Polizeieinsatz:Spezialkommando in Mittelstetten

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Dörfliche Idylle: Das Buswartehäuschen und das Feuerwehrhaus (rechts), vor dem die Sicherheitskräfte am Donnerstag ihre Autos abstellten. (Foto: Carmen Voxbrunner)

An der Bushaltestelle wird ein 29-Jähriger festgenommen. Der Terrorverdacht erweist sich aber dann als unbegründet

Von Stefan Salger, Mittelstetten

Was wie eine Szene aus einem Krimi wirkt, ist für das Spezialeinsatzkommando (SEK) zunächst bitterer Ernst. Als sich die vier Männer und zwei Frauen am Donnerstagnachmittag um kurz nach 16 Uhr dem Linienbus nähern, der an der Haltestelle Feuerhausstraße in Mittelstetten gestoppt hat, da rechnen sie mit dem Schlimmsten: dass sich der Anfangsverdacht gegen einen 29-jährigen Fahrgast erhärten könnte, einer Terrorzelle anzugehören. Und dass dieser bewaffnet sein könnte. Ein Verdacht, der sich am Freitagbuchstäblich in Luft auflöst.

Da steht nach Überzeugung von Landeskriminalamt und Münchner Staatsanwaltschaft fest, dass die Ermittler wohl einer falschen Fährte gefolgt sind. Vernehmungen und die Durchsuchung der Zimmer in der Mittelstettener Asylbewerberunterkunft ergeben, dass nichts gegen den Nigerianer und auch nichts gegen seinen zeitgleich in der Goethestraße nahe dem Münchner Hauptbahnhof festgenommenen 46 Jahre alten Mitbewohner aus dem Irak vorliegt. Offenbar waren die Ermittler einer Fehlinformation der Nachrichtendienste aufgesessen. Am Freitag jedenfalls hat sich der Verdacht, die beiden Männer könnten Mitglieder einer terroristischen Vereinigung sein, Kontakte zu Kämpfern des sogenannten Islamischen Staats haben und "eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant haben", völlig zerstreut. Die beiden Männer wurden wieder freigelassen und kehrten in die Flüchtlingsunterkunft von Mittelstetten zurück.

Für die 1700 Einwohner ist all dies am Donnerstagabend aber noch nicht klar. Die Nachricht vom Zugriff eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei macht in dem kleinen Ort schnell die Runde, Rundfunk und Online-Medien melden einen Terrorismusverdacht. Manche im Ort schütteln den Kopf: "Bei uns in Mittelstetten? Das gibt's doch gar nicht!" Unbemerkt blieb der SEK-Einsatz aber keineswegs. Eine Frau, die neben der Bushaltestelle wohnt, erzählte, sie habe sich schon gefragt, was diese drei Autos mit Münchner und Nürnberger Nummernschildern in der kleinen Feuerhausstraße wollen. Was gibt es da schon zu sehen? Das alte Feuerwehrhaus. Und schräg gegenüber das kleine Buswartehäuschen aus dunklem Holz, an dem die Fahrgäste mit Aushängen über die Verbindungen nach Mammendorf und Fürstenfeldbruck informiert werden und sich die Kinder Kaugummis aus den beiden knallroten Automaten drehen können. Dahinter: dörfliche Idylle. Ein Spielplatz, ein paar Pferde auf der Koppel. Dann ist die Straße auch schon wieder zu Ende. Was also wollen die sechs Leute dort, die immer wieder mit dem Handy telefonieren? Die Mutter eines Buben erfährt das schneller, als ihr lieb ist. Ihr Sohn sitzt in dem Bus. Als er heimkommt, wirkt er leicht verstört, erzählt davon, wie Polizisten in Zivil einen Mann mit dunkler Hautfarbe am Bus verhaftet haben. Von Problemen berichtet er nicht. "Mein Sohn ist möglichst schnell heimgekommen, und das ist ja auch richtig so", sagt seine Mutter. Die Eltern haben sich entschlossen, erst am Freitag nach der Schule eingehender über die Erlebnisse zu sprechen.

Am Freitag ist die Sache mit dem Einsatz der Spezialkräfte immer noch in aller Munde. Da wird erzählt, dass sich die Polizisten vor dem Einsatz auf dem Friedhofsparkplatz gesammelt hätten. Und immer, wenn jemand vorbeigegangen sei, hätten sie schnell den Kofferraum des Autos geschlossen. Die Verkäuferin im Brotladen hört sich all dies an, bleibt aber sehr gelassen. Auf die Flüchtlinge im Ort lässt sie ohnehin nichts kommen, die seien ausnahmslos sehr nett und höflich. So sieht das auch Bürgermeister Andreas Spörl, der sich an keinen ähnlichen Einsatz der Sicherheitsbehörden in Mittelstetten erinnern kann. Der CSU-Politiker ist sehr stolz auf den örtlichen Asylhelferkreis. Die Integration der 46 Menschen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Nigeria, Senegal, Irak und Eritrea klappt seiner Überzeugung zufolge bestens.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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