Kabarett:Mundwinkel unten

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Jens Neutag in der Lach- und Schießgesellschaft

Von Thomas Becker, München

123 Schritte sind es von der Lach- und Schießgesellschaft bis zum Lustspielhaus. Ein Weg, den mancher Kabarettfreund so gegen neun Uhr abends unter die Hufe nimmt, wenn im "Laden" in der Haimhauserstraße Pause ist und in der Occamstraße noch Teil eins des Programms läuft. Kurz reinspitzen, denkt sich der Neugierige. Mal wird er mit der Gewissheit belohnt, es "drüben" besser erwischt zu haben, mal ist das Gegenteil der Fall - und manchmal will man gar nicht mehr zurück. So wie beim Fernduell Jens Neutag gegen Jochen Malmsheimer. Hier das donnergleiche, an Fulminanz kaum zu überbietende Sprach- und Bühnenereignis Malmsheimer, dort der Lach- und Schieß-Debütant Jens Neutag, der zwei Meter kleiner wirkt. Zugegeben, ein ungleiches Duell. Aber wer es bis nach Schwabing in die Champions League des Kabaretts geschafft hat, der muss mit solchen Vergleichen leben.

"Das Deutschland-Syndrom" heißt das sechste Soloprogramm des Nordrhein-Westfalen Jens Neutag, der zum ersten Mal auf der Bühne mit dem großen Namen steht. Die Zeiten von Hildebrandt & Co. hat er nicht erlebt - weil es zu Hause keinen Fernseher gab. Erst als er sich mit 13 beim wöchentlichen Stopp des Bücherbusses von Asterix und den "3 Fragezeichen" verabschiedete und Klaus Peter Schreiners "Die Zeit spielt mit - Die Geschichte der Münchner Lach- und Schießgesellschaft" in die Finger bekam, stand sein Berufswunsch fest: Kabarettist. Seit 20 Jahren verdient Neutag damit sein Geld, zunächst in der Formation "Kabarett ohne Ulf", seit 2002 als Solist, und es gilt festzuhalten: Mehr Schreiner-Lektüre hätte gut getan. Vom Altmeister hätte er sich in Sachen Schärfe und Relevanz einiges abschauen können. Was ebenfalls fehlt: eine Haltung, eine Aussage, eine Meinung. Stattdessen gibt es ganz doll Haue für die üblichen Verdächtigen: Wowereit-Häme, Manager-Bashing, Lanz-Lästerei, eine Grabrede auf die SPD und allen Ernstes Scherze über Merkels Mundwinkel. Och nö, du, nicht schon wieder.

Und weiter geht's im Takt: Neutag findet auch noch im Jahr 2015 das Prinzip "Coffee to go" doof, macht sich über Jogger lustig und mag auch das Internet und all das andere neumodische Zeug nicht. Das ist so platt auf Wirkung getrimmt, dass man es ihm nicht abnimmt. Auch der Begriff Wortspielhölle fällt nicht zu Unrecht. Neutag arbeitet mit den gängigen Deutschland-Klischees, schneidet spannende Themen wie die Abhörpraxis der NSA an - um dann zum Thema Gardinen überzuleiten und dort in eine nicht vorhandene Tiefe zu gehen. Menno!

Danach noch bei Malmsheimer gewesen. Gelacht. Endlich.

© SZ vom 26.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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