Hans Nieswandt:Doctor House

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Warum die Tanzfläche ein guter Ort ist, um sich der Merkwürdigkeit des Vorhandenseins im Universum bewusst zu werden.

Birgit Ackermann und Jochen Temsch

Hans Nieswandts Mischung aus House, Techno und Disco ist unwiderstehlich - und reflektiert. Der 1964 geborene DJ, Journalist und Buchautor ("Plus minus acht") lebt in Köln. Mit seinem Projekt Whirlpool Productions ("From disco to disco") war er in den Charts. Hier doziert Doktor House über seine Welt.

Wie intelligent kann Feiern sein?

"Über die Feier von Musik bin ich zum DJ-Sein gekommen. Mit Feiern meine ich vor allem Tanzen und was Musik mit einem anstellen kann. Das hat schon eine enorm positive Wirkung auf den Menschen. Aber ich meine damit nicht, den Kopf abzuschalten. Die Tanzfläche ist ein guter Ort - wie eine Kirche oder ein Berggipfel -, um sich der Merkwürdigkeit des Vorhandenseins im Universum bewusst zu werden: die Endlichkeit und die Unendlichkeit, die eigene Bedeutung und Nichtbedeutung. Ich habe dazu mal einen Aufsatz aus den siebziger Jahren gelesen, mit der These: Die Disco ist ein Ort, wo für einen kurzen Moment das Leben einen idealen Zustand erreicht, der aber nicht andauern kann, weil man sonst an der Intensität verbrennen würde. Es ist ein Ort, an dem man erinnert wird, dass das Leben nicht nur aus Pflichten und Arbeiten besteht."

Wie macht man die Disco zum Beruf?

"Da habe ich zum Beispiel ein gutes Zitat von Willie Nelson: ,The nightlife ain't no good life, but it's my life.' Es hat eine gewisse romantische Seite, aber es ist echt anstrengend. Ich bin keine Feiersau - aber ich spüre mein Alter. Es ist auch nicht so schön, nachmittags aufzuwachen, vor allem im November. Und noch was: Wenn eine Clubnacht Dienstleistungscharakter annimmt, also nicht die Musik, sondern das Balzverhalten oder die Frisur das Hauptding sind, ist mir das zu wenig. Musik ist für mich absolut heilig. Es ist traurig anzusehen, wenn sie einen zynischen Warencharakter bekommt. Ich lege eine Mischung aus Disco, House und Techno auf. Aber je älter ich werde, desto öfter denke ich, dass alles nur Disco ist."

Wie macht man Disco in Ramallah?

",Disco Ramallah' heißt mein neues Buch, das im März erscheint. Ich verarbeite darin unter anderem meine Nahosttour - Workshops und Auftritte, zum Beispiel in Bethlehem, Beirut, Kairo. Ich fuhr im Jeep mit DJ-Konsole durch die Checkpoints des Westjordanlands. Dort sind Tanzveranstaltungen nicht erlaubt, aber gleich gegenüber ist Tel Aviv mit all seinen Clubs. Beirut ist eine unglaubliche Partystadt. Die DJs sind alles Kriegskinder. Sie reden von Turntables und davon, wie sie in die Bunker gerannt sind. Tanzmusik ist dort auch Ausdruck einer Sehnsucht nach westlichem Leben. Das Wenige, das man zu feiern hat, bekommt eine tiefere Bedeutung."

Wie geht ein guter Club?

"In Deutschland stecken manche Clubs mehr Geld in ihre Toiletten als in ihre Soundanlagen. Man muss Musik in ihrer optimalen Form, nicht in brüllender Lautstärke hören, dann ist das ein ganz überwältigendes Erlebnis. Das versteht man erst, wenn man das erlebt hat. Im Club Robert Johnsons in Offenbach gibt es das, und in Deutschlands amerikanischster Stadt Frankfurt im Cocoon Club von Sven Väth. Und die Anlage im Münchner Ultraschall war super. Es gab ein tolles Detail: einen Holztanzboden. Mir gefällt es, wenn Leute kollektiv etwas aufbauen, und wenn das Publikum nicht nur konsumieren will. Dann ist das eine Haltung wie in der Pionierzeit der Discokultur: Es ist wirklich wichtig, sich zu treffen und ein gemeinsames Erlebnis zu haben, unter dem Vorzeichen von Musik."

© SZ vom 17.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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