Kommentar:Besinnung auf eigene Wurzeln

Es ist für die Stadt wichtig, dass die drohende Streichung vieler Dorfkern-Ensembles vom Tisch ist. Nun kommt es darauf an, sie langfristig zu sichern - und damit den speziellen Charakter Münchens

Von Thomas Kronewiter

Für München haben die Tourismusbranche und das Selbstverständnis ihrer Bewohner schon viele, meist freundliche Bezeichnungen erfunden. Die bayerische Landeshauptstadt ist aber nicht bloß die Weltstadt mit Herz, die Boomtown an der Isar, sondern auch eine der am stärksten von Gentrifizierung betroffenen Städte Deutschlands, mit zahlreichen Problemen als Folge des Wachstums. Mieterverdrängung, drohender Verkehrsinfarkt, Spekulantentum sind negative Folgen einer Entwicklung, die bei den Alteingesessenen viel Frust schafft - und oft ein Gefühl des Überrolltwerdens.

Da ist es eine durchweg gute Nachricht, dass die vor Jahren noch flächendeckend drohende Streichung der meisten Dorfkern-Ensembles zumindest vorerst abgewendet worden ist. Erstaunlich ist die Begründung durch das zuständige Expertengremium, den Landesdenkmalrat. Da ist von einer neuen Sensibilität im Umgang mit gewachsener Bausubstanz die Rede, von Zurückhaltung beim Verwerten der Reste historischer Gebäude, von Bürgersinn - etwa bei der Organisation von Dorfkern-Rundgängen, Mitwirkung bei Restaurierung, Druck auf die Politik.

In einer Stadt, in der täglich etwas plattgemacht wird, was renditeträchtiger neu gebaut werden kann, ist die Besinnung auf Identifikationspunkte unverzichtbar. Der Ensembleschutz für die alten Ortskerne der einstigen Dörfer kann aber nicht bloß Mittel zum Zweck bei der Abwehr begehrlicher Investoren-Wünsche sein, er ist wesentlich für Münchens Identität - jenseits von Marienplatz, Stachus, Olympiagelände und Kunstareal.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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