Puchheim:Mahnung am Straßenrand

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Eine Ausstellung in der evangelischen Auferstehungsgemeinde Puchheim zeigt Kreuze, die an tödliche Unfälle erinnern. Für Pfarrer Markus Ambrosy sind die privaten Gedenkstätten wichtige Orte, die viel zu erzählen haben

Von Gerhard Eisenkolb, Puchheim

Mahnung, Betroffenheit, Dankbarkeit. Diese unterschiedlichen Gefühle empfindet Wolfgang Wuschig, wenn er an einem Kreuz am Straßenrand vorbeifährt. Erinnern die schlichten, oft blumengeschmückten kleinen Kreuze doch an den jähen Tod eines meist jungen Menschen bei einem Verkehrsunfall. Als Vater von drei inzwischen erwachsenen Kindern versetzt sich der Puchheimer in solchen Momenten in die Situation der Eltern, die an einem solchen Schicksalsschlag schwer zu schlucken haben. Für den Christen Wuschig haben die Kreuze aber auch etwas Tröstliches. Er empfindet Dankbarkeit dafür, dass seine Kinder und er die Gefahren des Straßenverkehrs bisher unbeschadet überstanden haben.

Und das Stadtratsmitglied der ubp (Unabhängige Bürger Puchheims) entwickelt in solchen Moment vor allem auch Empathie für die Angehörigen der ums Leben Gekommenen. Diese müssten eine Situation bewältigen, "die wir nicht begreifen können", zitiert der 67-Jährige aus einer Todesanzeige. Aus solchen Erfahrungen und Überlegungen ist die Ausstellung "Tod am Wegesrand - Kreuze und ihre Geschichte" entstanden, die zurzeit im Zentrum der Evangelischen Auferstehungsgemeinde in Puchheim zu sehen ist.

Aus der Beschäftigung mit Sepulkralkultur und dem Thema Tod machte Wolfgang Wuschig bereits sieben Ausstellungen. Die jüngste ist Kreuzen am Wegrand und dem Schicksal von Unfallopfern gewidmet. (Foto: Günther Reger)

34 große Tafeln mit Fotos und Texten dokumentieren dort im Foyer und im Gemeindesaal tragische Geschichten aus dem Landkreis und den Gegenden, die Wuschig in den vergangenen zwölf Monaten mit dem Auto bereiste. Obwohl diese Arbeit dem Puchheimer nahe ging, stellte er sich der Herausforderung. Schließlich fotografierte und recherchierte er im Auftrag von Markus Ambrosy, dem Pfarrer der Auferstehungskirche. Ambrosy hatte die Idee, dem Schicksal der Menschen nachzugehen, für die die Kreuze stehen, an denen Tausende täglich meist achtlos vorbeifahren. Das war der Anstoß zur sechste Ausstellung von Wuschig im Pfarrzentrum zum Tod.

Steht man mit dem Ausstellungsmacher im Foyer des Pfarrzentrums vor den weißumrandeten, auf schwarzen Tafeln präsentierten Fotos, ist dem Puchheimer anzumerken, dass ihn vier der privaten Gedenkstätten am Straßenrand besonders zu Herzen gehen. Das hat mit den Umständen zu tun. Das ist gleich am Eingang die Tafel zum Tod einer elfjährigen Radfahrerin in Fürstenfeldbruck, die auf einer viel befahrenen Straße vom Außenspiegel eines Lastwagens zu Boden und damit aus dem Leben gerissen wird. Fassungslos macht Wuschig die Tatsache, dass es schon mehr als zehn Jahre vor dem Tod des Mädchens die Forderung gab, dort eine sichere Abbiegemöglichkeit zu schaffen. Aber es musste erst ein Kind sterben, bis etwas geschah.

Das blumengeschmückte Kreuz erinnert an einen jungen Mann, der während eines Spaziergangs mit seiner Freundin bei Biburg auf dem Heimweg überfahren worden ist. (Foto: Günther Reger)

