Historische Studie:Loblied auf den Führer

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Eine neue Studie zeigt, wie nahe der frühere Pasinger Oberbürgermeister Alois Wunder dem NS-Regime stand. Die Diskussion, ob eine Straße im Viertel weiterhin nach ihm benannt bleiben soll, erhält dadurch Auftrieb

Von Jutta Czeguhn

Am 30. Januar 1936, dem dritten Jahrestag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, hält Pasings Oberbürgermeister Alois Wunder um 11 Uhr im Großen Sitzungssaal des Rathauses eine Rede. Das Lokalblatt Würmtal-Bote druckt sie am nächsten Tag im Wortlaut ab. Wunder zählt die "überreichen, aus Kraft und Wille geborenen staatsmännischen und völkischen Taten des Führers" auf. "Friede im Inneren, Macht nach außen, Wehrhaftigkeit und Disziplin, Arbeit und Brot, Blut und Rasse, Sozialismus und Tat: Das sind mit ihren zahllosen Trabanten die Sonnen, die Adolf Hitler am deutschen Himmel angezündet hat. Wie klein und nichtig sind diesen titanenhaften, kaum fassbaren Erfolgen gegenüber jene Zweifler, die geringe Schönheitsfehler aufbauschend bekritteln ..." Die Rede schließt er mit "Deutschland - dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler: Sieg Heil!"

Bernhard Koch, Bernhard Schoßig und Bernd-Michael Schülke empfehlen diese Rede Alois Wunders als Einstieg für jene, die ihre eben erschienene Dokumentation über den ehemaligen Pasinger Bürgermeister durcharbeiten wollen. "... nur ein Mitläufer?" lautet der Titel des knapp 150-seitigen Kompendiums, mit dem die drei Autoren vor allem eines wollen: eine Handreichung geben "für einen öffentlichen Diskurs und eine qualifizierte Beurteilung darüber, ob die für die Pasinger Geschichte zweifellos wichtige historische Persönlichkeit Alois Wunder auch eine Ehrung durch die Benennung einer Straße nach ihm verdient".

In der ersten Reihe: Alois Wunder (sitzend, 3. von links) beim letzten Fototermin des Pasinger Stadtrates vor der Eingemeindung 1938. (Foto: Pasinger Archiv/OH)

Schoßig, Koch und Schülke haben für das "Institut für zukunftsweisende Geschichte e. V." bereits an zwei Forschungsprojekten mitgearbeitet: "Ins Licht gerückt. Jüdische Lebenswelten im Münchner Westen" (2008) und "Alles wird anders - Pasing im 3. Reich" (2013). Dabei sind sie in den Stadt-, Staats- und Bundesarchiven auf Dokumente und Indizien gestoßen, die ein sehr großes Fragezeichen hinter die bislang tradierte Rolle des langjährigen Bürgermeisters während der NS-Zeit setzen. Sie sprechen von "Legendenbildung", die insofern bis heute Nachwirkung zeigt, als dass es eben diese Alois-Wunder-Straße gibt, die unter anderem ein Jugendzentrum des Kreisjugendrings München-Stadt als Hausadresse führt. Für die Autoren ist der Fall Wunder auch exemplarisch für den Umgang der Landeshauptstadt mit historisch belasteten Straßennamen. Hier werfen sie den Verantwortlichen "Diskursverweigerung gegenüber der Zivilgesellschaft" vor.

Wer war nun dieser Alois Wunder, dem nicht nur seine Zeitgenossen so viel Hochachtung wie Skepsis entgegenbrachten, dass ihm binnen eines turbulenten Jahrhunderts Straßen gewidmet, entwidmet und erneut gewidmet wurden? Allein das ist ein Kuriosum. Die Autoren bescheinigen Wunder, der 1974 im Alter von 96 Jahren starb, "Chamäleonhaftigkeit". 30 Jahre lang habe der Jurist und Verwaltungsfachmann Pasings Geschicke gelenkt, von 1907 bis zur Eingemeindung der Würm-Stadt nach München 1938, durch vier Systeme, das Königreich Bayern, den Revolutionären Arbeiterrat, die Weimarer Republik und die NS-Diktatur.

Umstritten: Bürgermeister Alois Wunder. (Foto: Müller-Hilsdorf)

Fünfmal wurde Wunder von den Pasingern im Amt bestätigt, ein Vertrauensbeweis, der seine Selbsteinschätzung wohl unterstrich: "Mein Lebenslauf liegt in Pflicht und Arbeit beschlossen." Und ihn auch zu einer Art Mythos der Pasinger Lokalgeschichte werden ließ, der bisher kaum Kratzer bekommen zu haben scheint: Wunder, das besonnene Stadtoberhaupt, das Pasing durch schwierige Zeiten lenkte, es zur Schulstadt ausbaute, ein Gesundheits- und Fürsorgewesen installierte, und sich, wenn auch vergebens, gegen die von den Nazis forcierte Eingemeindung nach München 1938 stemmte.

