Hörgeschädigtes Model Christine Vonyo:Anders ausgedrückt

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Bei Modelagenturen wird sie abgelehnt, weil sie hörgeschädigt ist. Nun hat Christine Vonyo aus Garching die Endrunde beim Wettbewerb "Miss Deaf Germany" erreicht - und hofft auf den großen Durchbruch.

Ines Alwardt

Wenn es laut ist und das kleine Gerät im Ohr sie im Stich lässt, bleiben Christine Vonyo nur die Zwischentöne. Sie liest sie von den Lippen der Menschen, sucht und findet sie in Gesichtern und Bewegungen. Meistens verraten sie mehr als Worte, sind ehrlicher. Vielleicht ist das ein Grund, warum sie sich gerne anders ausdrückt, eben nicht nur mit Worten.

Beim Modeln vergesse ich alles um mich herum", sagt Christine Vonyo. Sie bewirbt sich derzeit um den Titel "Miss Deaf Germany. (Foto: privat)

Christine Vonyo, 24 Jahre alt, ist von Geburt an hörgeschädigt. Ohne das Hilfsmittel im rechten Ohr, das sie hinter ihren langen braunen Haaren versteckt, "höre ich gar nichts", sagt sie. Die Beine übereinander geschlagen, sitzt die zierliche Frau in einem Café am Garchinger Bürgerplatz und spricht über ihr großes Ziel: "Es wäre mein absoluter Traum, einmal auf dem Titel eines Katalogs zu sehen zu sein."

Ein Wunsch, den viele junge Mädchen haben. Um ihn wahr zu machen, hat die 24-Jährige schon viel getan: Vor fünf Jahren stand sie das erste Mal vor der Kamera, als Fee verkleidet in einem Wald bei Nürnberg; ein Freund, der als Fotograf arbeitet, hatte sie gefragt, ob sie nicht Lust hätte, für ihn zu posieren.

Jetzt ist Christine Vonyo eine von zwei verbliebenen Kandidatinnen, die im Finale von "Germany's Next Deaf Model 2012" stehen, einem Schönheitswettbewerb für gehörlose Mädchen und Frauen. Mitte Dezember kürt eine Jury in Berlin die Siegerin: die "Miss Deaf Germany".

Christine Vonyo ist fest entschlossen, sich den Titel zu holen, auch weil sie sich mehr davon verspricht als nur, sich "schönste hörgeschädigte Frau Deutschlands" nennen zu können. Eine Referenz, tolle Fotos, ja vielleicht sogar eine Zukunft als Model, wünscht sich die Garchingerin. "Ich hoffe, dass ich dadurch ein paar Aufträge bekomme." Sie klingt optimistisch.

Und nur wer ihre Geschichte kennt, versteht, wieso sie dann diesen einen Satz sagt: "Mein Ziel will ich nicht aufgeben." Die Enttäuschung war groß, damals, vor zwei Jahren. Bei drei Modelagenturen in München hatte sie sich vorgestellt, mit einer Mappe voller Fotos, die ein Freund von ihr gemacht hatte. Aber jedes Mal bekam sie eine Absage - nicht, weil die Fotos schlecht waren. "Das sind schöne Bilder, haben die gesagt", erzählt Vonyo, "aber als ich von meiner Hörschädigung erzählt habe, hieß es: In dem Fall können wir Sie nicht nehmen."

Für Vonyo war das wie ein Schlag ins Gesicht. Als Model müsse sie am Telefon auch Aufträge entgegennehmen können, begründete eine der Agenturen ihr die Absage. Andere versprachen, sich zu melden. Bis heute kam keine Nachricht.

Vonyo schüttelt den Kopf, wenn sie daran zurückdenkt. Wieso ihre Hörschädigung ein Ablehnungsgrund sein soll, hat sie bis heute nicht verstanden. Denn sie kann alles, was Mädchen mit einem gesunden Gehör auch können: Mit ihrem verstärkten Mobiltelefon telefoniere sie wie jeder andere, und wenn es zu laut ist, "lese ich von den Lippen ab".

