Olching:Bloß kein Rot

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Peter Helfer aus Olching hat es vom Fanclub-Vorsitzenden bis ins Präsidium des TSV 1860 München geschafft. Jetzt führt er in seiner Heimatstadt auch noch ein Wirtshaus, das schon immer eine Löwen-Hochburg war

Von Heike A. Batzer, Olching

Weihnachtsdeko, klar. Auch die Gaststube im Daxerhof ist in diesen Tagen geschmückt. Adventskranz mit blau-glänzenden Kugeln, Rentiere in weiß, Pinienzapfen mit zarten Farbtupfern in weiß und blau. Das alles ist kein Zufall. Der Daxerhof in Olching ist ein bayerisches Gasthaus und die Ausstattung seiner Gaststube mit Tischdecken und Vorhängen in weiß-blau sind das jahreszeitenunabhängige Zeichen dafür, doch mehr noch als das: Der Daxerhof ist quasi eine Art Vereinslokal für Sechzger-Fans. Mittlerweile führt hier auch ein leibhaftiger Sechzger die Geschäfte: Peter Helfer.

Vor zwei Jahren hat er den Gasthof übernommen. Er ist ein Neuling in der Gastronomie. Man hat jemanden gesucht, nachdem der Hausbesitzer noch einmal viel Geld in die Hand genommen und die Gaststätte renoviert hatte. "Es war ja immer schon eine Sechzger-Wirtschaft", sagt Helfer. Jetzt hat sie auch noch einen, der nicht nur Fan und Vorsitzender des Fanclubs Daxer-Löwen ist, sondern auch noch Funktionär beim TSV 1860 München. Vor fünf Wochen wurde Helfer als einer von drei Vizepräsidenten ins Präsidium um den neuen Vereinschef Peter Cassalette gewählt. Das Amt hatte Helfer zuvor schon unter Präsident Gerhard Mayrhofer inne gehabt.

Ein- bis zweimal am Tag kommt er im Daxerhof vorbei. "Die Gastronomie", weiß er, "ist ein hartes Geschäft". Doch ein Wirtshaus zu führen, das gefällt ihm. Er sagt, er schenke dort schon auch mal aus. Aber in Wirklichkeit sei er "der Steuermann" des Lokals: "Derjenige, der aufs Geld aufpasst". Dabei hat er doch schon einen richtigen, auch ausfüllenden Job: Zusammen mit Rolf Dressel (Löwen-Fan) und Stefan Popovits (Bayern-Fan) leitet der gelernte Maurer und Polier seit 16 Jahren die Baufirma dhp-Bau in Gröbenzell. Doch wenn er in seinem Wirtshaus auftaucht, freuen sich die Gäste. Seine Anwesenheit ist gleichzeitig Werbung und Imagefaktor für das Gasthaus in der Olchinger Daxerstraße. Die Gäste sprechen ihn an. Klar, auf Sechzig. Auf was sonst. Auf dem Tresen steht eine mehr als einen halben Meter hohe Löwen-Figur im Vereinstrikot, in einer Ecke der Gaststube hängen Vereinsschal, Wimpel mit Unterschriften, auch eine Urkunde der Daxer-Löwen. Auch auf seiner Homepage wirbt der Daxerhof mit 1860. Im dortigen Archiv sind Berichte und Fotos verlinkt: Peter Helfer, wie er beim Heimspiel in der Allianz-Arena ein Bierfass anzapft. Wie er mit den anderen Vereinsoberen bei Papst Franziskus war, um diesen zum Ehrenmitglied bei Sechzig zu machen. Wie sie im Münchner Tierpark die Patenschaft für zwei - echte - Löwen übernommen haben. Vor anderthalb Jahren waren sie sogar alle da gewesen beim Fantag vor Saisonbeginn im Biergarten des Daxerhofs: Mayrhofer, der damalige Präsident, Ricardo Moniz, der damalige Trainer, Gerhard Poschner, der damalige Sportdirektor. Keiner von ihnen ist mehr im Amt.

Die Zeit mit den Weihnachtsfeiern ist eine anstrengende für Leute wie Peter Helfer. Er, der aus einem Fanclub stammt, ist im Präsidium auch für die Betreuung der Fanclubs zuständig, das bietet sich an. Man teile sich die Anwesenheit bei den Fanclub-Feiern innerhalb der Führungsriege auf, erzählt der Olchinger. Aber es könne passieren, dass man an einem Tag gleich bei fünf oder sechs solcher Zusammenkünfte vorbeischauen müsse: "Das ist zwar schön, aber anstrengend." Peter Helfer weiß, wie wichtig der Kontakt zu den Fans, zur Basis ist. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er Vorsitzender bei den Daxer-Löwen, die mittlerweile mehr als 100 Mitglieder haben. Sogar Bayern-Fans. Solche Freundschaften seien "schon eher ungewöhnlich", räumt der Vereinschef ein. Aber die Bayern-Fans haben aus seiner Sicht ja ein Problem: Die Arena ist immer ausverkauft, man kommt kaum hinein. Dagegen Sechzig: "Bei uns kannst du noch ins Stadion gehen." Das würden auch die Bayern-Fans schätzen. "Es ist doch langweilig", fügt Peter Helfer noch an, "wenn man jedes Spiel gewinnt".

