Theater:Geiseln der Einsamkeit

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Müller (Friederike Peters, Mitte) lässt sich auch durch Meiers (Joachim Aßfalg) kriminelles Handeln nicht davon abhalten, Kontakte zu ihm zu knüpfen. (Foto: Günther Reger)

Die Angst vor dem Alleinsein treibt die handelnden Personen in der Groteske "Meier Müller Schulz" an. Die Neue Bühne Bruck zeigt das spaßige und traurige Stück in einer gelungenen Inszenierung

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

In Gustav Klimts Bild "Der Kuss" verschmelzen die Körper des sich küssenden Paares aus Liebe zu einer untrennbaren Einheit. Das ist eine Lesart des Gemäldes. Andererseits: So wie der Mann mit seinen Händen den Kopf der Frau umklammert, scheint sie keine andere Wahl zu haben, als sich seinen Liebkosungen hinzugeben. In diesem Szenario ist sie die Unterworfene, das Opfer, vielleicht sogar die Geisel. Es hat so oder so also durchaus Sinn, dass das Klimt-Bild im Bühnenwohnzimmer von Herrn Meier hängt. Denn Meier ist ein Geiselnehmer und einer der Protagonisten der Farce "Meier Müller Schulz oder Nie wieder einsam", die aktuell an der Neuen Bühne Bruck gezeigt wird.

Themen, die die Gesellschaft beschäftigen, macht der Autor Marc Becker zu Theaterstücken. Geschrieben hat er zum Beispiel schon über Fußballfans und Weltuntergänge. In "Meier Müller Schulz" geht es um die Angst vor dem Alleinsein. Meier fühlt sich einsam. Deswegen entführt er Schulz. Nachbarin Müller findet die Idee toll. Und so wird Geiselnahme zum Trend. Der Clou: Nach kurzer Zeit gefällt sich Schulz als Vorführgeisel, auch wenn er es sich selbst noch nicht so recht eingestehen will. Weil das Ganze so absurd ist und dem Zuschauer auch ein Bisschen Verständnis entlockt, ist es so genial.

Gespielt wird Herr Schulz von Alexander Wagner. Man nimmt ihm die anfängliche Angst seiner Figur ab, als er mit einem Sack über dem Kopf auf Meiers Sofa zittert. Später prägt sein Spiel ein Ausdruck von gleichgültiger Zufriedenheit. Eine bloße Art von Stockholm-Syndrom ist das nicht. Vielmehr scheint sich Schulz weniger aus seinem alten Leben entführt, sondern aus seinem faden Alltag als Lehrer, Vater und Bald-Ehemann befreit zu fühlen.

So sieht das auch Herr Meier, gespielt von Joachim Aßfalg. Während er noch darüber sinniert, wie das mit seiner Geisel weitergehen soll, tritt er in die Pedale seines Heimtrainers. Später strampelt dort Herr Schulz, mit Fußkette zwar, aber ansonsten unbehelligt. Mit diesem dramaturgischen Kniff wird auch ohne Worte deutlich: Schulz hat seine Situation angenommen. Mehr als das: Geisel und Geiselnehmer gleichen sich in ihren Rollen an, tauschen sie sogar räumlich auf der Bühne. Nun sitzt Meier jammernd auf der Couch, während Schulz ihn füttert. Die verquere Herr-Knecht-Dynamik zwischen Aßfalg und Wagner führt zu einigen der lustigsten Szenen der Darbietung.

Noch lustiger wird es, wenn Frau Müller dazu kommt. Friederike Peters als quirlig quasselnde Nachbarin ist sicherlich der komische Mittelpunkt des Bühnengeschehens. In ihrem gepunkteten Rockabilly-Kleid sieht sie genauso aus wie sie sich gibt und redet. Mit Meier und Schulz philosophiert Müller über Ursache, Wirkung und Kuchenrezepte. Wie einsam sie bei aller Redseligkeit ist, wird klar, als sie Meier bittet, vor ihren Eltern ihren Verlobten zu spielen. Sie ist so einsam, dass sie weder eine Schusswaffe, noch Meiers Schein-Geständnis eines geplanten Banküberfalls und erst recht nicht die Wahrheit über die Geiselnahme aus der Wohnung verscheuchen kann. Durch all die Komik ihrer Rolle lässt Peters die verzweifelte Wahnsinnige, zu der Müller in ihrer Einsamkeit geworden ist, raffiniert immer wieder durchscheinen.

"Meier Müller Schulz" ist spaßig, aber gleichzeitig auch ziemlich traurig. Man lacht zu viel, um direkt darüber nachzudenken. Aber wenn man es tut, fällt einem auf, dass es dabei um Menschen geht, die lieber andere entführen als ihr Dasein weiter allein zu ertragen. Eine groteske Komödie aus dem Kern der Gesellschaft, von mitreißenden Schauspielern auf eine Bühne gebracht, die bis zum Klimt-Bild an der Wand durchdacht ist: Die Neue Bühne Bruck hat ihr Repertoire um eine gelungene Inszenierung erweitert.

Die nächste Aufführung von "Meier Müller Schulz oder Nie wieder einsam" an der Neuen Bühne Bruck ist am kommenden Sonntag, 9. April, um 19 Uhr; weitere Vorstellungen im April und Mai. Karten unter 08141/185 89.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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