Olching:Sonderweg ohne Ziel

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Alois Waltl hat seine Wohnung und seine Firma im Olchinger Stadtteil Graßlfing. Als Nachfolger von Michael Neumeier vertritt er die Interessengemeinschaft Graßlfing. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Im Graßlfinger Moos tut sich Olching mit der Stadtentwicklung schwer. Das verärgert die Bewohner, die nicht neu bauen dürfen und wegziehen müssen

Von Karl-Wilhelm Götte, Olching

Albert Riedl hat aufgegeben. Er steht an einer Maschine in seinem metallverarbeitenden Betrieb und schaut frustriert auf das benachbarte Haus. Der 63-jährige Bewohner des Graßlfinger Mooses, das zu Olching gehört, kann es immer noch nicht so recht fassen: "Die Sache ist aussichtslos." Die Sache ist das Haus seiner Eltern auf dem Grundstück. Das Gebäude wurde in den Zwanzigerjahren gebaut, ist von außen reif für den Abriss und ruft geradezu nach einem Neubau an gleicher Stelle. Genau das darf er nicht. "Bauanträge sind mir zweimal vom Brucker Landratsamt abgelehnt worden", erzählt Riedl und macht einen desillusionierten Eindruck.

Riedl müsste zwei Jahre in diesem Haus wohnen, dann könnte er es abreißen und anschließend neu aufbauen. Das Gebäude muss einen unzumutbaren Zustand aufweisen, aber der Eigentümer muss persönlich unter diesem Zustand leiden, also drin wohnen. Doch Riedls Haus ist unbewohnbar. "Ich müsste 30 000 bis 40 000 Euro reinstecken, um es mit Heizung, Fenster und Türen bewohnbar zu machen", erklärt Riedl. Nach zwei Jahren dann das Haus, das ohne Keller ist, abreißen und neu bauen? "Das ist unzumutbar", sagt der Hersteller von diversen Metallwaren. Zumal das Haus an der Allacher Straße einst auf Pfeilern gebaut wurde und zur Straße hin schon um 20 Zentimeter abgesackt ist.

Vor zwei Jahren herrschte bei Riedl und anderen Einwohnern im Graßlfinger Moos noch einige Zuversicht. Der Olchinger Bauamtsleiter Markus Brunnhuber und seine Stellvertreterin Stephanie Kulosa hatten sich der Sache angenommen. Sie wollten einen Kriterienkatalog entwickeln, der den Graßlfingern das Bauen erleichtern sollte. "Es geht um eine maßvolle Entwicklung", betont Brunnhuber auch heute noch, "in Abstimmung mit dem Landratsamt und der Unteren Naturschutzbehörde." Die Lage für die "Moosler" hat sich aber noch nicht verändert. "Wir sind immer noch dran, etwas Besonderes zu schaffen", sagt Brunnhuber. Der Paragraf 35 des Baugesetzbuches, der Bauen im Außenreich einer Kommune regelt, lasse dafür einigen Spielraum. In einer Art Fibel, also ein Regelungskatalog, sollte festgelegt werden, wie hoch künftig gebaut und welcher Gebäudeteil erweitert oder ersetzt werden kann. Es geht darum, den Menschen im Moos Möglichkeiten zu schaffen, mit ihrem vorhandenen Grundstück und der dort existierenden Bebauung "etwas Sinnvolles anzufangen". Brunnhuber: "Das geht nicht über einen Bebauungsplan." Ein solches Verfahren würde der Bodenspekulation Tür und Tor öffnen. Dann könnten die Moosbewohner Grundstücke verkaufen und auswärtige Investoren würden angelockt.

"Wir wollen im Moos kein zweites Schwaigfeld haben", bekräftigt auch Stadtrat Alois Waltl (Freie Wähler Olching). Das Schwaigfeld ist das große Olchinger Wohngebiet im Norden, das in den vergangenen 15 Jahren mit einigen Tausend Menschen besiedelt worden ist. Um das Tempo in Sachen Bauen im Graßlfinger Moos zu erhöhen, werden die Freien Wähler um Waltl, der selbst im Moos wohnt, einen Antrag in den Stadtrat einbringen, ein Planungsbüro mit der Angelegenheit zu beauftragen. "Ein Landschafts- oder Städteplaner könnte vielleicht leichter eine Linie reinbringen", verspricht sich Alois Waltl einiges von "einem Konzept eines neutralen Sachverständigen". Dem Bauamt will er damit "keineswegs auf den Schlips treten". Die Mitarbeiter seien bereits gut ausgelastet.