"Ich bin nur 1,66 groß, das ist relativ klein": Christine Vonyo. (Foto: Florian Peljak)

Auch Louisa von Minckwitz, Agentur-Chefin von Louisa Models, einer der bekanntesten Model-Agenturen in Europa, sagt: "Wenn jemand hörgeschädigt ist, aber sprechen kann, ist das gar kein Problem." Wichtig sei nur, dass die Mädchen die Anweisungen des Fotografen verstehen. "Eine Hörschädigung ist kein Grund, nicht als Model arbeiten zu können", sagt Minckwitz. Viele Models, die sie unter Vertrag hat, kommen aus fernen Ländern, einige von ihnen sprechen weder Englisch noch Deutsch, trotzdem seien sie erfolgreich im Geschäft.

Christine Vonyo hat das Sprechen von ihren Großeltern gelernt, die wohnten damals nebenan in Garching. Zu Hause mit ihren Eltern - von denen sie die Hörschädigung geerbt hat - und ihrem gehörlosen Bruder unterhält sie sich in Gebärdensprache. "Mein Deutsch ist deswegen nicht so perfekt", sagt sie, aber wer nichts von ihrer Behinderung weiß, dem fällt das nicht auf.

Trotzdem gibt es immer wieder diese Situationen. Wie neulich in der U-Bahn, als sie sich mit einer Freundin in Gebärdensprache unterhielt. Da haben zwei Mädchen sie angestarrt und gelästert, "guck mal, die können nicht reden". Als Vonyo auf sie zuging und fragte, wie sie darauf kämen, wurden die beiden ganz still und schauten aus dem Fenster. "Ich finde so etwas schade, aber ich bleibe positiv", sagt sie.

Trotzdem, nur selten hat Vonyo ihre Behinderung als lästig empfunden. Sie hat ihren Abschluss an der Fachoberschule gemacht und ist inzwischen im zweiten Ausbildungsjahr zur Kauffrau für Bürokommunikation. "Klar denke ich manchmal, ich will ganz normal hören, aber die Hauptsache für mich ist, dass ich gesund bin. " Einer ihrer Hörnerven ist noch unversehrt, wenn Vonyo wollte, könnte sie eine Prothese implantieren lassen, die ihr Hörvermögen steigert. Aber sie will nicht. "Ich bin zufrieden, wie ich bin."

Genau das ist es, was sie vor der Kamera transportiert: mit ihrem Körper, ihren Bewegungen, ihrem Ausdruck im Gesicht. Sie taucht ab in ihre eigene Welt. "Beim Modeln vergesse ich alles um mich herum." Die Arbeit vor der Kamera hat ihr mehr Selbstvertrauen gegeben, "am Anfang war ich noch sehr verkrampft und habe mich nicht getraut." Ein Problem, dass ihrer Meinung nach viele Menschen mit einer Behinderung haben. "Ich würde mir wünschen, dass mehr von ihnen ihre Talente nutzen."

Vonyo plant, sich nach dem Schönheitswettbewerb noch einmal bei Model-Agenturen vorzustellen, "ich geb' nicht auf". Ob die Ablehnung damals vielleicht einen anderen Grund gehabt hat? Sie weiß es nicht. "Ich bin nur 1,66 groß, das ist relativ klein", sagt sie. Laut Agenturchefin Louisa von Minckwitz zu klein: "Bei uns ist eine Größe von 1,75 Metern unterstes Limit, weil die Mädchen international arbeiten", sagt sie. Außerdem müssten sie jung sein, bestenfalls zwischen 15 und 18 Jahre alt, "ansonsten lohnt es sich nicht, sie aufzubauen".

Von Ihrem Ziel lässt sich Vonyo deshalb aber nicht abbringen: "Ich will beweisen, dass ich das auch kann."

© SZ vom 13.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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