Gastronomie in München:Bitte nicht kleckern

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Wer die Gäste nicht im Dunkeln sitzen lässt, Wasser zu angemessenen Preisen anbietet und auf kuriose Verzierungen verzichtet, macht Punkte gut: Ein Wunschzettel der SZ-Kostprobenredaktion an die Münchner Wirte.

Das größte Vorurteil über Restauranttester? "Du hast's gut. Gehst schön zum Essen, lässt Dir das von der Zeitung bezahlen und schreibst dann halt irgendwas auf." Von wegen haben wir es gut! Mühsam und in aller Heimlichkeit spähen die Tester der Kostprobenredaktion Lokale aus, arbeiten sich durch nicht immer erquickende Speisefolgen und müssen das Erlebte dann so zu Papier bringen, dass sich die Empörung der Wirte möglichst nicht in Gewaltakten äußert. Wobei die Gastronomen durchaus vorbauen könnten, was die Beurteilung ihrer Lokale angeht: Wer die Gäste nicht im Dunkeln sitzen lässt, Wasser zu angemessenen Preisen anbietet oder auf allzu kuriose Verzierungen der Teller verzichtet, macht schon Punkte gut. Deshalb haben wir - pünktlich zum Fest - unseren Wunschzettel an die Münchner Gastronomie für das Jahr 2014 zusammengestellt.

Es werde Licht

Den Testern der Kostprobe ist allesamt eine leicht kriminelle Ader gemein. Während ihrer Restaurantbesuche müssen sie mitunter eine Speisekarte mitgehen lassen - damit später, beim Schreiben der Kritik, die Preise auch stimmen. Inkognito unter dem Restauranttisch schreibt es sich halt nicht immer so detailgenau. Beim nachfolgenden Besuch des Lokals versucht man dann, die Karten unauffällig zurückzulegen. Derart zwielichtigen Subjekten kommt einerseits die schummrige Beleuchtung mancher Restaurants zugute. Da sieht der Kellner nicht so genau, wenn das Monstrum von Karte verräterisch aus der Handtasche lugt. Andererseits macht die zunehmende Befunzelung den SZ-Vorschmeckern die Arbeit schwerer. Neulich speiste Rosa Marín in einem japanischen Restaurant, in dem sie kaum ihr Gegenüber am Tisch erkennen konnte - obwohl sie die Sonnenbrille abgenommen hatte. Es schien, als ob sogar die ohnehin mickrigen Kerzen gedimmt waren. Weder die Speisekarte war zu entziffern, noch war das, was auf dem Teller lag, zu definieren. Und das soll gemütlich sein oder in irgendein gastronomisches Lichtkonzept passen? Tsts. Es muss ja nicht gleich die 1000-Watt-Neonröhre sein. Aber sinnvoll wäre es schon, wenn auch das Auge mitessen könnte. Deshalb der Wunsch: Mehr Licht!

Wenn es recht saftig oder fettig auf dem Teller zugeht, mischt sich oftmals alsbald ein bittertrockener Unterton ins Mahl: Es sind die Fussel und Fetzen der mickerigen Papierservietten, mit denen heutzutage noch immer allzu viele Münchner Wirte ihre Kundschaft abspeisen. Säuberlichkeit bei Tisch - man denke nur den Bierdeckel, mit dem die Krümel des Vorgastes von der Tischdecke gewedelt werden - ist an deutschen Restauranttischen Wunschdenken. Uns, den Speisenden, verweigert man hartnäckig die Stoffservietten, die etwa in Italien oder Frankreich selbstverständlich sind. Ein mürrisch nachgelieferter Stapel Papierblätter, wenn denn mal dem Geflügel mit den Fingern nachzuhelfen war - man hat dann einen Berg aufgeweichten Mülls auf dem Tisch -, oder die brettharten Vliesbahnen, die, wiewohl aus Papier, Stoff vortäuschen sollen, sind kein würdiger Ersatz. Und wenn mir das Haus am Ende ein paar Cent für die Serviette vorrechnete - bekommen möchte ich das respektable Stoffstück wenigstens, das auch geeignet sein sollte, wenn's in Spaghetti oder Gulasch allzu rot zugeht, vor die Hemdbrust gesteckt zu werden.

Warum nicht wie bei Mamma?

München versteht sich gern als nördlichste Stadt Italiens. Hier ist man stolz auf seine Lebensart, die Maximilianstraße würde es mit mediterraner Leichtigkeit als weltwichtigste Aperol-Spritz-Quelle ins Guinness-Buch schaffen, und in jeder zweiten Straße findet sich ein italienisches Lokal. Aber abgesehen von ein paar wenigen guten Restaurants lassen sich die meisten von ihnen in zwei Kategorien einordnen: öde und edle Italiener. Erstere halten zum Durchdeklinieren der gängigsten Pasta-Teller zwei Basis-Soßen vor. Eine weißliche (etwa für Carbonara oder Quattro Formaggi) und eine rötliche (Napoletana, Arrabiata). Ein Abend dort hat also das Temperament von zerkochten Rigatoni in Käse-Sahne. Die zweite Kategorie ist überteuert, dafür aber kulinarisch ambitionierter, wie man aus Bunte oder Gala erfahren durfte. Zu den Höhepunkten zählen dann ein süffiges "Ciao bella", die gerahmten Autogramme von Uschi Glas und Ralph Siegel sowie alle Gäste, die beim Eintunken ihres Landbrots in ein Gemisch aus Balsamico-Surrogat und zweitklassigem Öl entfernt an Philipp Lahm erinnern. Größter Vorteil: Hier kriegt man eh nie einen Tisch. Münchens Lokale sollten endlich so italienisch werden, wie die italienische Küche sich versteht: vielfältig, gut und einfach. Warum ist das nur so schwer?

Wirte, denen der eigene Erwerbstrieb wichtiger ist als das Wohl ihrer Gäste, haben verschiedene Möglichkeiten. Zu den plumpen Methoden, mehr Rahm abzuschöpfen, gehören überhöhte Preise oder zu wenig Personal. Subtiler ist die Möblierung des Lokals mit einer maximalen Zahl an Tischen. Ist der Laden leer, fällt sie gar nicht so auf, die wenigen Gäste werden sich naturgemäß so verteilen, dass sie nicht Leuten auf die Pelle rücken müssen, die sie gar nicht kennen. Ist der Laden voll, sitzt man seinem Nachbarn quasi auf dem Schoß. Zur unerwünschten körperlichen Tuchfühlung kommt unweigerlich das akustische Rahmenprogramm. Denn ob man will oder nicht, man ist gezwungen, die Unterhaltung am Nachbartisch mit anzuhören. Ob es sich dabei um feuilletonistisch anspruchsvolle Konversation oder um den wortkarg ausgetragenen Kleinkrieg eines verfeindeten Ehepaars handelt, ist egal. So gut kann ein Essen gar nicht sein, um einen solchen Abend noch zu einem Genuss zu machen. Deshalb, liebe Wirte: Beendet die Zwangsfraternisierung, lasst Platz in euren Lokalen.

Wasser zu Weinpreisen

You get what you pay for, kurz YGWYPF oder auf Deutsch: Du kriegst, wofür du bezahlst. Dieser Sinnspruch des Kapitalismus wird in der Gastronomie tagtäglich auf groteske Weise ad absurdum geführt. Man bezahlt eine ganze Menge und kriegt, tja, fast nichts. Die Rede ist von Wasser, das, sobald es den Speisetisch erreicht, eine wundersame, wucherverdächtige Wertsteigerung durchmacht. 0,0015836 Euro kostet der Liter absolut trinktaugliches M-Wasser aus der Leitung. Aber abgefüllt in (möglichst blau leuchtende, aber gern auch abgeschrabbelte Pfand-)Flaschen kostet es schnell das 500 (!)-Fache. 5,80 Euro, 6,20 Euro oder auch mehr als sieben Euro werden schon aufgerufen für eine schlichte Pulle H₂O mit etwas CO₂. Der Bierpreis ist längst überholt. Schwer in Mode gekommen ist auch selbstgesprudeltes Leitungswasser in der Karaffe, das dann etwas günstiger ist, aber immer noch um die vier Euro kostet. Lasst uns bitte aufhören mit dem Quatsch, liebe Wirtsleute. Lasst das Wasser bitte Wasser sein, wir erklären uns dafür bereit, einen Obulus für schöne Servietten, Tischdecken und ein paar Grissini zu entrichten. Pane e Coperto, das könnten wir doch nach Scampi, Tiramisu und Rucola auch noch aus Italien importieren, oder? Und die schönen Regeln der Marktwirtschaft wären wieder im Lot. YGWYPF.

Manche Köche in der Stadt haben die Sache mit der Kochkunst nicht richtig verstanden. Weshalb sie glauben, ihre kulinarischen Kreationen künstlerisch aufbrezeln zu müssen, und zwar mithilfe der überflüssigsten Sauce der Welt, der Crema di Balsamico. Die besteht, ganz banal, aus Essig und Zucker, schmeckt pappsüß und etwas sauer zugleich und macht zähe Schlieren. Damit lassen sich auf den Tellerrand x-beliebige Muster kritzeln, die einen Kunstkritiker an "lyrische Abstraktionen" oder "asiatisch anmutende Kalligrafien" erinnern mögen. Alle anderen wissen aber, dass völlig inflationär verwendete Crema-Schmieragen lediglich davon zeugen, dass der Koch nicht mehr zu bieten hat, was Kreativität angeht. Für den künstlerischen Wert trifft hier also der bayerische Merksatz zu: "Kunst mir nicht den Buckel runterrutschen?"

Trocken Brot

Die Bauern wissen schon, worauf es im Leben ankommt: "Den Acker bauen ohne Verdruss, gewähret Brot im Überdruss" lautet eine alte Weisheit, die sich auch manch Münchner Wirt zu Herzen nehmen sollte. Wenn schon ein Brotkorb auf den Tisch gestellt wird, sollte der Inhalt einigermaßen überzeugen. Und nicht den Eindruck vermitteln, hier regieren Knorzer und Knicker. Oft schon haben wir uns über trockenes und billiges Brot am Tisch geärgert, da hilft es auch nicht, wenn ein Schälchen Öl zum Eintunken dazu gestellt wird oder ein undefinierbares Schmalz im Töpfchen. Noch schlimmer sind alte Brezen im Korb mit der Konsistenz von Karabinerhaken. Ein Lob den Wirten, die ihr Backwerk in der eigenen Küche herstellen lassen. Wenn dabei noch lustvoll mit Zutaten wie Tomaten, Karotten verschiedenen Körnern oder Gewürzen experimentiert wird: Der Gast dankt's und hat einen Grund mehr, wiederzukommen. So wird der gastronomische Acker bestellt.

© SZ vom 24.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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