Bürgerentscheide:Der Wille des Volkes gilt zu lange

Lesezeit: 1 min

Bei Bürgerentscheiden finden Großprojekte selten den Zuspruch der Bürger. Obwohl sie nur ein Jahr lang gelten, trauen Politiker sich oft nicht, anders zu entscheiden.

Kommentar von Frank Müller

Ein Bürgerentscheid, so steht es im Kommunalrecht, "hat die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses". Das stimmt im juristischen Sinne, in der Praxis jedoch haben die beiden Abstimmungsakte immer weniger miteinander zu tun, wie sich nun wieder eindrucksvoll zeigt.

Die Bürger in Aschheim lehnen den vom Rathaus gewollten neuen Großschlachthof mit überwältigender Mehrheit ab, die Freisinger stimmen nur mit Ach und Krach für ein Gewerbeprojekt - die Ergebnisse verstetigen den Trend, den es schon bei den Münchner Abstimmungen über Hochhäuser und die Flughafenstartbahn gab. Er lautet: Großprojekte haben es schwer, wenn der Bürger an die Wahlurne geht.

Bürgerentscheid
:Der Schlachthof in Aschheim ist gescheitert

87 Prozent der Wähler in Aschheim lehnen in einem Bürgerentscheid die Ansiedlung des Großbetriebs ab. Für Bürgermeister Glashauser ist das eine klare Niederlage - für den Ort selbst bedeutet es eine neue Chance.

Von Sabine Wejsada

Das heißt nun nicht, dass Gemeinde- und Stadträte grundsätzlich bauwütiger wären als die Bevölkerung. Aber die Bürger sind ganz offenbar in vielem skeptischer als gewählte Mandatsträger. Kein Wunder: Sie unterliegen keinem Fraktionszwang und müssen auch sonst weniger Rücksicht nehmen. Vor allem aber ist ihr Votum sehr viel nachhaltiger.

Ein Jahr lang hat ein Bürgerentscheid laut Gesetz Bestand, in dieser Frist darf er nur durch ein neues Plebiszit geändert werden. Die praktischen Auswirkungen sind viel radikaler. Politiker neigen dazu, Bürgervoten für sakrosankt zu nehmen. Deswegen ist die Idee eines neuen Schlachthofs nicht nur für Aschheim tot, sondern gleich für die gesamte Region. Kein anderer Bürgermeister wird sich eine solche Klatsche mit Ansage abholen.

Deswegen ist in München auch der möglicherweise anstehende Bürgerentscheid über das Kraftwerk Nord und die eventuelle Wiederholung des Startbahn-Votums so heikel. Dabei ist es schon vier Jahre her, dass die Münchner gegen die Startbahn stimmten. Die Bindungsfrist ist längst abgelaufen, die Politik könnte die Startbahn jederzeit beschließen. Das aber traut sich kein Politiker.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

CSU
:Seehofer will Volksentscheide auf Bundesebene - trotz Kritik

Der CSU-Chef startet dazu eine Befragung der Parteimitglieder. Kritiker aus CSU und CDU werfen ihm vor, nur der AfD entgegentreten zu wollen - und verweisen auf den Brexit.

Von Wolfgang Wittl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: