Tischtennis beim SCF:Neffe einer Legende

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Andras Podpinka ist der Neffe von Tischtennis-Legende Tibor Klampár. Als 16-Jähriger floh er aus Ungarn und landete schließlich beim SC Fürstenfeldbruck. Dort will er bleiben

Andreas Liebmann

Ein kalter Novembermorgen, vier Uhr früh, es ist dunkel. Andras Podpinka blickt sich ein letztes Mal um. Niemand beobachtet ihn. Auf dem Parkplatz wartet ein Peugeot mit belgischem Kennzeichen. Der 16-Jährige begrüßt den Fahrer auf Englisch, er wirft seine Sporttasche in den Kofferraum und steigt in den Wagen. Als er die Tür schließt, lässt er das Leben hinter sich, das er bis dahin kannte.

In Aktion: Andras Podpinka (links) mit seinem Doppelpartner Florian Schreiner vom SC Fürstenfeldbruck. (Foto: Günther Reger)

Fast 30 Jahre ist das her, Podpinka hat kurze weiße Haare, sein einstiges Kampfgewicht von 56 Kilogramm hat er nicht ganz gehalten. Im roten Trainingsanzug sitzt er in einem Nebenraum der Fürstenfeldbrucker Jahnsporthalle und erzählt seine Geschichte in knappen, beiläufigen Sätzen; sie klingen, als wäre er damals heimlich zu einem Wochenendausflug ausgebüxt. Tatsächlich war es eine Republikflucht. "Klar", sagt er, "ich habe dann meine Familie vier Jahre lang nicht gesehen."

Mit dem ungarischen Tischtennis-Nationalteam ist der Teenager für ein Europapokalspiel in Holland gewesen. Der Fluchtplan ergab sich fast von allein. Die Familie hatte Verwandte in Belgien, nicht weit von der holländischen Grenze entfernt, ein Onkel zweiten Grades fuhr in der Nacht ins Nachbarland und gabelte den 16-Jährigen auf. Einige Monate lang, erinnert sich Podpinka, seien Angestellte der ungarischen Botschaft zu seiner belgischen Großtante gefahren: "Sie wollten mich zurückholen." Dann erhielt er das rettende Visum.

So kam es, dass der Ungar Podpinka später mehr als 200 Einsätze als belgischer Tischtennis-Nationalspieler bestritt.

Man kann sich im Internet Videos aus Podpinkas Glanzzeit ansehen, ein leichtgewichtiger, wieselflinker Bursche war er, der eng am Tisch stand und die Bälle kompromisslos beschleunigte. Diese riskante Spielweise pflegt er bis heute. Vor eineinhalb Jahren wechselte Podpinka zum SC Fürstenfeldbruck, zunächst als Nummer eins, inzwischen spielt er an Position vier beim Zweitliga-Aufsteiger. Noch immer ist er die zentrale Figur: Coach, Trainingspartner, Leistungsträger. "Wenn er trifft, ist er schwer zu halten", sagt Abteilungsleiter Rudi Lutzenberger, "er spielt immer noch Bälle, die spielt bei uns sonst niemand."

Man muss mit Podpinka über Tibor Klampár reden, das Tischtennisidol Ungarns, den zweimaligen Weltmeister. Beide kommen aus Budapest, doch Podpinka betont gleich mal, dass sein Vorbild früher ein anderer gewesen sei: der Schwede Stellan Bengtsson: "Der war auch so klein wie ich." Tibor Klampárs Rolle war eine andere: Er ist Podpinkas Onkel.

Der legendäre Klampár löste damals sogar Podpinkas Flucht in den Westen aus.

Drei Geschwister hatte Tibor Klampár, die beiden älteren Schwestern spielten Tischtennis in der ersten ungarischen Liga, eine war Podpinkas Mutter. Nur József, der Älteste, fiel aus der Reihe, er war Erstliga-Fußballer. "Er kann bis heute nicht Tischtennis spielen", sagt Podpinka, "aber er hat ein sehr gutes Auge dafür." Weshalb er nach der Fußballkarriere ein ausgezeichneter Tischtennistrainer geworden sei.

