Neue Sonderausstellung:Zwischen Disco und Revolte

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Das Bauernhofmuseum Jexhof entführt auf eine Zeitreise in die prägenden Siebzigerjahre. Das macht Spaß und ist doch mehr als bloße Nostalgie

Von Ingrid Hügenell, Schöngeising

Eintrittskarten zu Konzerten von Jethro Tull und Otto hängen hinter Glas an einer Wand. In einer Vitrine eine Nähmaschine von Pfaff, daneben der Universalzerkleinerer "Moulinette" in Orange mit braunem Deckel. Auch Bilder von Che Guevara sind da, eines davon als Hinterglas-Malerei. Mit Gegenständen und Fotos aus den Siebzigerjahren weckt von Samstag an die neue Sonderausstellung im Bauernhofmuseum Jexhof nostalgische Gefühle. Aber es geht um mehr. "Zwischen Disco, Minirock und Revolte: die 70er - Lebensgeschichten aus dem Brucker Land" lautet der Titel, und behandelt wird die Frage, welche Rolle gerade dieses Jahrzehnt für die Identität vieler Menschen spielte.

Che Guevara an der Wand, Brillen mit riesigen Gläsern und die Krimis von Sjöwall/Wahlöö in der Vitrine, dazu die Tapete: eines der Wohnzimmer der Ausstellung. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Jexhof gehört der Arbeitsgemeinschaft "Landpartie - Museen rund um München" an, in der sich zehn Ausstellungsorte zusammengetan haben. Für dieses Jahr habe man sich als großes Thema eben "Identität" gewählt, erklärt Jexhof-Leiter Reinhard Jakob. Die Behandlung der Siebzigerjahre in diesem Zusammenhang hatte ihm zufolge zwei Gründe: Zum einen war diese Zeit für den 1958 geborenen Museumsleiter persönlich wichtig. Zum anderen aber sei in diesem Jahrzehnt sehr viel vom dem umgesetzt worden, was in den Sechzigerjahren gefordert worden war, etwa die Verfügbarkeit von Bildung, gerade auch für Arbeiterkinder, oder die Emanzipation der Frauen mit der Verfügbarkeit der Pille und dem Kampf gegen das Abtreibungsverbot.

Karin Markut und die Village People stehen für die Disco-Zeit. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Sichtbar werden die Entwicklungen in den Geschichten von 18 Zeitzeugen, die in großen Pril-Blumen nachzulesen sind. Sie erzählen vom Ausbruch aus der Enge des Elternhauses, von Protest und Emanzipation, von abenteuerlichen Reisen, schließlich auch von der Heimkehr. Die Blumen hängen an den Wänden nachgebauter Wohnzimmer. Typische Tapetenmuster wie die gelb-rot-braunen Kreise transportieren einen sofort 40 Jahre zurück.

Über die Biografien werden die Themen angesprochen: Sport, Musik, Politik, Familienleben, Kunst und Kultur. Dazu haben die Zeitzeugen Gegenstände beigesteuert, die in Vitrinen ausgestellt sind oder im Raum stehen: Brillen mit riesigen Gläsern, Taschenbücher, Schallplatten, Zeitungsausschnitte. Zu sehen ist auch eine Kopie des Titelblatts der Stern-Ausgabe vom 6. Juni 1971, in der 374 Frauen sich zum noch verbotenen Schwangerschaftsabbruch bekannten. Ruth Strähhuber, Jahrgang 1971, die die Ausstellung konzipiert hat, hat selbst auch einen Raum zusammengestellt. Dort können Kinder mit der hölzernen Ritterburg der Familie spielen, während die Eltern in Zeitschriften wie Brigitte blättern. Auch Strähhubers Vater Alfons kommt als Zeitzeuge zu Wort.

Ein Bonanza-Rad. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Er war lange Oberstudienrat, auch am Viscardi-Gymnasium in Fürstenfeldbruck, und unterrichtete unter anderem Michael und Christoph "Stofferl" Well, die später zur Biermösl Blosn gehörten. Die wiederum trat im Hörbacher Montagsbrettl von Toni Drexler auf. Auch Michael Well und Drexler, Kreisheimatpfleger und elf Jahre lang Jexhof-Leiter, haben jeweils ein eigenes Zimmer. Jakob freut sich über diese Querverbindungen.

Im Politik-Zimmer kommen zwei Frauen zu Wort, die beide in Grafrath aktiv waren oder sind: Simone Schmid, langjährige SPD-Gemeinderätin, die mit ihrem Mann verprügelt wurde, weil sie sich gegen eine Auszeichnung von zwei Alt-Nazis ausgesprochen hatte, und Sigrid Wiedmann, CSU, die zwei Jahre lang in dem Ort Bürgermeisterin war. Die Siebziger waren auch das Jahrzehnt, in dem vermehrt Frauen in politische Ämter kamen.

Ruth Strähhuber und Reinhard Jakob erinnern sich gut an die Siebzigerjahre. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Wohnzimmer umschließen einen "Straßenraum", in dem sich beispielsweise ein Bonanza-Rad mit Bananensattel und Hochlenker sowie ein Jawa-Motorrad finden. Auf raumhohe Stoffbahnen sind Fotos von Fassaden aus den Siebzigern gedruckt. Wer die Siebziger im Landkreis Fürstenfeldbruck erlebt hat, wird in dieser Ausstellung auf viele Erinnerungen stoßen, etwa an die "Rodelbahn", einen wichtigen Treff für Literaten und Künstler, Schüler und Studenten, Kriegsdienstverweigerer, Atomkraftgegner und Ostermaschierer. Oder an die Disco-Zeit, die repräsentiert wird durch einen riesigen Bravo-Starschnitt der Village People, und die Geschichte von Karin Markut, die 1979 mit 16 Jahren in Eichenau zur Disco-Queen gewählt wurde. Weil die Geschichten beispielhaft für die Zeit stehen, werden auch Besucher daran ihre Freude haben, die nicht aus dem Landkreis kommen. Spannend ist die Ausstellung zudem für jüngere Leute. Sie können dort eine recht gute Idee davon bekommen, wie ihre Eltern, Großeltern oder Lehrer so geworden sind, wie sie sind.

Zwischen Disco, Minirock und Revolte: die 70er, Ausstellung im Bauernhofmuseum Jexhof, Vernissage Freitag, 18. Mai, 19.30 Uhr. Bis 4. November

© SZ vom 18.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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