Wirtschaft:Landkreis der Auspendler

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Auch wenn zwischen Gröbenzell und Hattenhofen immer mehr Arbeitsplätze entstehen: Die Zahl jener, die in München ihrem Job nachgehen, steigt weiter an. Planungsverband spricht von einem Strukturproblem

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Der Landkreis hat in der Dekade von 2005 bis 2015 als Wirtschaftsstandort stark aufgeholt. Stieg doch in dieser Zeit die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse um 28 Prozent. Mit diesem Zuwachs nimmt Fürstenfeldbruck in der Region einen Spitzenplatz ein. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Das Strukturdefizit des Landkreises hat sich laut Christian Breu, dem Geschäftsführer vom Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München (PV), nur auf einem höheren Niveau verfestigt. Trotz des Wirtschaftsbooms mit 10 288 neuen Arbeitsplätzen in nur einer Dekade bleibt Bruck nämlich der Auspendler-Spitzenreiter der Region.

Die einzige Ausnahme bildet die Kreisstadt. In Fürstenfeldbruck halten sich mit jeweils etwas mehr als 10 000 Personen die Ein- und Auspendler die Waage. Und die Stadt verbucht etwas mehr als ein Drittel der neuen Stellen für sich. In allen anderen 22 Landkreiskommunen verfestigt sich dagegen das Strukturproblem. Zum Beleg hierfür verweist der PV-Geschäftsführer auf den Pendlersaldo. Dieser wird berechnet, indem man von den Einpendlern die Auspendler abzieht. Ist das Ergebnis positiv, also die Zahl der Einpendler höher, ist das ein Hinweis auf Strukturstärke mit einem Überangebot an Stellen. Bruck hat hier jedoch nicht nur mit einem Minus von 36 275 Pendlern den schlechtesten Negativsaldo aller Landkreise der Region, sondern dieser Saldo verschlechterte sich in den vergangenen zehn Jahren sogar erheblich. So pendelten 2016 fast genau 5000 Brucker mehr aus als noch 2006. Der Nachbarlandkreis Starnberg hat dagegen einen fast ausgeglichenen Saldo. In den Landkreis München pendeln sogar etwa 200 000 Arbeitskräfte mehr ein als aus.

Die zusätzlichen Beschäftigungsverhältnisse führten also nicht dazu, dass weniger Menschen morgens und abends lange, beschwerliche Wege auf sich nehmen. Die Vorstellung, mit neuen Arbeitsplätzen in den Gemeinden lasse sich das Pendleraufkommen vermindern, erweist sich damit als falsch. Solche Erwartungen waren neben der Hoffnung auf steigende Gewerbesteuern eine der Begründungen für die Ausweisung neuer Gewerbegebiete. Die Zahl der Ein- und Auspendler nahm in einem annähernd gleichen Verhältnis zu wie die der Arbeitsplätze. 28 Prozent mehr sozialversicherungspflichtigen Stellen entsprechen einem Zuwachs von 28,3 Prozent an Pendlern. Trotz des prozentual hohen Stellenzuwachses liegt die Zahl der Arbeitsplätze allerdings weiterhin noch weit unter dem Durchschnitt von Bayern und Deutschland. Dieser wird mit etwa 400 Beschäftigten je 1000 Einwohner angegeben und als Arbeitsplatzdichte bezeichnet. Im Landkreis lag die Arbeitsplatzdichte im Jahr 2015 bei 220, also bei etwas mehr als der Hälfte des Durchschnittswerts. Nur die Kreisstadt erreichte mit einem Wert von 395 annähernd den Durchschnitt.

Wie einer kürzlich veröffentlichten Broschüre des PV zu entnehmen ist, erhöhte sich von 2006 bis 2016 die Zahl derjenigen, die im Landkreis nicht an ihrem Wohnort arbeiten, von 85 075 auf 109 070 Personen. Das ist ein Plus von 23 995 Pendlern. Da dem PV nur die statistischen Daten zu sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten zur Verfügung standen, also Beamte, Freiberufler, Studenten und Soldaten fehlen, dürfte die Zahl der Pendler um 25 bis 30 Prozent höher sein. In diesem Zusammenhang weist Breu auf ein Dilemma hin. Da Pendler dem Angebot an Arbeitsplätzen folgen, zieht das Stellenwachstum zwangsläufig eine Zunahme der Pendlerströme nach sich. Die hohen Zuwächse sind für Breu deshalb ein Beleg der enormen Wirtschaftskraft der Region. Die wirtschaftlichen Aktivitäten nehmen zudem wesentlich stärker zu als die Einwohnerzahl. Diese erhöhte sich im Landkreis von 2005 auf 2015 um 6,9 Prozent oder um 13 698 auf 213 481 Bewohner. "Wir schauen immer auf die Einwohner-Entwicklung", sagt Breu.

Welches Dilemma diese Entwicklung nach sich zieht, spürt jeder, der auf dem Weg zur Arbeit im Stau steht, in einer überfüllten S-Bahn unterwegs ist oder eine Wohnung sucht. "Die Menschen, die hier arbeiten, wollen auch hier wohnen oder schnell und bequem von außerhalb zu ihrem Arbeitsplatz kommen", sagt der Geschäftsführer des Planungsverbands. Deshalb sei die Lebensqualität nur zu erhalten, wenn Wohnungen errichtet und die Infrastruktur ausgebaut werden. Da die Verkehrsprobleme mit dem Wirtschafts-Wachstum zunehmen, plädiert Breu für den massiven Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs. Auch die Infrastruktur für Radfahrer sollte verbessert werden. Das Straßensystem sollte dagegen jedoch nur noch punktuell ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang weist der PV-Vertreter darauf hin, dass nur etwa 25 Prozent der Fahrten auf das Konto der Pendler gehen. Der Löwenanteil dient der Freizeit, der Erholung und dem Einkaufen.

Zu finden ist die Broschüre auf der Website des Planungsverbands unter www.pv-muenchen.de/pendeln.

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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