Kommentar:Schicht im Schacht

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Mit dem Gemeinsinn ist es nicht mehr weit her. Viele Menschen denken nur noch daran, wie sie selbst am besten klar kommen. Dann stopft man eben auch im Olympiadorf eine Computer-Tastatur in den Müllschlucker - und legt damit die Abfallentsorgung für 6000 Mitmenschen lahm.

Von Ulrike Steinbacher

Der eine lässt ein denkmalgeschütztes Haus abreißen, um aus einem größeren Neubau mehr Gewinn herauszuholen. Die anderen quetschen all ihre Verpackungskartons in den Müllschlucker, statt sie 50 Meter weiter bis zur Papiertonne zu tragen, und legen so die Abfallentsorgung für 6000 Menschen lahm. Der nächste drängt Polizei und Notarzt beiseite, um ein möglichst gutes Foto von einem schwer verletzten Verkehrsopfer zu schießen. Und bald beginnt das Oktoberfest, da wird sich sicher wieder ein Witzbold finden, der seine Pseudotrachtenjacke in die Oberleitung der S-Bahn schmeißt und damit den öffentlichen Nahverkehr der gesamten Region für Stunden außer Gefecht setzt.

Habgier, Faulheit, Sensationslust - was auch immer Auslöser für die Skandale war, die es allein diese Woche in die Schlagzeilen schafften, jedes Mal sind es Dritte, die am Ende für den Egoismus Einzelner bezahlen. Mit Leben und Gesundheit wie im Fall der Unfallopfer, mit dem Verlust eines Stücks Stadtgeschichte wie beim illegalen Abriss des "Uhrmacherhäusls" in Giesing oder - im Olympiadorf - mit einer Menge Geld: Denn die Kosten für die Reinigung des verstopften Müllsystems werden natürlich auf Mieter und Eigentümer umgelegt. Beim letzten großen Pfropfen belief sich die Rechnung auf 65 000 Euro.

Und die Lösung? Außer Appellen an die Vernunft gibt's da nicht viel. Denn natürlich kann sich nicht neben jedem der gut 500 Abfall-Einwurfschächte ein Aufpasser postieren. Also wird es irgendwann so weit kommen, dass die Olympiadorf-Verwaltung die praktische Absauganlage außer Betrieb nimmt und die Müllabfuhr bestellt, deren Autos dann wieder die engen Straßen verstopfen - eine Verschlechterung für alle.

Gemeinsinn ist ein altmodisches Wort. Man denkt an Cicero und Kant und vielleicht an Mutter Teresa. Dabei würde schon ein bisschen mehr Rücksicht auf andere viel helfen, auch wenn man dafür seine leeren Pappkartons zur Papiertonne tragen muss. In einer Stadt, in der es immer enger wird, kann das Zusammenleben aber ohne ein bisschen mehr Verständnis für die Bedürfnisse der Allgemeinheit nicht funktionieren.

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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