Helden der Wiesn: Willy Heide:72 Jahre Oktoberfest-Erfahrung

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Willy Heide, 87 Jahre alt, fing 1936 auf der Wiesn an - als sogenannter Anzulernender. Heute ist er Seniorchef des Festzeltes mit dem hübschen Namen "Bräurosl".

Joachim Käppner

Manchmal, wenn die Combo in der Zeltmitte wieder mit der Wucht eines Artillerieschlags loslegt und Hunderte, die Maß in der Hand, auf den Bierbänken herumstampfen, sieht man hinten einen kleinen alten Herrn durch die Reihen gehen, unberührt von Lärm, Geschrei und Geschepper.

Seit 72 Jahren auf der Wiesn dabei: Wirt Willy Heide. (Foto: Foto: Robert Haas)

Er trägt eine Trachtenjacke, schüttelt hier eine Hand, verneigt sich dort vor einer Dame. Viele kennen ihn und grüßen zurück, manche aber starren ihn ratlos an: Was möchte dieser Mann? Will er etwas verkaufen? Willy Heide, 87 Jahre alt, will nichts verkaufen. Er tut nur, was ein anständiger Wiesnwirt nach alter Sitte zu tun hat - einmal am Abend durchs Zelt gehen und seine Gäste zu begrüßen, so wie er es schon vor dem Krieg mit "meinem Herrn Papa" gemacht hat, der Münchner Wirtelegende Georg Heide. Und heute? "Heute schauen mich manche an wie ein Mondkalb", sagt Heide.

Wenn an diesem Samstag das 175. Oktoberfest beginnt, ist Willi Heide wieder dabei, so wie vor 72 Jahren auch; damals, 1936, als Anzulernender - "da habe ich all die Tage Hendl aufgesteckt und Krüge gewaschen" -, heute als Seniorchef des Festzeltes mit dem hübschen Namen "Bräurosl".

1939 kam der Krieg, dann die Front in Südfrankreich 1944, die Gefangenschaft in Nordafrika. Heide ist nicht der Mann für Landserseligkeit, er denkt mit Schaudern an diese Zeit. 1949 kam er heim und fing dort an, wo er aufgehört hatte, auf der Wiesn und in der heimischen Gaststätte "Heide-Volm" in Planegg bei München. Vielleicht ist das verlorene Jahrzehnt ja auch ein Grund, dass er sich fortan in das barocke Leben eines Wiesnwirts stürzte.

Lange war er deren einflussreicher Sprecher, konnte aber nicht verhindern, dass sein Freund und Münchens bekanntester Wirt, Richard Süßmeier, von einem bissigen Kreisverwaltungsreferenten namens Peter Gauweiler, CSU, von der Wiesn geworfen wurde. Ach, sagt Heide, "des war auch ned so geschickt, wie der Richard Süßmeier schlecht eingeschenkt und erklärt hat, wie man aus einem Hendl drei halbe macht". Alte Geschichten.

Nun klagen Grantler, die gute alte Wiesn sei dahin, verdorben durch australische Kampftrinker, enthemmte Weibsbilder in falschen Dirndln und Musiker, denen die Bässe das Gehör geraubt haben. Heide aber ist stolz darauf, dass in seinem Zelt noch viele Stammgäste hocken und "weniger die Promis mit ihrem Auftrieb"; die Liberalitas bavariae, die gilt ihm was, und wenn die Leute heute lärmen und auf Kommando die Krüge heben und draußen die Hightechschaukeln kreischende Besucher durch den Nachthimmeln wirbeln - was soll's: "Die Wiesn hat sich immer gewandelt, und Hauptsach', die Leut' haben ihren Spaß."

Und überhaupt, sagt er, stimmt gar nicht, dass früher alles besser war. In der Bräurosl etwa gab es dereinst gelegentlich Saalschlachten, bei denen die Ordnungskräfte gegen das Aufgebot der Münchner Maurer ein Cannae erlebten. Heide: "Das war nicht schön für den Wirt." Heute seien die Gäste "weit gesitteter, wenn auch nicht mehr so schön angezogen". Und zugeben müsse man eines schon: "So behaglich, wie es insgesamt einmal war, wird's auf der Wiesn nimmer werden."

© SZ vom 20.09.2008/wib - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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