SZ-Serie: Älter werden - alt sein, Folge 3:Von der Schlei an den Gröbenbach

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Bilder hat Else Hasenbein früher gerne gemalt. Jetzt, in ihrer neuen Wohnung in Gröbenzell, beschäftigt sich die 96-Jährige mit Malbüchern. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Else Hasenbein hat ihre Heimat Schleswig-Holstein verlassen, um in die Nähe ihrer jüngsten Tochter nach Gröbenzell umzuziehen. Im Altenheim Sankt Anton meistert sie mit ihrer positiven Art die Umstellung gut und schließt mit Mitbewohnern neue Bekanntschaften

Von Jana Erthel, Gröbenzell

Es heißt, einen alten Baum solle man nicht verpflanzen. Doch die Statistik sagt etwas anderes. Fast ein Drittel der annähernd drei Millionen pflegebedürftigen Menschen waren im Dezember 2015 auf eine vollstationäre Betreuung angewiesen. Das sagen die noch aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus, die in der alle zwei Jahre erscheinenden Pflegestatistik veröffentlicht wurden. Das Verpflanzen alter Bäume, in diesen Fällen die Umzüge aus der seit Jahrzehnten gewohnten Umgebung ins Alten- und Pflegeheim, stellt für Senioren ein einschneidendes Ereignis dar. Verbunden mit Sorgen und Ängsten, aber auch mit vielen Hoffnungen.

Ingeborg Zielbauer, Leiterin der Abteilung für Soziale Begleitung und Ehrenamt des Alten- und Pflegeheims Sankt Anton in Gröbenzell weiß, wie schwierig die neuen Lebensumstände für Senioren sein können. Sie kümmert sich mit einem Team vor allem um die sogenannte Lebenszeitgestaltung der Bewohner. Besonders in der Zeit des Einzugs beobachtet sie die Senioren aufmerksam und versucht, ihnen bei der Bewältigung ihrer Ängste und in der Eingewöhnungsphase zu helfen. So hätten die Bewohner in Einzelgesprächen mit dem Personal die Möglichkeit, sich jemandem anzuvertrauen. Die vielfältige Freizeitgestaltung soll die Lebensqualität Schritt für Schritt steigern und dem Wohlbefinden der Bewohner dienen.

Diese Schritte ist Else Hasenbein in den vergangenen drei Monaten gegangen. In ihr 20 Quadratmeter großes Zimmer fallen an diesem Nachmittag Sonnenstrahlen durch die breite Fensterfront. Sie beleuchten die selbstgemalten, farbenfrohen Gemälde von Blumensträußen an den Wänden. Else Hasenbein hat aus ihrer alten Wohnung auch Zeichnungen und Bilder von Leuchttürmen und im Hafen liegenden Schiffen in die neue Wohnung mitgenommen, Erinnerungen an ihre alte Heimat Maasholm an der Schlei. Die Entscheidung, aus der Dachgeschosswohnung ihres alten Hauses in Schleswig-Holstein, wo sie zusammen mit ihrer Tochter und deren Mann wohnte, auszuziehen, war dem hohen Alter ihres Schwiegersohns und den gesundheitlichen Problemen der Tochter geschuldet. In Gröbenzell wohnt die jüngste Tochter Margarete Pachmann. Die 96-Jährige hält sich für immer noch fit, nur das Treppensteigen fällt ihr schwer.

Damit ist Else Hasenbein eine Ausnahme. Denn üblicherweise sei eine schwerwiegende Erkrankung der Grund für die Aufgabe des Privathaushalts, sagt Ingeborg Zielbauer. Außerdem seien die Reaktionen der Menschen auf die bevorstehende Heimaufnahme sehr verschieden: Während die einen sich verhältnismäßig schnell mit dem Gedanken an ein Leben im Heim anfreunden, reagieren andere wiederum schockiert oder traurig. Zielbauer ist sich sicher, dass vor allem die Medien mit ihren Berichten über die "schwarzen Schafe" für den teilweise schlechten Ruf der Alten- und Pflegeheime verantwortlich seien. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus könne sie berichten, dass viele Leute deshalb von der positiven Lebensqualität in der Institution überrascht seien. Sie rät, vor dem Umzug das heimeigene Café zu besuchen, sich mit der Institution vertraut zu machen und Kontakt zu den Bewohnern aufzunehmen. Während der Osterfeiertage hat sich Else Hasenbein das Heim angesehen, man habe sie herzlich und "mit offenen Armen" empfangen. Bis vor drei Monaten sei sie aber, im Gegensatz zu vielen anderen Bewohnern, noch sehr selbständig gewesen, habe sich ihr Essen gekocht und den Haushalt gemacht. Sie kam bei der Heimaufnahme nicht umhin, sich um den Verlust dieser Selbständigkeit zu sorgen. Das habe auch damit zu tun, dass viele Leute denken, sich an die Institution anpassen zu müssen, erklärt Zielbauer. Das zuständige Personal bemühe sich, das Leben der Heimbewohner an ihr gewohntes Leben im Privathaushalt so gut es gehe anzupassen und persönliche Wünsche zu respektieren. Auch die 96-Jährige berichtet, dass sie zwar nicht mehr selbst koche oder ihre Wäsche wasche, jedoch ansonsten weitestgehend selbständig lebe.

Einschränkungen verspürten die wenigsten der Bewohner, bestätigt Zielbauer. Viel mehr hätten sie Probleme, sich von dem eigenen Zuhause und dem gewohnten Umfeld zu verabschieden. Interessant fände sie, dass diese Problematik weniger unter den Bewohnern von Mietwohnungen vertreten sei als unter Hauseigentümern.

Else Hasenbein hat sich anscheinend schnell an das Leben im Gröbenzeller Heim gewöhnt. Obwohl ihre Tochter Margarete den Umzug organisiert habe, habe sie bewusst entschieden, welche ihrer Habseligkeiten sie in ihr neues Zuhause mitnehmen wolle. Die Caritas stellt den Betroffenen und deren Angehörigen seit Kurzem sogar einen "Einzugskoordinator" zur Seite. In "Einzugsgesprächen" werden besondere Wünsche der Senioren aufgenommen, um ihnen den Umzug so angenehm wie möglich zu gestalten.

Zwei Mal in der Woche nimmt Else Hasenbein an Gymnastikkursen teil. Dabei hat sie auch die Chance, mit den anderen agilen Bewohnern in Kontakt zu kommen. Das Leben im Alten-und Pflegeheim stelle eine Erleichterung für all die Menschen dar, die sich in ihrem Privathaushalt einsam gefühlt hätten, sagt Zielbauer. Auch aus Hasenbeins Umfeld sind immer mehr soziale Kontakte weggefallen: Bekannte seien entweder weggezogen oder verstorben, erzählt die 96-Jährige. Sie will zwar keine engen Freundschaften mit den anderen Bewohnern mehr schließen, hat aber schon gute Bekanntschaften gemacht und so neue Wurzeln geschlagen. Besonders die regelmäßigen Besuche von ihrer Tochter Margarete und deren Mann Roderich Pachmann sind für sie ein Grund, warum sie das Leben im Heim so genießt.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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