Schöngeising:Geschichten über die Flucht

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Eine große Fotoleinwand in der aktuellen Ausstellung im Jexhof zeigt verschiedene Menschen auf der Flucht. (Foto: Günther Reger)

Der Jexhof stellt einen Katalog zur aktuellen Ausstellung vor. Darin erzählen Vertriebene von ihren Schicksalen

Von Florian J. Haamann, Schöngeising

Es sind zahlreiche hochspannende und dabei sehr emotionale Geschichten, die im Katalog zur aktuellen Ausstellung im Jexhof zu lesen sind. Denn darin berichten die Menschen, deren Schicksale in der Ausstellung "Flucht - Flüchtlinge und ihre Habseligkeiten" dokumentiert sind, von ihren Erlebnissen. Am Donnerstag wurde der 182 Seiten umfassende Katalog im Jexhof von Museumsleiter Reinhard Jakob und mehreren der Betroffenen vorgestellt. Dabei durfte jeder von ihnen einen kurzen Abriss seiner Flucht geben.

Bei Marion Braun aus Schöngeising hat sich eine Szene besonders eingebrannt. Nur mit dem Nötigsten ausgerüstet ist ihre Familie am 5. Dezember 1945 aus dem tschechoslowakischen Brand aufgebrochen. Zu eben jenem Nötigsten gehörten auch Bettlaken. Allerdings nicht, um sich eine bequeme Schlafstätte zu richten, sondern um sicher über die Grenze zu kommen. Der Schnee lag in der Nacht der Flucht einen halben Meter hoch. Um nicht von den Suchscheinwerfern entdeckt zu werden, hat sich die Familie unter den Laken versteckt und ist immer dann, wenn der Scheinwerfer über sie hinweg war, weitergeschlichen. Und wie es der Zufall so will, hat sich für die Ausstellung noch ein zweiter Flüchtling aus Brand gemeldet: Hans Dobner. Seine Familie hatte mehr Zeit, die Flucht vorzubereiten, und konnte auch mehr Besitz retten, als die Familie von Marion Braun. Mehrere Verwandte Dobners sind in den Tagen vor der Flucht immer wieder über die Grenze geschlichen, um Haushaltsgegenstände und Fräsmaschinen aus der Drechslerei des Onkels zu retten.

Aber es sind nicht nur die Schicksale von Flüchtlingen und Vertrieben nach dem Zweiten Weltkrieg, die am Jexhof erzählt werden. Marta Davis, die heute in Germering lebt, flüchtete am 9. November 1969 aus der kommunistischen Tschechoslowakei nach Deutschland. Wie viel Glück sie bei ihrer Flucht hatte, wurde ihr erst bei der Ankunft in Deutschland deutlich. Kurz vor Passau wurde sie bei einer Kontrolle von einem Grenzbeamten angesprochen: "Fräulein, gestern um 24 Uhr wurden private Reisen aus der Tschechoslowakei für einige Zeit eingestellt. Sie haben sehr viel Glück gehabt! Willkommen in Bayern". Es sind Momente wie dieser, die beim Hören und Nachlesen Gänsehaut machen.

Aber nicht nur Flüchtlinge von früher kommen in dem Katalog zu Wort. Auch heutige Asylbewerber erzählen von ihren Erfahrungen. Ergänzt wird der biografische Teil der Publikation durch fünf wissenschaftliche Aufsätze, die sich mit verschiedenen Bereichen der Flucht beschäftigen. Angelika Schuster-Fox betrachtet dabei die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg im Landkreis Fürstenfeldbruck. Eine Grafik zeigt, wie groß ihr Anteil 1950 in den Kommunen war, teilweise lag er bei mehr als 40 Prozent. Mit dem Begriff Migration und den verschiedenen Ausprägungen befasst sich Jochen Oltmer in einem Aufsatz.

Die Kombination aus persönlichen Geschichten und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem hochaktuellen Thema Flucht macht den Katalog zu mehr als einer bloßen Bettlektüre - er schafft Verständnis, Empathie und regt zum Nachdenken an.

Der Katalog kann zum Preis von 15,50 Euro im Jexhof und im Bürgerservice-Zentrum des Landratsamts erworben werden. Die Ausstellung "Flucht -Flüchtlinge und ihre Habseligkeiten" ist noch bis 6. November zu sehen.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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