Dass er im Präsidium des Münchner Traditionsvereins gelandet ist, lag daran, dass Mitglieder ihn für das Amt des Präsidenten und des Vizepräsidenten vorgeschlagen hatten. "Vize war für mich vorstellbar", erinnert sich der 48-Jährige. Im Juli 2013 wurde er erstmals gewählt. Selbst hat Helfer mal ein bisschen beim Sportclub Olching Fußball gespielt, aber "ich war immer schon einer, der lieber Fußball schaut". Er hat als Löwen-Fan natürlich viel mitgemacht - und mitgelitten. Von Kindheit an habe er "sehr viele Tränen vergossen" für und über den TSV 1860, erzählt er. Abstiege bis hinab ins Amateurlager der Fußball-Bayernliga hat er erleben müssen und die Spieler anschließend zu Auftritten vor gerade mal 1500 Zuschauern begleitet. Er sei "immer schon für die Schwächeren" gewesen, sagt er über seine Motivation: "Zu den Guten kann ja jeder gehen." Helfer achtet akribisch darauf, dass auch seine Garderobe hundertprozentig zu seiner Leidenschaft passt. Gerne trägt er die ärmellose blaue Weste aus Samt mit dem 1860-Wappen über dem Hemd. Und nach einer Lederhose, deren Stickereien eigens in blauem Garn gefertigt wurden, hat er lange suchen müssen. Aber eines ist klar: Die Farbe Rot kommt auf gar keinen Fall in den Kleiderschrank. Eine rote Badehose hat er mal geschenkt bekommen - und gleich ausgemustert.

In der Vorjahressaison hat der Fan und Funktionär über die Maßen leiden müssen. Beinahe wäre Sechzig, das beim Fantag im Daxerhof noch große Pläne verkündet hatte, aus der Zweiten Liga abgestiegen, erst in der Nachspielzeit der Relegation reichte es vor fast 60 000 Fans zum Klassenerhalt. Und schon deutet sich an, dass es auch heuer wieder eng werden könnte: Sechzig steckt schon wieder im Abstiegskampf. Eine emotionale Berg- und Talfahrt für echte Fans wie Peter Helfer, aber auch für Funktionäre wie Peter Helfer, die die Rahmenbedingungen für die Fußballprofis schaffen. Die Erfahrungen, die er in den für den Verein schwierigen Zeiten macht, sind neu für ihn, etwa dass die Öffentlichkeit dann auch den Funktionären die Schuld gibt, wenn es sportlich nicht läuft. Die Wucht solcher Negativerlebnisse habe er nicht so eingeschätzt, sagt Helfer: Dabei "will man für den Verein doch nichts Schlechtes". Und weil er nun weit über die Grenzen Olchings hinaus ein bekannter Mann ist, ist nichts mehr so, wie es vorher war: "Man wird beobachtet, egal, wo man ist." Es kann schon mal passieren, dass er bloß zu seiner Bank geht und die Leute ihn dort nach Autogrammen fragen. Er habe auch lernen müssen, dass es besser ist, manchmal hinter dem Berg zu halten. Das liegt ihm nicht unbedingt. Er sei eigentlich "einer, der grad raus ist und sagt, wie es ist", sagt Helfer über sich selbst. Als Prominenter fühlt er sich nicht: "Sechzig ist doch ein Arbeiterverein."

Auch seine Führungserfahrung als Firmenchef taugt nicht unbedingt als Blaupause für die Leitung eines Vereins dieses Kalibers. Man könne den TSV 1860 nicht so planen wie ein Unternehmen, hat der Bauunternehmer festgestellt. Es würden zu viele andere Faktoren eine Rolle spielen. Wenn es sportlich nicht läuft, wird es sofort unruhig. "Sechzig musst du verstehen", sagt Helfer. Dass es wieder arg ungemütlich wird, weil das Team nicht unten raus kommt, hofft er nicht. Der Klassenerhalt ist das Ziel, klar, und ein "kleines, gemütliches Stadion" für bis zu 40 000 Fans, das wäre was für Sechzig, findet Helfer. Noch müssen sie in der ungeliebten Arena, die eigentlich die Heimat der Bayern ist, antreten, weil es alte Verträge so wollen. Darin aber hat Peter Helfer einen der schönsten Siege erlebt - das 2:1 in der Relegation über Holstein Kiel Anfang Juni durch einen Treffer in der Nachspielzeit. Die Zweite Liga war damit für ein weiteres Jahr gesichert. Für Peter Helfer waren die Folgen noch viel weitreichender: Gerhard Mayrhofer, damals 1860-Präsident, und Horst Seehofer, immer noch bayerischer Ministerpräsident, - beides Männer von stattlicher Gestalt - fielen im kollektiven Freudentaumel auf der Ehrentribüne so unglücklich auf ihren Nebenmann, dass der sich dabei am Kreuzband verletzte. Operiert ist das Knie noch nicht. Peter Helfer hatte einfach noch keine Zeit dafür.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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