Bauen in ihrem "Moos", wie es die Bewohner Graßlfings nennen, ist ein leidiges Kapitel für die dortigen Bewohner. An die 500 Menschen sind es, die verstreut in einem riesigen Areal leben. Bis zu sieben Kilometer sind es bis zur Olchinger Stadtmitte. Sie leben aber auch im Naturschutzgebiet, und das macht alles noch komplizierter. Gerne wurde vom Olchinger Stadtrat das Moos hergenommen, wenn es für ein größeres städtisches Bauprojekt galt, die notwendigen Ausgleichsflächen zu schaffen. "Wir sind der Suchraum für Ausgleichsflächen", erläuterte Michael Neumeier, der ehemalige Vorsitzende der Interessengemeinschaft Graßlfing (IGG), schon vor zwei Jahren. Daran hat sich nichts geändert. Das Landratsamt lehnt Bauanträge von Graßlfinger Bauherren ab, wenn sie die Ausgleichsflächen tangieren. Dort darf keinesfalls hineingebaut werden.

Für Neumeier - 70 Jahre alt und im Ortteil Graßlfing geboren - wiederholt sich alles. Die Tochter und der Sohn wollen heiraten, doch es fehlen die Erweiterungsmöglichkeiten des Wohnraums auf dem Grundstück. Häufige Konsequenz: Kinder und Enkelkinder müssen abwandern; die Familie, die gerne zusammenbliebe, fällt auseinander. Neumeier sagt: "Es gibt doch nach dem Baugesetz Möglichkeiten, das zu verhindern." Auch er will "keine Spekulation mit "Zubauhäusern", wie er sagt. Aber Lösungen, wenn sich die Familie vergrößert. Die beiden Experten aus dem Olchinger Bauamt hatten dem Moos vor zwei Jahren den Arbeitstitel "Kulturlandschaft" gegeben, um für diesen Bereich einen Sonderweg zu bestreiten, doch die Suche nach dem Sonderweg stockt.

Alois Waltl, 56, der den Vorsitz der IGG von Neumeier übernommen hat und im Moos in der Straße mit dem schönen Namen "Beim Himmelreich" wohnt, gibt sich optimistisch: "Es wird auf ein Sondergebiet hinauslaufen." Waltl betreibt mit seinen Söhnen eine Baumschule und einen Gartengestaltungs- und Landschaftsbaubetrieb. Etwa hundert Anwesen befinden sich verstreut im Graßlfinger Moos. "Da sind viele Nebenerwerbslandwirte, Menschen, die dort seit Langem wohnen und woanders arbeiten, und Gewerbetreibende", zählt Waltl auf. "All denen Rechnung zu tragen, ist schwierig." Aber die Moosler wollten sich wie andere auch "entwickeln". So schlecht sei der Standort nicht. "Wir haben nur zehn Minuten nach Dachau und 15 Minuten nach München", erklärt Waltl.

Das Problem mit dem Kanal- und Wasseranschluss hat Waltl zusammen mit anderen acht Eigentümern "Beim Himmelreich" vor sechs Jahren gelöst. "Das haben wir in Eigenregie bauen lassen." Die Wasserwerte seines eigenen Brunnens seien aufgrund des hohen Mangan- und Eisengehalts zu schlecht gewesen. Der zuständige Amperverband ist vielen Bewohnern von Graßlfing zu teuer. Bewohner von Bestandsgebäuden an der langen Allacher Straße, der Feldgedinger Straße, der Birkenhofstraße oder Teilen der Seestraße entnehmen nach wie vor das Trinkwasser aus einem Brunnen.

Für das Abwasser gibt es an den Häusern eine Kleinkläranlage. Albert Riedl, der unweit von der Grenze zum Landkreis Dachau wohnt, hat sich vor fünf Jahren über die Dachauer Gemeinde Bergkirchen ans Trink- und Abwassernetz anschließen lassen. Er hat sich damit abgefunden, nicht in das ihm gehörende Elternhaus einziehen zu können. "Das hatte ich mir auch als Altersvorsorge vorgestellt", sagt Riedl achselzuckend und lässt noch einmal seinen Unmut freien Lauf: "Man muss drin wohnen, aber das Haus darf nicht bewohnbar sein. Das ist schizophren."

© SZ vom 01.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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