Puchheim:Ein Tor schließt sich

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Gut 25 Jahre lang hat das Denkmal am Bahnhof an die Ungleichheit zwischen nördlichen und südlichen Ländern erinnert. Nun wird es wegen eines morschen Pfostens abgebaut

Von Florian J. Haamann, Puchheim

Bei den Algonkin-Indianern steht der Begriff "Manitou" - von Karl May, etwas verzerrt und dem falschen Stamm zugeordnet, in die deutschsprachige Literatur eingeführt - für die "große Kraft", die in allem steckt - Wesen, Dingen, Tätigkeiten. Und da es in Puchheim Großes zu erledigen galt am Dienstagvormittag, ein altes, symbolgeladenes, weltumspannendes Tor musste zerlegt werden, brauchte es nicht weniger als einen echten Manitou. Angerückt ist er, begleitet von mehreren Mitarbeitern des Bauhofs, in Form eines roten Teleskopladers vom gleichnamigen Hersteller, Typbezeichnung MT 1440, sechs Meter lang, elf Tonnen schwer, Hebekraft vier Tonnen. Seine Aufgabe: Das 25 Jahre alte "Nord-Süd-Tor" des Vereins Campo Limpo am Bahnhof abzubauen, weil einer der beiden Pfosten von Innen her morsch geworden ist, wie ein Gutachten ergeben hat.

Mit dem Teleskoplader "Manitou" versuchen Bauhofmitarbeiter das Nord-Süd-Tor abzubauen - nicht ohne Probleme. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Doch so leicht, wie der mächtige Manitou und seine Begleiter es sich wohl vorgestellt hatten, ist die Angelegenheit dann keineswegs. Der erste Angriff verpufft fast wirkungslos: mit zwei schweren Zugbänder um den Balken, die an Manitous Arm eingehängt werden, wollen die Arbeiter das Kunstwerke einfach nach oben raus heben. Doch mehr als ein Wackler, begleitet von lautem Krächzen im Gebälk, ist nicht zu vernehmen. Nach weiteren Anläufen zeigt der kranke Pfosten zwar eine gewisse Beweglichkeit, doch auf der gesunden Seite passiert nichts. Und so werden Manitous Kräfte mit der des Menschen gepaart. Von oben wird gezogen, unten soll eine Brechstange helfen. Doch sie tut es nicht, so sehr der Mitarbeiter auch rüttelt.

Um die Arbeit zu erleichtern, wird erst einmal der Balken des Tores abgeschraubt und weggenommen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Verzweifelt lässt der Trupp ab, versammelt sich, berät - und gebiert eine Idee: Die Schaufel soll es richten! Sie ist einer von Manitous Aufsätzen und leider noch im Bauhof. Zeit also für eine Pause, während der rote Kran mit seinen 25 Stundenkilometern Spitzengeschwindigkeit davon tuckert um das Zubehör zu beschaffen.

Zeit auch für Walter Ulbrich vom Verein Campo Limpo noch einmal das Kunstwerk zu betrachten, dessen Errichtung er vor gut 25 Jahren mit vorangetrieben hat. Anlass war der 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas 1492. Mit dem NordSüd-Tor sollte auf die Ungerechtigkeit zwischen den reichen nördlichen und den armen südlichen Ländern, vor allem in Lateinamerika, aufmerksam gemacht werden. "Damals gab es ja eine ganz andere Stimmung als heute, die Grenze zwischen Ost und West wurde geöffnet, es gab die Konferenz von Rio 92, bei der über den Umgang mit der Erde gesprochen wurde. Dann kamen die Anschläge von 2001, die Bankenkrise", sagt Ulbrich.

Mit einem Brecheisen soll der gesunde Pfosten gelockert werden, doch der leistet lange Zeit großen Widerstand. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Im Hintergrund hört man bereits den umgerüsteten Manitou anrollen. Angekommen, schiebt er seine Schaufel in die kleine Lücke unter dem gesunden Pfosten, versucht ihn anzuheben, einmal, zweimal, dreimal, vergebens, auch ein aus einem der drei Begleitfahrzeuge herbeigeschaffter Wagenheber ändert daran nichts mehr. Also noch einmal von oben, diesmal nicht mit den Zugbändern, sondern direkt mit der dicken Metallkette. Und tatsächlich, Manitou stellt sich auf die Vorderbeine, hebt hinten ab, zieht und zerrt, rohe Gewalt, es knarzt gewaltig und plötzlich ein lauter Schlag. Doch er klingt nicht hölzern, sondern nach berstendem Metal. Und tatsächlich. Der symbolische Pfosten der Freiheit für die Unterdrückten hat die wuchtige Kette einfach gesprengt.

Verzweifelt ändert der Bautrupp nun die Strategie. Vor weiterer Gewaltanwendung wird nun nach gut einer Stunde Arbeit erst einmal analysiert, wo das Problem liegt - und es ist schnell gefunden: Ein Metalstab verbindet den Pfosten mit der Halterung darunter. Die Entscheidung ist schnell getroffen: eine Flex muss her. Die allerdings lagert noch im Bauhof. Von dort wird sie eiligst herbeigeschafft, die Verankerung vom Stift getrennt. Der wiederum ist durch die bisher auf ihn ausgeübten Kräfte offenbar reichlich verbogen. Doch nun gelingt es mit viel Kraft und Gerüttel ihn heraus zu lösen. Zeit für den finalen Auftritt von Manitou. Fast mühelos gelingt es ihm nun, die Balken aus der Verankerung zu heben. Auf einen Anhänger gepackt, wird das zerlegte Tor nun zum Bauhof geschafft. Dann soll geprüft werden, wie es weitergeht. Vielleicht kann es repariert werden, vielleicht kommt etwas ganz Neues. Walter Ulbrich sieht der Zukunft gelassen entgegen: "Die Zeiten haben sich geändert, da sollte jetzt nichts übers Knie gebrochen werden."

© SZ vom 04.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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