Die Klampár-Brüder seien nicht immer pflegeleichte Sportler gewesen, erzählt der Neffe, weshalb der Verband sie im Jahr 1985 aus disziplinarischen Gründen sperrte. Der 16-jährige Podpinka war da gerade für den Nationalkader gesichtet worden. Weil er sich mit den Verwandten solidarisch zeigte, habe auch er für zwei Jahre gesperrt werden sollen. Unter der Hand erfuhr die Familie davon, der Jung-Nationalspieler kam dem Verband zuvor - und floh.

Von Belgien aus startete Podpinka seine Profikarriere, die ihn bis auf Rang 23 der Weltrangliste führte: Er spielte in Holland, gewann mit dem belgischen Serienmeister Royal Vilette Charleroi die Champions League, verdiente sein Geld in der Bundesliga bei Saarbrücken, Grenzau, Lübeck, Offenburg - zwölf Jahre lang, in denen er in Deutschland lebte. Der Ungar spricht fließend Deutsch, Französisch, Holländisch und Englisch. Schon zu seiner Saarbrücker Zeit wurde er in Deutschland eingebürgert, für das Nationalteam, hieß es. Seine internationalen Einsätze bestritt er letztlich aber weiter für Belgien.

Heute lebt der 45-Jährige wieder in Ungarn, mit Tochter und Lebensgefährtin. Er ist aber keiner dieser Wanderarbeiter, die nur für Punktspiele einreisen. Vor eineinhalb Jahren holte ihn der SCF aus Hilpoltstein, unter anderem wegen seiner erfolgreichen Jugendarbeit. Seither unterrichtet er die größten Brucker Talente, arbeitet zudem mit einem Frauen-Zweitligisten in Kufstein, lässt sich für Lehrgänge buchen. In Ungarn trainiert er nur sich selbst, in Deutschland verdient er sein Geld. Knapp zwölf Tage im Monat verbringt er hier, irgendwann will er die Arbeit von einem deutschen Wohnort aus erledigen. Er macht eine Ausbildung zum Sportlehrer, ein mögliches neues Standbein.

Mit dem SC Fürstenfeldbruck identifiziert sich Podpinka in hohem Maße. "Ich will hier etwas aufbauen", sagt er. Es gefällt ihm, dass hier viel Wert auf Jugendarbeit gelegt wird. In der kommenden Saison will er freiwillig ins zweite Team gehen, um es nach oben zu bringen. Seine Leistung reicht noch für die erste Mannschaft. 11:7 lautet die aktuelle Saisonbilanz. Nicht immer kommt er mit seiner Spielart durch, am Sonntag gegen Hilpoltstein unterlag er Arne Hölter fiebergeschwächt in drei Sätzen. Sein zweiter Kontrahent, Dennis Dickhardt, erfuhr im zweiten Satz, wie es ist, wenn es bei Podpinka läuft: 11:7, 11:1, 14:12 gewann der Routinier.

Ein Schlüsselerlebnis verbindet Podpinka übrigens doch mit seinem berühmten Onkel Tibor Klampár: "Bis ich 14 war, habe ich mit Tibi keinen Ballwechsel gespielt", erzählt er. Dann gab es einen Notfall: Klampár wollte sich nach einer Blinddarm-Operation fit machen für einen Weltcup in Malaysia, doch kein Trainingspartner hatte Zeit - bis auf seinen Neffen Andras. Also übten die beiden eine Woche lang. "Am letzten Tag vor seiner Abreise habe ich dann sogar einmal gegen ihn gewonnen", erzählt Podpinka: "Wie soll ich denn ins Turnier gehen, wenn ich gegen einen Knirps verliere", soll Klampár sinngemäß gefragt haben. Den Rest sah Podpinka live in einem Schwarz-Weiß-Fernseher: Die ganze Halle voller Chinesen, alle waren gegen seinen Onkel Tibi, der im Finale gegen den Weltranglisten-Dritten Xie Saike mit 0:2 Sätzen zurücklag - und doch den Pokal gewann. Der Knirps von damals war bereit, bald selbst die Tischtenniswelt zu erobern.

© SZ vom 26.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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