Olching:Das blaue Herz schmerzt

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Einmal Löwe, immer Löwe? Ob das richtig ist, können die Fans in den kommenden Monaten zeigen. Im vorigen November wollten sie die Sechziger beim Benefizspiel in Fürstenfeldbruck sehen. (Foto: Günther Reger)

Die Fans von 1860 München reagieren mit einer Mischung aus Wut und Realismus auf den Abstieg ihres Lieblingsvereins. Viele fühlen sich in ihrer Wahrnehmung bestätigt, dass der eingeschlagene Weg mit einem Investor ein Irrweg ist

Von Heike A. Batzer, Olching

Peter Helfer war nicht im Stadion, sondern in seiner Gaststätte. Der Daxerhof in Olching war voller Löwen-Fans am Dienstagabend. Dort wurde gemeinsam Fußball geschaut - und hinterher gemeinsam der Abstieg des TSV 1860 München aus der zweiten Liga betrauert. "Man hat mit fast keinem mehr reden können", erinnert sich Helfer am Tag danach. Die Besucher seien geschockt gewesen: "Man hat ihnen das angesehen." Auch er selbst habe Tränen in den Augen gehabt. Seit knapp vier Jahren ist der Bauunternehmer Helfer auch Wirt. Er ist so sehr ein Blauer, dass er niemals rot trägt. Zwischen 2013 und 2016 war Helfer vom Vorsitzenden des Fanklubs Daxerlöwen, der seine Heimstatt im Daxerhof hat, sogar zu einem der Vizepräsidenten von 1860 aufgestiegen. Nun stünde der Verein vor einem Scherbenhaufen, sagt er: "Da ist kein System dahinter." Helfers Ansicht nach müssten die Mitglieder nun zusammenstehen und "einen Neuanfang starten".

Die Gefühle der Anhänger von 1860 schwanken zwischen Wut und Entsetzen über den Abstieg und der Erkenntnis, dass sich die Lage derart zugespitzt hatte, dass eine Neuausrichtung nun notwendig sei. So mancher fühlt sich in seiner Wahrnehmung bestätigt, dass der eingeschlagene Weg mit einem fremden Investor ein Irrweg ist. Er verbinde mit dem Abstieg "die Hoffnung, dass Sechzig endlich wieder den Fans gehört und nicht dem Investor", sagt der SPD-Bundestagskandidat und bekennende Löwen-Fan Michael Schrodi. Der Versuch mit dem Geldgeber sei "krachend gescheitert". Der Sozialdemokrat nennt es "dramatisch, wie man mit so viel Geld so viel Unfug machen kann".

Schrodi ist vor einigen Jahren, als 1860 wieder einmal finanzielle Schwierigkeiten offenbart hatte, dem Verein beigetreten. Er hat eine Jahreskarte und seine beiden kleinen Kinder gleich bei der Geburt als Mitglieder bei 1860 angemeldet. Schrodi wohnt inzwischen in Olching, das so eine Art Sechziger-Hochburg im Landkreis ist. Das trifft sich gut. Am Dienstagabend war Schrodi, der als Lehrer am Fürstenfeldbrucker Viscardi-Gymnasium arbeitet, zusammen mit fünf Kollegen in der Allianz Arena. Diesmal allerdings habe ihn die Relegation weniger berührt als vor zwei Jahren, als Sechzig mit einem Last-Minute-Tor gegen Kiel im letzten Moment die zweite Liga erhalten hatte: "Ich sehe es jetzt als Chance." Der Weg, den der Verein beschritten habe, nämlich "immer mehr sein zu wollen", habe die Fans gespalten. Schrodi empfiehlt deshalb, es Klubs wie St. Pauli oder Union Berlin gleichzutun, "als zweiter Verein in der Stadt mit dem Alleinstellungsmerkmal Underdog und den eingeschworenen Fußballfans".

Eingeschworener Anhänger der Sechziger ist auch Klaus Traimer. Er besitzt in Germering einen Fanartikelshop und kokettiert gerne damit, aus beruflichen Gründen auch Devotionalien des Stadtrivalen FC Bayern verkaufen zu müssen. Seine Töchter hatten ihm die Eintrittskarte für das Relegationsrückspiel zum Vatertag geschenkt. Erst freute er sich, dann machte ihn "fassungslos", was er da zu sehen bekam: eine "unterirdische Leistung in einem lustlosen Spiel, in dem "wir auch noch konditionell unterlegen waren". Seit sechzig Jahren schon gehe er raus ins Stadion, aber das Spiel vom Dienstag sei das "schlechteste und leidenschaftsloseste" gewesen, das er von einem Löwen-Team gesehen habe. Traimer redet sich ein bisschen in Rage, er ist angefressen, wie man so schön sagt. Sechzigschauen, findet er, "macht keinen Spaß mehr". Die Fans blieben mit ihrem Frust zurück, die Spieler würden nun einfach weiterziehen. Daniel Bierofka als künftiger Trainer wäre "wohl das Gescheiteste, dazu einen richtigen Löwen als Präsidenten".

Auch Peter Helfer übt deutlich Kritik an seinem ehemaligen Vorstandskollegen Peter Cassalette, der als Präsident unmittelbar nach dem Abstieg zurücktrat: "Er hat alle Verträge unterschrieben und verlässt jetzt das sinkende Schiff." Noch schmerzlicher als der Abstieg in die dritte Liga sei die Tatsache, dass 1860 München in dieser Saison gleich fünf Abstiege inklusive dreier Jugendteams zu verkraften habe. Helfer glaubt nicht daran, dass Investor Ismaik die geforderte Summe von 21 Millionen Euro nun bezahlen werde. Und dann bliebe nur der Gang vor den Konkursrichter.

Dass die Löwenfans leidensfähig sind, wissen sie selbst am besten. Helfer hat, wie er sagt, alle Abstiege in den vergangenen Jahrzehnten als Fan mitgemacht, bis hinab in die Bayernliga. Die ist fünftklassig, aber "das ist auch gegangen". Den Aufsteigern von Jahn Regensburg spendet er noch ein faires Lob: "Tolle Mannschaft, total verdient gewonnen."

Klaus Traimer steht derweil wieder in seinem Laden und muss die Seitenhiebe der Bayern-Kundschaft ertragen. Michael Schrodi trat am Mittwoch selbstbewusst wie eh und je vor seine Schüler - in einem alten Löwen-T-Shirt. "Wir Löwenfans sind hart im Nehmen", sagt er. Der Puchheimer SPD-Stadtrat Jean-Marie Leone ist einer, der seine Gefühlslage gleich per Facebook übermittelt. "Raus aus der Arena! Re-Start in Giasing!", fordert er und meint damit eine Rückkehr ins ehrwürdige Grünwalder Stadion. In der Arena in Fröttmaning wäre ein Neuanfang von Anfang an zum Scheitern verurteilt, mutmaßt Leone: "Sechzig hat da von Anfang an nicht hingehört."

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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