Köstliche Arrangements:Wahrer Augenschmaus

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Für ihr neues Buchprojekt setzt Foodfotografin Viviana D'Angelo Essensreste in Szene und verzichtet dabei auf künstliches Teller-Make-Up wie Lacke, Schäume, Sprays oder Zahnpasta

Von Anita Naujokat

Ich glaube, wir haben ein Tellerproblem. Auf deinem Lieblingsteller wird das ein zu kleines Häufchen." Kritisch mustert Viviana D'Angelo mit ihren großen dunklen Augen die beiden Schalen, wägt gedanklich die Bilder ab. "Das Gericht braucht etwas, was es hält. Aber wir können ja beide ausprobieren", entscheidet sie schließlich. Vorsichtig löst sie mit den Fingern eine Graupe vom Rand und drapiert das Körnchen mit derselben Sorgfalt oben auf das Häufchen. Musternder Blick auf das Werk. Ist auch von jeder Zutat, den gewürfelten Karotten, Kartoffeln, der Sellerie und dem Suppenfleisch, die den Eintopf ausmachen, etwas zu sehen? Die 31-Jährige ist nicht zufrieden. Das Essen liegt nicht mittig genug, ist zu gleichmäßig verteilt und das Material des Tellers hat die Feuchtigkeit aufgesogen und davon dunkle Flecken bekommen.

Zweiter Versuch. Koch Vincent Fricke kniet neben ihr auf dem Boden und hebt sacht die nächste noch dampfende Portion aus dem Kochtopf auf einen neuen Teller. Jetzt nur nicht kleckern. Und den Rauch etwas verziehen lassen, sonst beschlägt noch die über dem Arrangement auf einem Stativ angebrachte, nach unten geneigte Kamera. Aber auch nicht zu lange warten: Denn wenn die Butter erkaltet, wird sie weiß, und die glänzenden Graupenkörnchen wirken stumpf und matschig.

Koch Vincent Fricke bereitet schon das nächste Gericht zu. (Foto: Florian Peljak)

Pinsel, Pinzette und Wischtücher sind neben den Fotoapparaten und Objektiven die wichtigsten Werkzeuge für die Fotografin, doch an diesem Tag kommen auch noch Tortenschaufel und Schere zum Einsatz. "Alles soll zufällig aussehen, aber man muss dem Zufall auch nachhelfen", sagt Viviana D'Angelo. Seit zwei Jahren ist sie darauf spezialisiert, Lebensmittel und fertige Gerichte zu fotografieren. Dabei wollte sie niemals Fotografin werden. Als Kind hatte sie es "ätzend" gefunden, stundenlang für die Familienfotos ihrer Mutter still sitzen zu müssen. Aufgewachsen in Pisa, ging sie in Italien und Deutschland zur Schule, studierte im Schweizer Tessin Journalistik und Kommunikationswissenschaft. Nach einem Praktikum in einem Höhlenmuseum lebte sie in Granada und war immer kreativ unterwegs. Für eine Fachzeitschrift hat sie vor Kurzem eine Reportage über Schweinezucht erstellt. "Es geht beim Thema Essen nicht immer nur schön zu, auch das muss man zeigen", ist ihr wichtig. Zusammen mit dem Koch Vincent Fricke, der ein Catering-Unternehmen betreibt, arbeitet sie in ihrem Studio mit der angrenzenden Küche in Haidhausen an einem Kochbuch, das ebenfalls unschöne Seiten haben wird: Verwelktes Basilikum, verschrumpelte Karotten, eine schwarz-verfärbte Tarowurzel, eine angegammelte Rinderbeinscheibe stehen symbolhaft für den Inhalt.

In dem Buch - Arbeitstitel "Eat me now" und "Leftover" - geht es darum, wie man aus Resten und nicht mehr ganz frischen Ingredienzien mit dem, was so im Haus ist, noch gute und schmackhafte Mahlzeiten auf den Teller zaubern kann. "Jenseits von Sternen, Schäumchen und Kleckschen und ohne vorher noch stundenlang einkaufen zu müssen", sagt Viviana D'Angelo. "Wir wollen zeigen und zelebrieren, dass es noch normales Essen gibt." Es solle eine Rückkehr zur Einfachheit werden, fern aller Hochglanz-Seiten.

Stillleben mit Karotten, Kartoffeln und Graupen. (Foto: Florian Peljak)

Für die 31-Jährige ist es ihr erstes eigenes Projekt neben ihren experimentellen Blogs, Vincent Fricke hat bereits das Kochbuch "sonntagsbraten" herausgegeben. Es enthält ausschließlich Gerichte "fleischlastiger Völlerei", Fricke hat jedoch die Filetstücke wie Roastbeef und Rindersteak bewusst beiseite gelassen. Es zeigt, wie seine gleichnamigen Kochaktionen mit bunt durcheinander gewürfelten Gästen, was man aus den weniger üblichen Teilen eines Tieres "from the nose to the tail" so alles für den Tisch kreieren kann.

Die Arbeit am eigenen Buch unterscheidet sich für die energiegeladene, zierliche Frau mit den dunklen Haaren und dem Sinn für Details von ihren Foto-Aufträgen für Kochbücher anderer Verlage, Hochglanz-Magazinen, Restaurants und Lebensmittelproduzenten. Hier kann sie ihre Leidenschaft zum akribischen Arrangieren und Ausprobieren ausleben, ohne Zeitdruck und einem bestimmten Budget im Nacken und ohne Deko- und Foodstylisten an der Seite. Gerade Sterneköchen müsse man oft "gefühlvoll" vermitteln, dass zum Fotografieren das Essen ein bisschen anders angerichtet werden müsse als für den Gast, sagt sie lachend. Viviana D'Angelo verzichtet bewusst auf eine künstliche Ausleuchtung ihrer Objekte, verwendet keine unnatürlichen Aufhübscher wie Lacke, Schäume, Sprays, Zahnpasta, chemisch erzeugte Tröpfchen oder Pappaufbauten. Ist die Speise eingetrocknet, tut es auch etwas Flüssigkeit oder Öl, um sie wieder in Form zu bringen. Während sie von oben durch das Kameradisplay den Teller auf dem Fußboden begutachtet, sieht Koch Fricke nebenan nach der Tortilla im Backofen für den nächsten Gang, der auf Marmor mit Gabel serviert werden soll.

Foodfotografin Viviana D'Angelo justiert die Kamera in ihrem Studio, um Essensreste ästhetisch in Szene zu setzen. (Foto: Florian Peljak)

Die Perspektive von oben ist eine völlig andere als von der Seite. Aus welchem Blickwinkel Viviana D'Angelo sich dem Objekt annähert, ist eine Frage der Bildsprache. "Wie will ich es transportieren? In welcher Atmosphäre? Wie soll die Botschaft lauten?" Davon hänge es ab. Von oben aufgenommen, reduziere sich das Essen. Es wirke sehr grafisch und sauber, bodenständig, aber attraktiv, also genau das, was sie vermitteln wollten. Viviana D'Angelo probiert es auch mit Selbstauslöser, um ein Vibrieren des Apparates zu vermeiden. Wie sich überhaupt jeder vorsichtig über den Parkettboden bewegen muss, damit das Stativ nicht ins Wackeln gerät. Beim Graupeneintopf entscheiden sich beide dann doch noch um: Er wird wohl in einer "Töpfchen-Landschaft" mit und ohne Deckelchen den Weg ins Kochbuch nehmen.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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