Selbst- und Fremdeinschätzungen des mit vielen Auszeichnungen, unter anderem der Medaille "München leuchtet" in Gold, geehrten Wunder, die die Autoren durch die von ihnen gefundenen Dokumente Facette um Facette zum Bröckeln bringen. Allein die vielen vor Führer-Verehrung geradezu triefenden Reden bei allen möglichen Anlässen, die sie im Wortlaut anführen, zeigen einen Pasinger Oberbürgermeister, der später 1946 im Meldebogen zum Entnazifizierungsbogen entweder an einer Komplettamnesie gelitten haben musste oder schlichtweg log: "Ich kann mich nicht erinnern, bei solchen (von der NSDAP organisierten) öffentlichen Veranstaltungen gesprochen zu haben." Weltanschaulich, so gibt er sich selbst den Persilschein, "stand und stehen ich dem Nationalsozialismus fremd gegenüber". Und dann macht er sich quasi zum mutigen Widerständler: "Diese meine Weltanschauung war bekannt und den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge."

Ehrung: 1978 wurde eine kleine Straße nach Wunder benannt. (Foto: czg/oh)

Koch, Schoßig und Schülke belegen, wie rasch sich der Verwaltungsmensch Wunder nach 1933 im Pasinger Magistrat den neuen Herren anpasste. Unter den vielen Zeugnissen, die sie anführen, sind auch solche, die einem durch ihren kaltschnäuzigen Bürokratismus sprachlos machen: Mehrfach schickt Wunder Post ins Konzentrationslager Dachau. Er fordert die vom NS-Regime dorthin verschleppten Pasinger Politiker auf, ihre Sonderausweise und Straßenbahnfreikarten zurückzugeben. Loyal zeigt sich der Pasinger OB auch beim reichsweit angeordneten Boykott gegen jüdische Geschäfte im April 1933. Wunder ordnet an, dass Pasing keine Emailleschilder mit der Aufschrift "Juden sind hier unerwünscht" für die Ortseingänge anschafft. Da diese häufig zertrümmert würden, seien Tafeln aus Holz vorzuziehen. Die Autoren weisen auch nach, dass Wunder, anders als von ihm später behauptet, keinesfalls gegen seinen Willen in die NSDAP "geraten" ist.

Nur noch wenige Pasinger dürften heute wissen, dass die Planegger Straße einmal "Oberbürgermeister-Wunder-Straße" hieß. Als eine der letzten Amtshandlungen vor der Eingemeindung 1938 nach München wurde dies vom Pasinger Stadtrat noch so verfügt. Im Zuge der Entnazifizierung wurde dies rückgängig gemacht, aber nicht, das betonen die Autoren, weil ein Münchner Stadtratsbeschluss die Benennung von Straßen nach lebenden Personen untersagt habe. Sie haben ein Stadtratsprotokoll gefunden, das die damaligen Beweggründe für die Entwidmung der Straße schildert: "Bei der Machtübernahme im Jahre 1933 wurden alle Bürgermeister, die nicht mit dem Dritten Reich sympathisierten, abgesetzt. Oberbürgermeister Wunder blieb jedoch im Amt, ein Beweis, dass er auf Seiten des Dritten Reiches stand."

In einem sehr interessanten Kapitel rekonstruieren die Autoren, wie Alois Wunder als "weitblickender Kommunalpolitiker" posthum 1978 wieder zu einer Straße kam. Nur Tage nach seinem Tod 1974 sei im Baureferat ein Akt zu einer möglichen Straßenbenennung angelegt worden. SPD-Stadträte, so zeigen die Protokolle, haben die Sache dann 1977 forciert, am 1. November 1978 wurde die kleine Straße zwischen der Georg-Habel-Straße und dem Schererplatz dann nach ihm benannt.

Es war die SPD-Fraktion im Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing, die 2012 in Reaktion auf die mittlerweile bekannt gewordenen Dokumente über Wunder den Antrag an die Stadt stellte, die Benennung der Straße zu überprüfen. Ein Prozess, wie solchen Fällen üblich, war damit in Gang gesetzt. Die Stadt ließ ein Gutachten erstellen, dieses diente dem Ältestenrat des Stadtrats als Grundlage seiner Entscheidung: Eine Umbenennung wurde abgelehnt. Bernhard Schoßig hatte versucht, Einsicht in dieses Gutachten zu erhalten, was ihm allerdings verwehrt wurde. Damit war der Fall Wunder aus Pasinger Sicht aber noch nicht abgeschlossen. Im Januar 2016 stellte die SPD-Fraktion im BA erneut einen Überprüfungsantrag. Dann folgte im März 2016 ein Antrag bei der Bürgerversammlung, die Straße nicht umzubenennen, der von der Mehrheit unter Jubel angenommen wurde.

Aktuell aber wird wieder geprüft. Das Direktorium und das Stadtarchiv haben ein Projekt gestartet, bei dem alle historisch belasteten Straßennamen in München überprüft werden und ein Vorschlag für den Umgang damit erarbeitet wird. Was aus der Alois-Wunder-Straße also wird, bleibt abzuwarten.

"... nur Mitläufer? Der Pasinger Bürgermeister Dr. Alois Wunder während der Zeit des Nationalsozialismus." Eine kommentierte Dokumentation von Bernhard Koch, Bernhard Schoßig und Bernd-Michael Schülke. Herausgegeben vom Institut für zukunftsweisende Geschichte. 2017, www.book-on-demand.de.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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