen. In zehnfacher Überlebensgröße erschien der BR-Chefdirigent auf der Leinwand und verkündete per Video eine einfache Botschaft: Hört auf mit dem Reden, entscheidet endlich und baut das Ding halt dann im Werksviertel.
Simulationen:Ein perfekter Standort für den Konzertsaal
Im Werksviertel sind schon ohne Philharmonie drei Hallen und mehrere Live-Bühnen vorgesehen - und das drumherum würde auch stimmen.
So hat das der Maestro natürlich nicht gesagt. Er gilt als großer Diplomat, der jedes Wort auf die Goldwaage legt und deshalb seit neun Monaten geschwiegen hat. Aber die Botschaft, die der leicht erkältete Künstler in seiner Petersburger Wohnung hatte aufzeichnen lassen, sendete im Kern genau dieses Signal an die Staatsregierung. Subtext: Wenn selbst ich, der immer den Finanzgarten als Standort wollte, jetzt für das Werksviertel bin - was hindert Euch dann noch?
Jansons begründete das in wohl gesetzten Worten ähnlich, wie das die Diskutanten in der Nachtkantine auch taten. Im Werksviertel entstünden ohnehin schon Musikbühnen, Gastronomie, Büros, Wohnungen, also städtisches Leben - ein Konzertsaal passt da dazu. Für die Paketposthalle gebe es das alles nur auf dem Papier und "keinerlei Garantien, dass sie überhaupt irgendwann realisiert werden". Jansons Hauptsorge: Wenn eine Entscheidung wieder vertagt werde, weil nicht alle Fragen um die Paketposthalle geklärt sind - wird dann noch etwas aus dem Projekt?
Jansons Botschaft zeigte Wirkung in der Nachtkantine: Es gab staunende Gesichter ob der klaren Aussage, auch Applaus, vor allem aber kaum Widerrede der Fans von Finanzgarten und Paketposthalle. Stattdessen viel Unterstützung vom Podium; organisiert hatten es ja die CSU im Münchner Osten und das Werksviertel-Team um Werner Eckart. Musikmanager Carsten Witt, Veranstalter Andreas Schessl, SZ-Architektur-Kritiker Gerhard Matzig - sie alle lobten die Möglichkeit, am Ostbahnhof mit dem Konzertsaal ein völlig neues Kultur- und Wohnquartier zu schaffen.
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In den alten, großzügigen Fabrikanlagen entstehen Bühnen, Büros für Kreative, dazu Wohnungen und Geschäfte.
Percussionist Martin Grubinger schwärmte von den Möglichkeiten, die die Umgebung mit drei weiteren Musikhallen, drei Live-Bühnen, Tonstudios und Kunstateliers biete: "Es muss ein 24-Stunden-Konzertsaal sein", der vibriere von Ideen und Projekten. Die Chance sieht auch Hans Robert Röthel von den Konzertsaalfreunden. Von denen trauern viele dem Finanzgarten nach - doch das bringe nichts, da eine Entscheidung nahe sei, sagte Röthel.
Die zeichnet sich langsam ab. Am Mittwoch gab der Lenkungsausschuss im Kultusministerium einen Bericht über die Sondierungen mit den Investoren an den Standorten ab. Dem Vernehmen nach ist die Sache im Werksviertel klarer: Werner Eckart vergäbe das Areal in Erbpacht an den Freistaat, der könnte darauf frei bauen. Bei der Paketposthalle ist noch unklar, ob und wann die Post auszieht, wie der Deal finanziell funktionieren soll - und wer für das Projekt plötzlich einschweben könnte.