Theater:Kommentator aus dem Publikum

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Max Mayer spielt in Fürstenfeld den Dorfrichter Adam und erinnert dabei mimisch wie optisch an Christoph Maria Herbst. (Foto: Günther Reger)

Eine etwas andere Inszenierung von Kleists "Der zerbrochene Krug"

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Dem Theater sind gerade amerikanische Gerichtssäle nicht unähnlich. Es gibt ein Publikum, die Geschworenen, dem eine bestimmte Version eines Tathergangs als Wahrheit verkauft werden soll. Verteidigung und Staatsanwaltschaft müssen überzeugend schauspielern. Der Richter als Regisseur mediiert das Geschehen. Jener Rolle als Mediator kommt Kleists Richter Adam so gar nicht nach. Stattdessen ist er selbst ein aktiver Teil der Ereignisse, die unter seinem Vorsitz verhandelt werden und dem Lustspiel seinen Namen geben: In "Der zerbrochne Krug" steht ein junger Liebhaber vor Gericht, da er während eines nächtlichen Besuchs bei seiner Angebeteten den Krug der Mutter umgestoßen haben soll. Was zu Beginn keiner weiß: Der Richter selbst ist in diesem Fall der Übeltäter.

In einem Stück, das fast gänzlich aus einer gerichtlichen Verhandlung besteht, ist das Metatheatrale folglich angelegt. Regisseur Oliver Reese hat diese Veranlagung für seine Inszenierung am Schauspiel Frankfurt ausgereizt. Im Rahmen der Reihe Theater Fürstenfeld gastierte das Ensemble am Sonntag im Stadtsaal. Und nicht nur das Publikum verfolgte die Bühnenhandlung vom Zuschauerraum aus. Gerichtsrat Walter, der in das fiktive Dorf Huisum kommt, um am Provinzgericht nach dem Rechten zu sehen, kommentiert die Szenen aus derselben Perspektive. Martin Rentzsch spielt ihn mit Brille und schwarzem Rollkragenpullover als Klischee-Theatermenschen. In dieser Interpretation ist sein Charakter die metatheatrale Figur schlechthin. Er ist Zuschauer, Regisseur und Kritiker zugleich, vereint also all die Rollen, die jemand mit frontalem Blick zur Bühne im Allgemeinen einnehmen kann.

Im Mittelpunkt des Treibens sitzt Max Mayer als Dorfrichter Adam. Sein wahrlich grandioser Auftritt erinnert mit der künstlichen Halbglatze nicht nur optisch an den Fernsehschauspieler Christoph Maria Herbst. Ganz ähnlich dem Star aus der Serie "Stromberg" besticht er mimisch und gestisch durch eine herrliche Slapstick-Ungelenkheit, die den Kern des Komischen bildet. Mal tobend, dann spaßend und nervös seine Sitzposition verändernd, windet er sich unter Einsatz seines ganzen Körpers durch die Gerichtsverhandlung, die sein eigenes Vergehen vertuschen soll.

Denn der Krug zerbrach, als er fluchtartig die Kammer von Eve, Tochter der Klägerin, verließ, nachdem er sie sich mit falschen Versprechungen gefügig machen wollte. Der biblische Fall wird von Kleist umgekehrt. Adam ist es, der Eve verführen möchte und damit nicht nur den Krug, sondern auch eine Beziehung zerstört. Eine Hochzeit steht am Ende nämlich nicht in Aussicht. Stattdessen schickt die enttäuschte Eve, gespielt von Carina Zichner, ihren Nicht-Mehr-Verlobten Ruprecht weg. In der letzten Szene bleiben nur sie und ihr Peiniger auf der Bühne. Zichners verzweifelter Gesichtsausdruck, als der Richter noch einmal nach ihrer Hand greift, gibt einen vielsagenden Einblick in die Seele einer hilflosen Mädchen-Figur.

Die schmale Bühne, auf der sich all das abspielt und worauf sich die Darsteller stellenweise nur schräg bewegen können, wirkt wie ein Sinnbild für die Gratwanderungen, die Kleists Stück und Reeses Aufführung prägen. Denn wie Kleist zwischen Komödie und Tragödie, Romantik und Klassik changiert, ist es unter anderem die Trennung und gleichzeitige Zusammenführung von Bühnen- und Zuschauerraum, die diese Inszenierung besonders macht.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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