Olching:Zum Schluss bleiben nur zwei welke Seelen

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Verena Schnellbach, Silke Klebert und Katja Beese (von links) lesen stellen aus Dorian Grey. (Foto: Günther Reger)

Eine gelungene Inszenierung des Resistenztheaters verbindet Oscar Wildes nie alternden "Dorian Gray" mit Samuel Becketts lebensmüdem Krapp aus dem Einakter "Das letzet Band"

Von Valentina Finger, Olching

Zu behaupten, Oscar Wilde und Samuel Beckett hätten gar nichts gemeinsam, ist nicht richtig. Sie beide wurden in Dublin geboren, feierten ihre größten literarischen Erfolge jedoch in Metropolen außerhalb Irlands. In derselben Stadt, in Paris, Becketts Wahl- und Wildes Exilheimat, starben sie, Beckett 89 Jahre nach Wilde. Die illustre Wortgewalt Wildes wirkt den bleiernen Dialogen Becketts kaum verwandt. Dennoch leben die Werke beider von mal mehr, mal weniger ernsten menschlichen Konflikten. Einen solchen hat das Resistenz-Theater Germering gewählt, um beide Autoren zusammen zu führen. Unter dem Titel "...Hörte mir soeben den albernen Idioten an, für den ich mich vor dreißig Jahren hielt...", ein Beckett-Zitat, bringt die Gruppe im Kulturzentrum am Olchinger Mühlbach (Kom) Wildes Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" und Becketts Einakter "Das letzte Band" auf die Bühne.

Der Versuch dieser Verbindung geht auf. Wildes Dorian Gray, dessen Geschichte im dialogischen Wechsel von Verena Schnellbach, Silke Klebert und Katja Beese gelesen wird, verkauft aus Angst vor dem Altwerden seine Seele. Becketts gescheiterter Schriftsteller Krapp, gespielt von René Prock, blickt zurück auf sein junges Selbst und ergeht sich in verpassten Chancen. Während Dorian sich am Kontrast zwischen seinem blutjungen Spiegelbild und dem an seiner Stelle alternden Porträt labt, verzweifelt Krapp beim Ansehen eines Videos, in dem er, 30 Jahre jünger, über sein Leben philosophiert.

Das Prinzip der Doppelung und Kontrastierung verbindet die Hälften des Abends wiederholt miteinander. Alle Szenen aus Oscar Wildes einzigem Roman, die für die szenische Lesung in der Umsetzung von Johannes Kalwa im ersten Abschnitt ausgewählt wurden, behandeln Gegensätze: der greise Romeo und die jugendliche Julia, der virtuose Shakespeare und die schäbige Spelunke, Herbst und Frühling, Hedonismus und Askese, Hochmut und Reue. All diese Paare flattern um den zentralen Dualismus von Dorians ewig jungem Antlitz und seinem vor sich hin welkenden Bildnis. Damit beginnt und endet die Lesung. Die letzte Szene bereitet bereits die Umkehr im zweiten Teil der Darbietung vor: Vor dem nun seinerseits in Jugend erstrahlenden Gemälde liegt der tote Dorian, "welk, runzlig und Abscheu erregend".

Das Welke, Runzlige an René Prock in der Rolle des altersschwachen Krapp ist eine Maske, geformt aus zu viel Theaterschminke mit wirr eingeritzten Falten. Viel schlimmer kann Dorian Grays abgewracktes Porträt-Gesicht nicht ausgesehen haben. Dazu bewegt Prock sich so stockend, wie ein junger Mensch wohl glaubt, dass ein alter sich bewegen müsse. Und dann ist da noch die Sache mit den Bananen: Die verschlingt er mit fast obszönem Stöhnen, bevor er in Mister-Bean-Manier beinahe auf der Schale ausrutscht. Die das befremdliche Szenario minutenlang begleitende Stille muss man aushalten können. Doch das hat Beckett so gewollt. Und Regisseurin Anja Hellmann offenbar auch.

Um den scheinalten Mann an seinem Schreibtisch herum hängen Monitore, die die Handlung im Bühnenzentrum aus verschiedenen Perspektiven live übertragen. Als Krapp ein Videoband einlegt, dessen Inhalt er an dem ihm zugewandten Computerbildschirm sieht, dem die Zuschauer jedoch parallel an einer Leinwand folgen können, wird die Vervielfältigung erhöht. Der Bezug zu Dorian Gray ist offensichtlich: Während der junge Protagonist in Wildes Roman sein altes Ebenbild mustert, betrachtet der alte Krapp sein junges Ich im Bewegtbild. Dorians Genuss der ewigen Gegenwart wird zu Krapps Sehnsucht nach der Vergangenheit.

Was der jüngere Krapp auf dem Bildschirm tut, tut die gealterte Version am Schreibtisch schließlich auch: Er nimmt ein Video auf, lässt sein Leben Revue passieren, sagt Dinge, die er so auch schon vor 30 Jahren gesagt hat. Er glaubt, dass er nach all den Jahren ein Anderer ist. Doch er hat sich nicht verändert, ebenso wenig, wie der niemals alternde Dorian Gray.

Wie die Monitore auf der Bühne viele Blickwinkel anbieten, hat Becketts Stück zahlreiche Ebenen. Aber Beckett ist Geschmackssache. "Das letzte Band" hat seine Längen und nicht nur einmal hofft man, dass Krapp das Tape nicht schon wieder zurückspult. Gegen Ende gewinnt René Procks Darbietung allerdings noch einmal an Intensität. Da sind so viel Verbitterung, so viel Traurigkeit und Verleugnung in seinen finalen Ausbrüchen, dass man froh ist bis zum Schluss durchgehalten zu haben. Nicht einmal die Zentimeter dicke Maske kann die beklemmende Wirkung dieser Emotionen verhindern.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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