Schultheater:Dem Wahnsinn näher

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Dürre Gestalten, wirre Blicke, wabernde Sätze: Sechs Schülerinnen spielen eine Rolle, die der Elektra. (Foto: Günther Reger)

Gröbenzeller Gymnasiastinnen inszenieren "Elektra"

Von Katharina Knaut, Gröbenzell

"Würdest du einen Vater rächen, den deine Mutter getötet hat?" "Würdest du deinen Vater rächen, obwohl er deine Schwester geopfert hat?" In einem eindringlichen Flüstern dringen diese Fragen durch die dunkle Aula des Gymnasium Gröbenzells. Und dann steigen sie auf die Bühne: Sechs dünne Mädchen in zerrissenen Kitteln, zerzausten Haaren und weit aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen. Währenddessen flüstern sie weiter. "Würdest du deine Schwester rächen? Würdest du deinen Vater rächen?" Sie schleichen in gebückter Haltung über die Bühne, nur um sich anschließend in einer Ecke wie Hunde aneinandergeschmiegt auf den Boden zusammenzurollen. Umgeben sind die Mädchen von allerlei Spielzeug, von zerbrochenen Puppen bis hin zu Legobausteinen. Es ist ein erster Eindruck des Wahnsinns, der dem Zuschauer das ganze Stück des Oberstufenkurses "Dramatisches Gestalten" hindurch auf der Bühne begegnen wird. Während das Gymnasium Olching sich zurzeit der Aufführung der Odyssee widmet, steht beim Gymnasium Gröbenzell die Inszenierung "Elektra" auf dem Programm, eine griechische Tragödie, die auf die Erzählung Homers zurückgeht.

Sie handelt von einem Familienstreit zwischen Klytämnestra, Königin von Mykene, und ihrer Tochter Elektra. Sie hasst ihre Mutter, nachdem diese zusammen mit ihrem Liebhaber ihren Ehemann Agamemnon getötet hatte, als er von der zehnjährigen Schlacht um Troja heimkehrte. Sie rechtfertigt ihre Tat, indem sie Agamemnon den Mord an ihrer Tochter Iphigenie zur Last legt. Elektra, die Klytämnestra den Mord an ihrem Vater nicht verzeihen kann, lebt trotz der Geschehnisse weiterhin mit ihrer Schwester Chrysotemis am Hof und wartet sehnsüchtig auf ihren im Exil lebenden Bruder Orest, mit dem sie gemeinsam an der Mutter Rache nehmen will. Der Stoff wurde bereits von Sophokles, Euripides und Gerhard Hauptmann verarbeitet.

Die Theatergruppe hat sich jedoch für die Version von Theresa Sperling entschieden, einer Lehrerin, die auch Bücher und Theaterstücke für Kinder schreibt. Darin wird weniger der Familienkonflikt thematisiert, als viel mehr der psychische Verfall Elektras, die sich immer mehr in ihren Hass und ihre Rachegefühle hineinsteigert und dabei dem Wahnsinn verfällt.

Wahnsinn, den die sechs Schauspielerinnen, die gemeinsam eine Elektra spielen, sehr gut verkörpern können. Mit wildem Blick schleichen sie geduckt auf der Bühne herum, fauchen, schreien und zischen hasserfüllte Sätze. In diesen Momenten gelingt es den Darstellerinnen, den Eindruck eines reißerischen Rudels Wölfe zu erwecken, das auf die beste Gelegenheit lauert, um die Zähne in ihr Opfer zu schlagen. Das wird besonders deutlich, wenn sie auf ihre Mutter treffen, dargestellt als überhebliche Frau in rotem Kleid mit Sonnenbrille und Pelzmantel. Lauernd schleichen die Elektras um sie herum, fauchen sie an, während Klytämnestra ihnen verächtlich und teilweise auch mit Spott begegnet. Elektra hat jedoch noch eine andere Seite, das zeigt die Theatergruppe, als Elektra die Nachricht vom Tod ihres Bruders ereilt. In dieser Szene ist vom reißerischen Raubtier nichts mehr zu sehen. Verzweifelt schmiegen sich die Darstellerinnen aneinander und klagen sich gegenseitig ihr Leid. Es wird deutlich, dass sie jeweils unterschiedliche Persönlichkeitsaspekte Elektras darstellen. Wird "Elektra" von jemanden angesprochen, übernimmt je nach Szene und Stimmung eine der sechs Darstellerinnen den Sprechpart, während die anderen sich zusammengedrängt im Hintergrund halten. Doch diese Seite verschwindet, je mehr der Wahnsinn von ihr Besitz ergreift. Dies gipfelt zum Schluss in der Ermordung ihrer Mutter, auf die sie sich, wieder gleich einem Rudel Wölfe, stürzt und zu Tode beißt. "Am Anfang war es sehr schwierig, sich in eine solche Rolle hineinzuversetzen", erklärt Katharina Lange, eine der Darstellerinnen der Elektra. "Aber irgendwann kann man die Gefühle von Elektra nachvollziehen. Natürlich nicht den Mord, aber wie sie sich fühlt."

Gefühle, die sich auch auf den Zuschauer übertragen. Und die einen wieder an die Fragen denken lassen, die Elektra anfangs aufgeworfen hat: "Würdest du den Vater rächen, den deine Mutter getötet hat?"

© SZ vom 07.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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