Emotional berührt den 67-Jährigen aber auch das Schicksal von zwei jungen Liebespaaren. Ihnen wird es zum Verhängnis, am Straßenrand heimzugehen. Einmal bei Alling und einmal bei Moorenweis wird jeweils der Mann von einem Auto erfasst und getötet. Für Wuschig ist es eine "schreckliche Vorstellung", wenn die Freundin miterleben muss, wie ihr der Geliebte gleichsam "aus dem Arm gerissen wird" und stirbt. Ebenfalls "ganz tragisch" sei der Unfall auf der Schöngeisinger Straße in Fürstenfeldbruck gewesen, bei dem zwei türkischstämmige junge Männer den Tod finden. Hier wird der Traum eines 18-Jährigen von einem BMW zum Albtraum, als der mit großer Geschwindigkeit bei einem waghalsigen Überholmanöver an den Fahrzeugen von zwei Kumpels vorbeiziehen will. Die Erinnerungszeichen an solche Ereignisse an Straßen sind für Wuschig ein Memento mori - bedenke, dass du sterblich bist. "Es kann morgen vorbei sein, mit diesem Gedanken lebe ich", bekennt der Ingenieur im Ruhestand. Um zu ergänzen, "ich freue mich meines Lebens".

Seit sechzehn Jahren sammelt Wuschig Todesanzeigen und beschäftigt sich mit Sepulkralkultur, also mit Dingen rund um den Tod und das Sterben. Damit finde er, ebenso wie mit den Ausstellungen, wie er sagt, Anerkennung. Aber nicht nur: er stößt auch auf Ablehnung. So komme es schon mal vor, dass jemand unverhohlen sage, "du bis ja verrückt". Das seien die Menschen, die nichts davon hören wollen, dass sie sterben müssen.

Pfarrer Markus Ambrosy ist anderer Meinung, er bestärkt Wuschig. "Die Auseinandersetzung mit dem Tod bringt Lebensqualität", beteuert der Geistliche. Den Gewinn an Lebensqualität bezieht Ambrosy auf die Erkenntnis der Endlichkeit des eigenen Lebens. Aus der Einsicht "ich habe nur einen begrenzten Zeitraum" ergebe sich die neue Wertigkeit - mit der Schlussfolgerung, dass sich manche Dinge einfach nicht lohnen. Beerdigungen, zu denen in Puchheim immer viele Trauergäste kommen, bezeichnet Ambrosy als "beste Form der Verkündigung des Lebens".

Das Wegkreuz dokumentiert die Trauer um eine bei Moorenweis verunglückte Mutter. (Foto: Günther Reger)

Der evangelische Pfarrer verbindet vieles mit den Kreuzen, den Blumen, Gedenksprüchen und Fotos der Toten oder einem Ewigen Licht am Straßenrand. Auch weil er in der Seelsorge immer wieder mit den Folgen solcher Unfälle konfrontiert wird. Das sei zum einen die Größe der Alltagsdramen, für die die Lichter und Kreuze stehen. An denen man täglich achtlos vorbei fahre. Dabei hätten die Kreuze und die Gestaltung des Gedenkorts viel zu erzählen, auch von den Opfern, die eine hochmobilen Gesellschaft fordert.

Die Wegkreuze sind für Ambrosy aber auch ein Hinweis darauf, wie hilflos solche Unfälle Angehörige und auch Gläubige machen. Für den Pfarrer stehen sie also auch dafür, "wie wenig wir aussage- und erklärungsfähig sind". Diese Ohnmacht müsse man aushalten, damit nicht aus dem Versuch zu trösten ein billiges Vertrösten werde. Um zu dem Schluss zu kommen, "es ist unglaublich schwer, das Drama stehen zu lassen".

Auch Beisetzungen empfindet der Pfarrer der Auferstehungskirche als ein solches "Aushalten-müssen". Den Trend zur "Eventisierung von Beerdigungen" lehnt Ambrosy nicht ab, aber er sieht die Gefahr, die Ratlosigkeit und Ohnmacht dadurch zu überspielen, dass ein Begräbnis zum Event wird. Wie der Geistliche erläutert, sei es die Aufgabe der Kirche, die dunklen Seiten des Lebens wie den Tod ins Licht zu rücken. Deshalb sei die Ausstellung kein morbides Hobby, sondern ganz wichtig.

Für den November im Lutherjahr 2017 hat Ambrosy übrigens schon eine Idee für die nächste Ausstellung. Der Arbeitstitel lautet: der Tod und die Reformartoren. Und Wolfgang Wuschig wird wieder daran mitarbeiten, diese Idee umzusetzen.

Die Ausstellung "Tod am Wegesrand" ist noch bis zum 20. November im Gemeindezentrum der Auferstehungskirche zu sehen. Und zwar montags bis freitags 9 bis 18 Uhr, sonntags nach dem Gottesdienst von 10 bis 12 Uhr. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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