Kommentar:Kompromisse sind gefragt

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Wer die Taubenplage in den Griff bekommen will, muss auf Kooperation setzen, denn Denunzieren kann nicht wirklich gewollt sein

Von Thomas Kronewiter

Füttern oder nicht füttern, Tierschutz oder falsch verstandene Tierliebe: Der richtige Umgang mit den Tauben in der Stadt gehört zu den Endlos-Debatten der Stadtgesellschaft. Immerhin haben sich Politik und Verwaltung auf eine klare Haltung verständigt: Generalstabsmäßiges Füttern ist nicht nur unerwünscht, sondern kann geahndet werden, mit sogar empfindlichen Geldbußen. Dass das bloße Verbot nicht reicht, sondern nun eine "Task Force" zumindest in der Innenstadt die Einhaltung - zusammen mit einer ganzen Reihe anderer Aufgaben - überwachen will, ist bezeichnend.

Selbst wer dem Füttern von Stadttauben kritisch gegenüber steht, mag den Hinweis auf die Anzeige-Möglichkeit - inklusive konkreter Zeugen-Benennung - nicht zwangsläufig selbst aufgreifen. Die Denunziation von fütternden "Taubenmutterln" - das ist nicht jedermanns Sache. Von der Stadt umgekehrt die Komplett-Überwachung des Stadtgebiets zu verlangen, wäre aber nicht nur unfinanzierbar, sondern läge auch im Widerspruch zu den Grundprinzipien einer freiheitlichen Gesellschaft.

Die Tauben-Debatte steht allerdings symptomatisch für eine bedenkliche Entwicklung des Millionendorfs, der gerne in Tourismus-Broschüren zitierten Weltstadt mit Herz. Während dem einen die Hinterlassenschaften der Stadttaube die Zornesröte ins Gesicht treiben, hat der nächste Schaum vor dem Mund, wenn es um die sich multiplizierenden Feiermeilen geht. Auch dafür gibt es mittlerweile im Allparteilichen Konfliktmanagement Akim eine Eingreiftruppe. Um das gedeihliche Miteinander in der ganz normalen Nachbarschaft kümmern sich Sozialarbeiter in den zahlreichen Nachbarschaftstreffs, ohne die Neubauquartiere ebenfalls kaum noch entstehen können. Und selbst das aus den USA bekannte Prinzip der umzäunten Wohngemeinschaft ist in München längst etabliert.

Der Münchner fragt sich zunehmend, ob er seine Stadt in ein oder zwei Generationen überhaupt noch erkennen wird. Und ob er dann auch noch in einem der 25 Viertel wohnen mag. Debatten sind notwendig, ohne sie kann eine demokratische Gesellschaft nicht überleben. Aber eine Diskussion, die in ein konstruktives Ergebnis führen soll, setzt Kompromissbereitschaft voraus - und die Bereitschaft, Expertenwissen auch anzunehmen: Das gilt genauso für das Taubenfüttern. Sich der Debatte zu entziehen und heimlich frühmorgens säckeweise Mais auszukippen, ist weder Dienst am Tier, noch am Menschen.

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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