Theater:Partnersuche als Abendveranstaltung

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Wie um einen Marterpfahl drapiert sitzen die Teilnehmer, die gerade nicht an der Reihe sind, auf ihren Plätzen. Auf dem Podest ist jeweils ein Paar, das sich im Schnelldurchlauf kennenlernen darf. In diesem Fall sind es Mediha (Anne Distler) und Falk (Philip Schultheiß). (Foto: Günther Reger)

Der Neuen Bühne Bruck gelingt eine rasante Inszenierung der Speed-Dating-Komödie "Shoppen", bei der die Besucher erst viel zu lachen haben, bevor langsam das tragische Moment zu wirken beginnt

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Pünktlich, ordnungsliebend, diszipliniert, oberflächlich höflich, dafür emotional schwer von Begriff, der Körper von harter Büroarbeit geschunden (Bandscheibenvorfall L4/L5): Falk (Philip Schultheiß) verkörpert all das, was von den von manchen hochgeschätzten preußischen Tugenden noch übrig ist und versteht trotzdem nicht, warum er die Frau fürs Leben noch nicht gefunden hat. Und so vertritt er tapfer sein Stereotyp beim turbulenten Jahrmarkt der Single-Archetypen an der Neuen Bühne Bruck. Zehn von ihnen schickt Regisseur Harald Molocher bei seiner Inszenierung von "Shoppen" auf die Bühne zum Speed-Dating.

Und die zehn Schauspieler geben sich größte Mühe, bei diesem Parforceritt nicht den Atem zu verlieren. Denn Molocher mutet ihnen einiges zu: Das Stück funktioniert nur, wenn jeder seine Rolle zu 100 Prozent trifft, das Klischee lebt. Es gibt kein Bühnenbild, keine großen Gesten, nur Dialoge. Und die werden wie mit dem Drucklufttacker in die Ohren der Besucher geheftet. Immerhin muss jedes der 25 möglichen Paare (fünf Männer, fünf Frauen) zumindest einmal kurz miteinander interagieren - die Spanne reicht vom kurzen Wortgefecht bis zum längeren Gespräch. Und die bringt das Ensemble durchweg ordentlich rüber, mit einigen Ausreißern nach oben. Allen voran der bereits genannte Falk, der Dank Schultheiß' Darstellung in allen Begegnungen wirkt wie ein Bauer bei einer britischen Abendgesellschaft des 19. Jahrhunderts, der überhaupt nicht versteht, was da gerade passiert und weshalb die Frauen so reagieren, wie sie reagieren. Etwa wenn Irina (Silvie Stollenwerk) verzweifelt klagt, wie sehr sie ihr Job als Pflegerin körperlich überfordert. Zu klein sei sie für die vielen großen Menschen, jeden Abend habe sie Schmerzen im Rücken. "Dann mach doch Rückentraining", ist alles, was Falk, der Controller, dazu zu sagen weiß, seine Augen zeigen deutlich die Überforderung durch die emotional aufgewühlte Frau.

Und so strotzen fast alle Zusammentreffen von Missverständnissen, falschen Erwartungen und Egoismen. Bei Mediha (Anne Distler) ist der Partner eigentlich egal, sie erzählt sowieso nur, was ihr spontan im Kopf umgeht. Ernährungsberaterin Carmen (Sonja Heringer) geht es nur um Sex, ebenso wie Jürgen (Alexander Schmiedel), der gerade aus Garmisch in die Stadt gezogen ist - kein Wunder, dass die beiden am Ende zusammenfinden. Jens (Theiss Heidolph) ist so romantisch, dass es den Frauen zuviel wird, Patrick (Michael Vögele) ein Aufreißer, der stets nach Schema X vorgeht und Jörg (Patrick Meier) versucht als Hipster-Hobbykoch sein Glück. Und dann sind da noch Susanna (Julia Ströhle) und Susanne (Kerstin Krefft). Erste ist Yoga-Lehrerin, zweite nach eigenen Angaben von Hause aus vermögend - und von der Welt zermürbt. Zwar hat sie deren Mechanismen verstanden, oder glaubt es zumindest, allerdings hilft ihr das auch nicht, beim Streben nach Glück und nach einem Mann.

Und so offenbart diese rasante und höchst unterhaltsame Partnervermittlungskomödie schnell einen tieftragischen Kern, der viel über die moderne Gesellschaft und Beziehungen erzählt. Hier sind Menschen, die auch nicht mehr oder weniger Fehler und Ticks haben als andere, die es aber noch stärker verlernt haben, ordentlich zu kommunizieren, die eigenen Bedürfnisse auszudrücken, aber auch zuzuhören und auf einander einzugehen. Freilich gibt es auch schrecklich gestrige Typen wie Patrick, für den die Frau ein Konsumgut ist und der nicht damit klar kommt, dass dieses plötzlich mitreden und seinen "Konsumier er" selbst wählen will. Dass bei aller Tragik das Nachdenken erst lange nach dem Lachen einsetzt, liegt an der guten Schauspielleistung und der rasanten Inszenierung.

Shoppen, Neue Bühne Bruck, Nächste Termine: Freitag und Samstag, 22. und 23. September, jeweils 20 Uhr. Mehr unter www.buehne-bruck.de

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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