Kommunalpolitik:Wandelndes Wissen

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Waltraud Rensch, Alfred Widmann und Josef Ertl sind seit mehr als einem Vierteljahrhundert Gemeinderäte.

Von Iris Hilberth

In nahezu jedem Dorf gibt es Menschen, die sitzen bereits seit einer gefühlten Ewigkeit im Gemeinderat. Die gehören länger dem kommunalen Gremium an als Kohl Kanzler war, und damals schon haben sie für Straßenausbau oder gegen Satzungsänderungen, für Vereinszuschüsse und Schulneubauten im Rathaus die Hand gehoben. Die meisten im Ort können sich nicht mehr an eine Gemeinderatssitzung ohne sie erinnern. Es sind diejenigen, die man fragen kann, wenn man wissen will, wann und warum etwas einst so entschieden wurde, jene Altgediente, die oft bessere Detailkenntnisse der Vergangenheit haben als die Aufzeichnungen der Gemeindearchive nach Jahrzehnten noch an Fakten hergeben.

Alfred Widmann war schon 1992 im Gemeinderat von Taufkirchen. (Foto: Claus Schunk)

Das Erstaunlichste an diesen ausdauernden Gemeinderatsmitgliedern ist, dass sie so lange durchgehalten haben, 25 Jahre und mehr. Denn die Anerkennung für dieses zeitintensive Ehrenamt ist heute noch dürftiger, als sie einmal war. Aber vielleicht ist es tatsächlich so, wie Alfred Widmann sagt, der seit 1978 in Taufkirchen für die SPD im Gemeinderat sitzt: "Ich habe es immer als interessant empfunden. Man lernt andauernd wieder etwas Neues." Natürlich wiederholen sich Dinge im Laufe der Zeit. Aus Erfahrung wissen die Alten oft auch, wann es sich lohnt, sich aufzuregen oder für eine Sache zu kämpfen. Gleichwohl sagt Widmann: "Man muss auch die Fragen der Jungen akzeptieren und flexibel sein. Und manches, was man vor 20 Jahren nicht machen konnte, ist heute plötzlich doch möglich."

Waltraud Rensch sitzt seit einer gefühlten Ewigkeit im Gemeinderat von Unterhaching. (Foto: Claus Schunk)

"Damals", erinnert sich Waltraud Rensch, die 1990 ebenfalls für die SPD in den Unterhachinger Gemeinderat einzog, "hatten wir alle Unterlagen noch als Matritzenabzüge in ungefälliger Maschinenschrift vorliegen". Das ist heute im digitalen Zeitalter natürlich komfortabler. Aber ist es deshalb besser? "Die Arbeit ist mehr geworden", findet Widmann, "wir bekommen Berge an Unterlagen und viel mehr Informationen, weil wir inzwischen bei jedem Verkehrsschild mitreden". Früher sei man häufiger nach dem gegangen, was die Verwaltung vorgegeben hätte. Andererseits, sagt er, sei auch alles offenen geworden. "Es gibt weniger Fraktionszwang. Man muss nicht mehr auf die Toilette gehen, wenn man dagegen ist."

Auch Rensch attestiert dem Unterhachinger Gemeinderat mehr Friedfertigkeit als in den Neunzigerjahren. "Das hängt von Personen ab", sagt sie und vermutet, dass der höhere Frauenanteil in dem Gremium mit dazu beigetragen hat. Aber auch in Oberhaching geht es laut Josef Ertl, der ebenfalls seit 1990 für die CSU ein Mandat hat, mittlerweile wesentlich harmonischer zu als damals. "Die parteifreien Gruppen waren früher viel stärker", erinnert er sich, und dadurch habe es weitaus mehr Konflikte gegeben. "Teilweise haben die Fundamentalopposition betrieben", sagt Ertl. Doch dann sind einige zur CSU gewechselt oder ausgeschieden. Die verbliebenen Freien verstehen sich mit dem CSU-Bürgermeister. "Manchmal ist es fast langweilig", meint Ertl.

Anders hingegen hat sich offenbar das Verhältnis der Gemeinderatsmitglieder zu den Bürgen entwickelt. "Die Angriffe sind schärfer geworden", stellt Rensch fest. Früher sei die Anerkennung für die Tätigkeit eine andere gewesen, "das Ansehen ist gesunken, es gibt wenig Lob und viel Tadel", findet sie. Klar seien sie auch früher für so manche Entscheidung kritisiert worden. "Ich erinnere mich noch, als wir 1993 Tempo 30 im gesamten Ort eingeführt haben. Da haben die Leute sich beklagt, dass man so langsam gar nicht fahren könne." Auch Ertl beobachtet eine Veränderung im Umgang mit den Gemeinderatsmitgliedern und Entscheidungen im Rathaus. "Die Diskussion an den Stammtischen über Gemeindepolitik gibt es nicht mehr", sagt er. Viele Leute interessierten sich nur noch für ihre persönlichen und nicht mehr für allgemeine Belange. "Wenn der Tagesordnungspunkt ihres Themas behandelt ist, gehen sie. Das war mal anders." Auch sieht er sich teilweise mit massiven Vorwürfen konfrontiert. "Früher hat man sich getroffen und diskutiert, heute findet man ein Schreiben im Briefkasten."

Und doch haben sie alle drei in den vielen Jahren nie erwogen, hinzuschmeißen. "Man macht das ja aus Überzeugung", findet Waltraud Rensch, die von sich sagen kann, bei so wegweisenden Entscheidungen wie der Geothermie dabei gewesen zu sein, obwohl es Kritik gab. Aber auch der ersten Kinderkrippe im Landkreis hat sie den Weg bereitet. Zu den großen Themen in Oberhaching zählt für Josef Ertl ebenfalls die Nahwärme, aber auch der Erwerb von wichtigen Grundstücken. Widmann blickt in Taufkirchen stolz auf den Bau der Volkshochschule und des Sportzentrums zurück. Gerne aber, sagt Rensch, wäre sie mehr als Ratgeber gefragt. "Wir Alten werden oft belächelt und zu wenig ernst genommen."

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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